Work-Life-Balance

Mai-Kolumne

Meinung
Q. Graf Adelmann

Tag der Arbeit oder: Alles scheißegal

Leistung verschiebt sich in das Imaginäre, der Null-Bock-Modus greift um sich

Eine Viertelmillion Menschen lebt von Tourismus und Gastronomie in Berlin. Nach 2 Jahren Pandemie beklagen die gut 800 Beherbergungsbetriebe, die nahezu 20.000 gastronomischen Einrichtungen sowie Hunderte von Attraktionen, dass sie weder Berliner noch die noch 2019 gezählten knapp 14 Millionen Besucher auslastungsgerecht empfangen und bedienen zu können: es fehlt an (Fach-)Personal. Kann man dem abhelfen, indem man einfach Gehälter erhöht? Das müsste nach dem Einmaleins der Volkswirtschaft funktionieren. Tut es aber nicht. Das scheitert aus unserem neuen Verständnis vom inzwischen bösen Wort „Leistung“. Was ist also aus der Bereitschaft zum Einsatz von privater Zeit in fremde Dienste geworden? Ihre Messbarkeit ist nicht mehr relevant. Wofür demonstrieren dann die Menschen zum 1. Mai? Nur 1,2 Millionen Berliner der hier 3,6 Millionen Einwohner sind noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Wer erledigt künftig die Herausforderungen in Berlin oder warum schwindet die Lust, in dieser Stadt etwas zu bewegen? Wird Beruf nur noch zu einem Job-on-Demand?

Diese Frage könnte auch genau andersherum gestellt werden. Wissen Sie, was ein Tax Bite ist? Stellen Sie sich vor, Sie richten ein Essen für Ihre Familie aus. Man muss es sich ganz konkret vorstellen: im Garten wird ein Essen aufgedeckt. Liebevoll ist es durchdacht und mühsam vorbereitet worden. Den ganzen Tag haben Sie alles selbst vorbereitet, um am Abend eine schöne Zeit mit der Familie verbringen zu können. Und nun stolpert ein wildfremder Passant in die Runde und reißt mehr als die Hälfte des aufgedeckten Mahls unter Androhung von Gewalt an sich. Er nimmt Ihnen keinen kleinen Bissen vom Imbiss, sondern tatsächlich mehr als die Hälfte von allem weg. Als Gegenleistung verspricht er Schutz vor weiteren Hungrigen und einen Sicherheitsdienst dagegen. Doch was passiert, wenn der versprochene Schutz ein leeres Versprechen bleibt? (Deutschland belegt z.B. Platz 76 von 78 in der Pisa-Studie: Schulausstattung digital noch hinter Moldawien) Oder umgekehrt: Was passiert, wenn die Köche frustriert sind und keinen Aufwand mehr im Garten betreiben wollen? Was unterscheidet Unternehmer und Arbeitnehmer heute in ihrer Einstellung zu Staat und Gesellschaft? Wie steht es heute um die Bereitschaft aller Leistungsträger, an fünf Tagen in der Woche zu arbeiten? Und umgekehrt; wie sieht es für ein Unternehmen aus, unter diesen gesättigten Bedingungen aktiv zu sein. Macht es Sinn, überhaupt noch unternehmerisch tätig zu sein?

Heute ist Tag der Arbeit. Arbeit als solche sagt einem nichts. Man macht sich keine Arbeit, macht sich keine Mühe, also ein anachronistischer Tag. Als Berliner Highlight über Jahrzehnte und Anreisegrund für Gäste aus dem In- und Ausland war daher die legendäre Nacht auf den 1. Mai auf der Kreuzberger Oranienstraße. Dort gaben sich Autonome die Mühe und machten Krawall.  Autos brannten, Polizei als Anti-Krawallmacherei marschierte gegen den so genannten Schwarzen Mob auf. Touristen sahen sich die Gefechte gern aus 50 m Entfernung an. Dieses touristische Großereignis gegen Kapitalismus und Staat in zentraler Berlin-Lage hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr nach Hamburg verlagert. Vom rein touristischen Gesichtspunkt aus betrachtet eigentlich schade. Nun werden in Hamburg hunderte Steinewerfer verhaftet, die gegen „Ausbeutung und Unterdrückung“ kämpfen, wie sie es nennen. Trotzdem sollte man sich auch in Berlin die Frage stellen, was aus heutiger Sicht Ausbeutung und Unterdrückung in der Arbeitswelt sein kann?

Ost- und West-Berlin organisierten sich historisch höchst unterschiedlich bei der Interpretation des Feiertages am 1. Mai. Während in Ost-Berlin die von der SED organisierte Demonstrationsteilnahme gesellschaftliche Pflicht war, gehörte im Westen das Fernbleiben zum guten Ton. Im Osten gab es generell eine gratis Bockwurst und zeitweise sogar 5 Mark Teilnahme-Gratifikation. Die im Westen durch den DGB organisierte Feiertag ging Punkt 18:00 Uhr zu Ende. Im bürgerlichen West-Berlin wurden die Gehsteige hochgeklappt. Trotzdem blieb die ganze Nacht laut und hell. „Demos“ richteten sich gegen den Staat. Man könnte heute allerdings meinen, dass es einen Staat nicht mehr wirklich geben kann, weil niemand mehr gegen dessen Unterdrückung demonstriert. Welches Wunder hat sich ereignet?

Wegfall des historischen Schaffens

Schauen wir uns unser aktuelles Berlin an. Die historischen 400.000 (subventionierten) Industriearbeitsplätze sind seit 1991 immer weniger geworden und inzwischen so gut wie weg. Die Grundlage dieser Industrien war in 100 Jahren zwischen 1820 und Ende des ersten Weltkrieges gelegt worden. Berlin als preußische Hauptstadt und sein wirtschaftliches Zentrum konnte Unternehmensgründer wie die Familie Rathenau (AEG), Siemens, Halske, Schering, und Borsig zusammen mit ihren großen Banken (Deutsche, Dresdner, Darmstädter) gewinnen. Philosophen wie Karl Marx wurden von ausgebeuteten Arbeitern mit wenig Freizeit, eingepfercht in kleinen Wohnräumen und in Mietskasernen mit bis zu 6 Hinterhöfen wahrgenommen. Karl Marx war schon 1848 in Paris und von dort nach London verzogen. 1943, im zunehmenden anglo-amerikanischen Bombenhagel, hatte Berlin noch 900.000 mehr Einwohner als heute. Die Goldenen 20er (Show zu sehen im Varieté Wintergarten), die nach der großen Inflation und nach Einführung der neuen Währung (Rentenmark) der Stadt einen Aufstieg in neue Höhen zu erlauben schienen, waren durch politischen Wahnsinn reine Illusion geworden. Der Rest ist ja bekannt. Berlin hat seine gesamte Industrie bzw. spätestens mit dem Wegfall staatlicher Subventionen im Westen und auch im Osten der Stadt mit dem Wegfall der DDR verloren. Zwischen 1991 und 2006 wurden 260.000 Industriearbeitsplätze abgebaut (Kabelwerke Oberspree, Samsung usw). Nur noch 100.000 Menschen von knapp 1,55 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (je hälftig Frauen und Männer, 340.000 davon nicht in Berlin wohnend) in Berlin gehören heute dem produzierenden Gewerbe an. Im Stadtbild erinnern nur noch die Namen einiger Eigentumswohnanlagen an frühere Industriestandorte.

Ausbeutung der Lebenszeit

Berlin spuckt sich trotzdem in die Hände und erwirtschaftet heute ein sich auf knapp 140 Milliarden belaufendes städtisches Bruttoinlandsprodukt. Berlin produziert damit zwar nur 45% des städtischen Bruttoprodukts pro Kopf im Vergleich zu München, aber doch 70% im Vergleich zu Paris. Damit reiht sich Berlin immerhin in die Wirtschaftskräfte von Barcelona, Athen oder Manchester ein. Aber womit „verdient“ Berlin heute sein Geld, wenn es keine Industrie mehr hat? Nun ja, es ist die Kreativ- und Tourismuswirtschaft, die eindeutig die Nummer eins ist. In ihnen arbeiten die meisten Einwohner. Erst danach kommen Bau- und Immobilienwirtschaft, zwei den Linken verhasste Branchen, die aber dank des politischen Kampfes gegen diese Form von Kapitalismus ermüden werden, vielleicht auch ganz zum Erliegen kommen, weil Baugenehmigungen inzwischen 18 Monate benötigen, um in Angriff genommen werden zu können. Soziale Förderauflagen und Bauqualitätsansprüche werden scheinbar unendlich hochgeschraubt. Außerdem haben klassische Büroarbeitsplätze keine Zukunft mehr, die Zins- und Materialpreissteigerungen geben diesen Branchen den Rest. Bleiben noch einige wenige Start-Ups mit überbezahlten 85.000 Beschäftigten als Hoffnungsträger.

Die Vielzahl der Einwohner, arbeitend oder nicht, benötigt noch einen Öffentlichen Dienst. Gut 34.000 Lehrer (durchschnittlich 1 Lehrer pro 10,5 Schüler) können auch nicht unter die Ausbeutungsphilosophie von Karl Marx fallen. Diese Herrschaften arbeiten nur 18,5 Stunden pro Woche und bekommen umgerechnet das Vierfache an Gehalt eines Polizisten; trotzdem fehlen Lehrer durchschnittlich 96 Tage pro Jahr (Ferien- und Krankheitstage). Würden Polizisten sich so leichtsinnig krank fühlen, wäre dies Anarchie. Lehrer sind heute ein Sinnbild zur beruflichen Einstellung: das Leben ist einfach schön. Schule – Uni – Schule – Pension – Exitus. 12 Wochen Urlaub mit bis zu 6.000€ netto und Beamten/ÖD-Vorteile plus 1 bis 3 Wochen Zusatzkrankheitsurlaub. Diese deutsche Moral, die den Kindern vorgelebt wird, steht im krassen Gegensatz zur Arbeitseinstellung in Staaten, mit denen „wir“ im Wettbewerb stehen. In Japan oder in Taiwan begnügt man sich heutzutage noch mit nur 10 Tagen Urlaub pro Jahr. Wie es bei uns so anders kommen konnte, versteht man nicht, denn 1903 erstritten sich Brauereimitarbeiter drei bezahlte Urlaubstage pro Jahr. Nur der (damals noch heilige) Sonntag war frei, nicht aber der „Sonnabend“. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es 2 Wochen Urlaub und ab 1963 wurde das Bundesurlaubsgesetz mit 3 Wochen bezahltem Urlaub etabliert (ohne dass es einen Dritten Weltkrieg gegeben hätte).

Am Beispiel der 210.000 Beschäftigten im Öffentlichen Dienst wollen wir den Begriff „Ausbeutung“ genauer untersuchen. Jedem Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst stehen 17 „private“ Einwohner in Berlin gegenüber. Staatstreu gesonnen darf man wahrscheinlich so nicht rechnen. Aber wenn man einen gebührenpflichtigen Pass-Beantragungstermin erst nach sechs Wochen bekommt, auf eine Zulassung seines Automobils drei Wochen warten muss, wenn die Übermittlung der Geburtsurkunde eines der jährlich 38.650 geborenen Berliner Kinder 12-16 Wochen in Anspruch nimmt und die Ordnungshüter in Charlottenburg jährlich 101 Krankheitstage absolvieren, dann beginnt man, seinen Glauben an den deutschen Leistungswillen zu verlieren. Nun ja, von Leistenden und Ausgebeuteten wird man im Öffentlichen Dienst nur schwer jemanden finden. Will man in Berlin eine Asiatin heiraten, wartet man nicht weniger als 18 Monate, bis die Papiere beisammen sind. Als i-Tüpfelchen der Null-Komma-X-Leistung gab es dann noch die steuerfreie Corona-Prämie für die Erschwernis, öffentliche Aufgaben nicht von zu Hause aus erfüllen zu können. Klar; es gibt sie: Berufe mit besonderer Belastung wie im Gesundheitsbereich, bei der Polizei und der Feuerwehr. Es gibt auch in der Verwaltung viele engagierte Menschen. Aber ausgerechnet diese stehen am 1. Mai nicht auf der Straße, sondern empfangen die Verletzten und löschen die Brände.

Apropos Mindestlohn. Er ist nun auf dem Weg hin zu 12€ (das waren mal DM 24.-). Allein das Wort „Mindestlohn“ dürfte das Selbstwertgefühl der durchschnittlich 375.000 Niedriglohnarbeiter nicht stärken (auch wenn sie eine Klasse von nahezu einem stolzen Viertel aller sozialversicherungspflichtig arbeitenden in Berliner stellt; EU-Schnitt: 17%; bei 15,10€/Std. oder weniger). Sie arbeiten zur Deckung des Existenzminimums. Nehmen wir diese 12€ und multiplizieren diese mit den maximalen 176 Stunden Vollzeit monatlich, kommen wir auf einen Brutto(mindest)lohn von 2.112€. Das ergibt netto 1.485€ in Steuerklasse eins. Zieht man noch die üblichen Rentenprodukte ab, reduziert sich das verfügbare Einkommen noch einmal deutlich. Das nicht pfändbare Existenzminimum eines jeden Menschen beträgt 1.260€ (seit 1.12.21). Die Differenz der 225€ macht die Kreditwürdigkeit des Mindestlöhners zum Mindeststundenarbeiter aus, der 19 Stunden weniger im Monat arbeitet, um das pfändungsfreie Einkommen nicht zu übersteigen. Darüber hinaus drückt der oftmalige Status des Menschen als Objekt auf Abruf auf seine Zukunftswertschätzung. Zeitarbeitsverträge machen diese Klasse noch einmal unsicherer. Natürlich stellt sich dann die Frage, ob man besser auf einen Mehrlohn verzichtet und sich 209 Stunden pro Jahr weniger bemüht. Genau das ist in der Touristik eine Prinzipienfrage geworden: angefangen mit ihren Reinigungsaufträgen, über Hotellöhne bis hin zu Sicherheits- und Kassendiensten ist die Frage der Arbeitsmoral das große Thema geworden. Einerseits kann das Tourismusunternehmen nur etwa Mindestlöhne zahlen, andererseits rechnet auch der Beschäftigte, wie er die Distanz zum Prekariat vergrößern kann. Die politische Herausforderung wird ignoriert. Der Staat kann sich ein „Weiter so“ nicht erlauben. Er muss die Balance zwischen wirtschaftlichem Erfolg einer unternehmerischen Aktivität und dem Zeitengagement der Arbeitnehmer finden. Eine Frage, was sich überhaupt noch lohnt oder die, ob Karriere und Geld überhaupt noch eine Bedeutung haben, darf sich im Wirtschaftsleben nicht stellen. Das wäre das Ende unseres Systems. Durch Inflation und Krisen wird die Antwort immer dringender. Die aktuelle Gründerquote ist wegen des Schweigens der politischen Lämmer auf weniger als 1% gesunken, die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Berlin (34%) bleiben erschreckend niedrig. Politik und Verwaltung werden ja wohl die Kernsteueraufgaben nicht selbst lösen.

Life statt Work

Wenn heute also von „Ausbeutung“ gesprochen wird, kann man es nur so verstehen, dass die Unternehmer ihre Einkommen zwischen Januar bis August eines Jahres nicht mehr abführen müssen. Mindestlöhner wollen auch nicht 45 Jahre ihres Lebens arbeiten, um abzugsfrei die versprochenen Rentengelder zu erhalten. Die politische Kaste federt sich auch bei krassem Versagen sozial ab (Anne Spiegel, die dann einen Monat lang Sonnen-Urlaub macht, wenn sie das einzige Mal in ihrem Leben hätte zur Stelle sein müssen). Das sind die Maßstäbe, die ein Arbeitnehmer nach dem Gleichheitsprinzip auch für sich – wenigstens in bescheidener Volksausgabe – verlangen kann. Der Unterschied zwischen Entlassung einer Anne Spiegel und der Entlassung einer „Schleckerfrau“ macht es, was früher die direkte Unterdrückung der Arbeitnehmer ausmachte. Heute ist es die simple Ungerechtigkeit. Und diese Ungerechtigkeiten setzen sich auch auf anderen Gebieten fort: In der Kommunalpolitik soll nicht der ÖPNV im Wettbewerb zum Automobil besser gemacht werden, sondern das Autofahren erschwert werden.

Nun könnte man meinen, dass die Erhöhung von Gehalt dazu führen müsste, dass die Menschen mehr Lust auf Arbeit und Identifikation mit dem Unternehmen bekommen. Man sieht es an den 85.000 Beschäftigten von Start-Ups. Dort liegt die Jahresfluktuationsrate bei 50%. Die durchschnittlichen Gehälter eines Mitarbeitenden betragen mehr als Doppelte eines Mindestlöhners. Erfahrene Mitarbeiter erhalten in der Regel sogar 80.000€ Jahresbruttogehalt aufwärts. Gelder, die auch die Mindestlöhner durch Rentenprodukte mittelbar bereitstellen. Zusätzlich werden ESOP/VSOP – Programme aufgelegt (Employee Stock Ownership Program / Virtual Stock Ownership Program). Die Idee ist, den Schlüsselpositionen im Unternehmen virtuelle Anteile am Unternehmen zu geben, um sie zu halten. Sie motivieren aber die Mitarbeiter kaum.

Leistungsbereitschaft wie sie traditionell verstanden wurde, hat sich durch den Einsatz für die Verbesserung der Lebensbedingungen der nachfolgenden Generationen komplett verändert. Die Veränderungen haben mit Arbeit und Leistung nichts mehr zu tun. Arbeit ist auf einen marginalen Teil des Lebens reduziert und eher als Gesellschaftsereignis umfunktioniert. Man „konsumiert“ sozusagen den Kontakt zu Kollegen, um seine sozialen Tages- und Monatsbedürfnisse zu befriedigen. Dieses Arbeitsverständnis tendiert hin zur Vergesellschaftung von Raum, Leistung und Unternehmen. Dabei ist das amerikanische Modell der Selbstüberlassung des Menschen wohl ebenso wenig eine Lösung wie der raumfressende Kommunismus. Die Motivation jedes Einzelnen und die Förderung von Stärken bleibt außen vor. Der Rhythmus der Minderheiten, das Quoteln nach Utopie in bürokratischer Aristokratie ist Gift für das Überleben unserer Gesellschaft. Leistung mit Beteiligung an Unternehmenserfolgen bei gleichzeitiger Halbierung der Aktivitätsfelder des Öffentlichen Dienstes in GmbHs oder als „Wettbewerber der Freizeit“ könnte ein erster Ansatz sein, Menschen zu motivieren, wieder aktiver zu werden.

Zukunft von Körper & Geist

Schon mal etwas über das Metaverse gehört? Instagram und Facebook sollen zum Jahresende komplett eingestellt werden. Künftige Lösung ist dann das Metaverse. Man lebt dann als Surrogat in einer Parallelwelt. Mit „Surrogate“ sind nicht die Leihmütter gemeint, die diese Vorstellungen gebären, sondern eher die Ausgestaltung von Bruce Willis in „Surrogates“. Man bleibt einfach daheim und schaltet sich zur Hochzeit mit tausenden Menschen dazu, nimmt an Sitzungen mit Teams nur als virtuelle Figur teil, steht an der Kasse im Museum als Screen und bleibt tatsächlich daheim auf dem Sofa. Man baut sich eine virtuelle Welt nach Wunsch und braucht dann auch keine Berufsbekleidung mehr oder Büromöbel, die ohnehin durch die digitalen Dokumentationen obsolet werden. Wir können also alle fett und hässlich werden und unsere Fantasien zu Aussehen, Bekleidung und Auftritt selbst wählen. Nur wird man als Weiße(r) seine Figur nicht mit dunkler Haut oder Dreadlocks ausstatten dürfen: sonst wird man aus diesem Leben gecancelt. Vielleicht gestalten wir auch hin zu einer Matrix, in der der Mensch nur träumt und sehr wenige tatsächlich leben. War die klassische Unterdrückung nicht etwas Schöneres?

Fazit: es gibt sie noch: viele leistungsbereite Menschen in allen Bereichen in dieser Stadt. Aber wer arbeitet in der Zukunft noch für die stärkste Kraft Berlins (Tourismusindustrie)? Jedenfalls immer weniger Menschen. Der Letzte räumt die Welt auf, sozusagen (Wall-E). Davon sind wir weit weniger entfernt, als wir denken. Die Mai-Demonstration brennt dann nur noch auf Google Culture, während die Präsidentin der EU noch immer offline mit einem ausgedruckten Frage-Formular in andere Länder reist, damit hyperbürokratisch irgendwann über eine Aufnahme ins EU-Museums-Land entschieden wird.

 


Einmal im Monat haben INTOURA-Mitglieder die Möglichkeit, Ihre Sicht auf die aktuelle Lage oder Entwicklung der Branche in Form einer Kolumne zu veröffentlichen. Die Inhalte spiegeln nicht zwingend die Interessen der Mitglieder oder die politische Arbeit des Vorstandes wider.


 

Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Mitglied im INTOURA e.V.

April-Kolumne

Meinung
Q. Graf Adelmann

Die Präsentation und Einnahme von Raum

Maßlosigkeit bestimmt die politische Entscheidung

Heute ist Tag 100 seitdem der Berliner Senat neu konstituiert wurde und seit gestern ist die Expo2020 in Dubai beendet. Deutschland hat sich seine Präsenz am Arabischen Golf mehr als 10 Millionen Euro monatlich kosten lassen. Anders gerechnet: der Deutsche Pavillon wurde für fast 13.000€/qm (Pavillonfläche 4.500qm) aufgestellt und wurde nur 6 Monate lang genutzt. Ist das also das neue deutsche Verständnis von Nachhaltigkeit? Das war jedenfalls ein Leitmotiv der 200 Aussteller auf den fast 5 Quadratkilometern des mitten in der Wüste errichteten Pavillon-Ensembles, zu dem gut 25 Millionen Menschen aus aller Welt via Flugzeug und Benzin-Fahrzeugen unter dem Expo-Motto angereist sind: „Nachhaltigkeit, Mobilität und Chancen“. Der Gipfel der Widersprüchlichkeit waren die auf dem Gehweg eingefügten Intarsien wie „gender equality“ direkt vor dem riesigen Pavillon Saudi-Arabiens. Na, so muss der Weg in die Hölle gepflastert sein. Immerhin können die Deutschen Tourismus-Fänger auf “actio iniuriarum aestimatoria” hoffen. Die Expo ähnelte mehr unserer gewohnten ITB, als einer traditionellen Expo. Im Deutschland-Pavillon behauptet Berlin von sich, die Stadt der Freiheit zu sein, weil man unter maschineller Bewegung zwischen eRollern, carsharing und ÖPNV frei wählen könne. Berlin habe Visionen: der Flughafen Tempelhof sei exemplarisch hierfür ein „Urban-Gardening-Paradies“. Letztere Behauptung zeigt gut die politische Realität. Berlin hat keinen Plan, was sie mit dem verbotenen Flughafen machen soll. Der Senat streitet bis heute um Konzepte und das zufällig und wild gewachsene Gras wird in Dubai flugs zu einer Vision ausgeschmückt. Statt technischen Fortschritt zu zeigen, für diese 58 Millionen Euro-teure Präsentationshalle gibt es eine gezeichnete Deutschlandkarte, auf der ein Pfeil Berlin zeigt und worauf der Besucher eine Erklärung getextet findet, dass sich Berlin durch das bekannteste historische Bauwerk (Brandenburger Tor) erkennen lasse. Außerdem sei das Symbol des Kalten Krieges (Checkpoint Charlie) sehenswert. Die Länder präsentierten ihre touristischen Reiseorte mit Abbildern von Elektroladestationen. Wieder zurück in Berlin kann man das Prinzip der Politik zur Raumgestaltung mit dem einfachen gesunden Menschenverstand immer noch nicht nachvollziehen. Daher einige Einzelbeispiele.

Öffentlicher Partizipativ-Raum als Alternative

Öffentliche Kultur- und Kunsträume in Berlin sollen fortan in aufwendigen „Partizipationsverfahren“ vergeben werden; etwa bei der Alten Münze im Bezirk Mitte. Für die Bestandsnutzer wird so ein mittelfristiges Konzeptdenken unmöglich. Bereits im Frühsommer 2019 hatte der Berliner Senat zu drei Workshops aufgerufen mit dem Ziel, die bisherigen, jährlich verlängerten Zwischennutzungen zu beenden. An den drei Zusammenkünften sollten 40 Personen teilnehmen, um das künftige Nutzungskonzept zu bestimmen. Unabhängig vom tatsächlichen Bedarf sollte eine Art Konzeptutopie gefunden werden. 20 Teilnehmer wurden ausgelost. Einzige Bedingung, um die 150€ Teilnahmevergütung zu erhalten, war die Bekanntgabe der Anschrift des Teilnehmers und die Zusicherung, wirklich zu erscheinen.
Theoretisch konnte also jeder Passant von der Straße mitreden bei der Frage, was sich in den Räumen künftig abspielen solle. Nicht weniger als 35 Millionen Euro Sanierungsgelder (knapp 5.000€/qm inkl. Kellerflächen) hatte das Land Berlin bereitgestellt. Man wagt nicht zu fragen, was denn das konkrete Ergebnis dieser Partizipation geworden ist oder, ob die Ergebnisse wirklich umgesetzt werden sollen. Hier darf man wohl prophetisch glauben, dass die Ergebnisse inhaltlich eher irrelevant sein werden, und, dass außerdem 2019 kein Unternehmer für eine Nutzung verpflichtet werden konnte: Denn eine solche ist erstmals für 2028 (nach Sanierung) möglich. Testfrage: Wissen Sie noch exakt, was Sie vor 10 Jahren gemacht haben?
Man erinnere sich an die anfänglichen Planungen zum Start des BBI oder des Humboldt Forums. Der Berlin-Besucher kann sich also in ständiger Fiktion zwischen projizierter Kunst und Märchenstunde zu Bauten bewegen. Sicher scheint nur, dass ein Jazz-Haus entstehen soll, weil der Bund hierfür 13 Millionen Euro zuschießt. Nutzung nach Geld, statt Nutzung nach Bedarf oder Sinn.
Zu den geplanten Sanierungskosten in Höhe der aktuell doppelten Baukosten für einen Neubau darf man wohl sagen, dass die Grundrechenarten im Umgang mit Steuermitteln in Vergessenheit geraten sein müssen. Ohne konkrete Nutzer zu haben erarbeiten nun Planungsbüros seit 2020 die Grundrisse für die Fachplaner. Das kann man als Beschäftigungstherapie verstehen. Denn der Raum muss sich dem Nutzer anpassen und nicht umgekehrt. Und der Bedarf an Raum ändert sich nicht allein nach den in der Pandemie aufgezeigten digitalen Alternativen zu offline-Räumen. Auch die Anforderungen haben sich verändert. So kann man diese Partizipationsverfahren primär als reine Show-Verfahren verstehen, deren Ergebnisse sekundär sind.

Leerstand von Potentialen

„Wir geben Raum für die Zukunft Berlins“ erklärt die für die obige Sanierung zuständige BIM, die die Immobilien des Landes Berlin verwaltet. Zum Stichtag 31.12.2020 gehörten dem Land Berlin

  • 1.597 Gebäude und weitere
  • 1.642 Wirtschaftseinheiten, die das Land Berlin in Reserve hält und außerdem
  • 1.954 Liegenschaften, die das Land Berlin nicht mehr benötigt.

Das Land Berlin vermietet deswegen an Dritte 626.742 Quadratmeter in 521 Gebäuden. Zu den leerstehenden Arealen gehören auch Gebäude wie das ehemalige Haus der Statistik am Alexanderplatz, das seit Jahrzehnten in bester Lage ungenutzt geblieben ist. Allein dieses Gebäude umfasst 46.000 qm Geschossfläche. Für Berlin-Besucher, die wiederholt nach Berlin kommen, erscheint es wundersam, dass gut 50 Gebäude dieser Art in Berlin seit vielen Jahren leer stehen und den Berliner Steuerzahlen belasten, während der Bund gleichzeitig Flächen preistreibend für knapp 40€/qm Büromiete pro Monat selbst fremd anmietet (zB. in der Franklinstraße). Seit 2017 versucht Berlin, für das Haus der Statistik am Alexanderplatz einen Plan zu entwickeln. Hätte ein privates Unternehmen ein solches Haus im Zentrum von Berlin zu verwalten, wäre es längst saniert und genutzt. Die meiste Zeit ginge ihm bei der Umsetzung eines Plans zwar bei der Frage nach Genehmigung oder für das Absegnen der Nutzung immer noch dahin. Das ist man jedoch gewohnt. Denn in Berlin warten Bauherren nicht selten weit länger als ein Jahr auf eine Baugenehmigung. Dit is Berlin. Anders verglichen: Während der steuermittelverschlingende Staat immer neue Verordnungen pervertiert, zusätzliche Spitzenbeamtenstellen und Abteilungen schafft und wochenlang darüber nachdenkt, wie ukrainische Flüchtlinge empfangen und untergebracht werden können, haben sich unvorbereitete Private längst helfend organisiert. Man kann sagen, dass je mehr Aufgaben sich der Staat abseits von Infrastruktur greift, desto schlimmer steht es um die Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft.

Was ist aus der kreativen Insel West-Berlin geworden? „Einfach machen“ ist längst vorbei, weil der Raum öffentlich reglementiert wird und die Inhalte öffentlich-rechtlich vorgesetzt werden.

Der Gestaltungsraum Inhalt

Die Personalsuche für die öffentlichen Theater bestimmt der Senat. Dass das gerade 2021 mit langwierigen Suchen und für den Senat mit Niederlagen verbunden war, konnte man in allen Zeitungen lesen. Dass der Senat nun auf den Websites der Theater und Balletschulen in der Historienangabe einzelne Leitungspersonen löscht, gleicht einer Mischung aus Verdrängung und Scham. Man kennt diese Praxis von totalitären Regimen her, die eine Nomenklatura für Gesinnungsgenossen errichten. So gibt es in der Volksbühne Berlin zwischen den Namen von Chris Dercon und René Pollesch keinen anderen Intendantennamen auf der Website mehr. Gleiches hat der Berliner Steuerzahler bereits bei der staatlichen Balletschule in Berlin feststellen können, als im Wahn zwischen Cancel Culture und MeToo-Zugfahrerinnen pauschal Menschen durch den Kakao der Medien gezogen wurden. Diese Brühe hat sich anschließend vor ordentlichen Arbeitsgerichten als weitgehende Erfindung Einzelner herausgestellt.
Nun, auch der Bund mischt hier kräftig mit: Im fast 700 Millionen Euro teuren Humboldt Forum werden schwarze Listen geführt, wer dort so alles keine entgeltlichen Veranstaltungen durchführen darf:

Politische Parteien, was man sogar versteht. Die haben aber wiederum ihre Stiftungen. Sie werden, wie das Humboldt Forum auch, steuermittelfinanziert.

Aber auch die

Automobilindustrie steht auf der Schwarzen Liste.

Warum? Wahrscheinlich, weil die wichtigste Industrie Deutschlands nicht genug gebüßt hat für den Einbau und die Verwendung von nicht nachhaltigen Antriebsmotoren. Aber auch wenn der private Unternehmende heute gegen Entgelt eine Veranstaltung im steuerfinanzierten Humboldt Forum für einen flexiblen Zeitraum innerhalb der nächsten 12 Monate anfragt, wird er darauf verwiesen, Ende des Jahres noch einmal nachzufassen, weil die Planungen nicht abgeschlossen seien. Bei hunderten Mitarbeiter*Innen, die das Humboldt Forum beschäftigt, dürfte sich doch jemand finden, der die Raumplanungen am Ende eines jeden Jahres für das Folgejahr unter Kontrolle hat oder zumindest heute eine Übersicht hat, welche Räume wann zum Zeitpunkt einer Anfrage frei sind? Weit gefehlt!
Ist diese Gemeingut-Geldvernichtungsmaschinerie dann nicht wenigstens kulturell frei und inhaltsreich? Nein: wenn sich jemand über Kreuz, Spender oder Ausstellungsinhalte negativ auslässt, dann wird unterwürfig gelöscht, gestrichen und gesperrt. In welchem Zustand ist dieses Land der Kunstfreiheit anbelangt, wenn Interpretation und Auseinandersetzung mit Kritik nicht mehr geführt werden? Der Ausschluss nach vermeintlichem Gut und Böse und die Bestimmung des Inhaltes erhält angesichts der Steuermittelfinanzierung einen ganz anderen Geschmack. Die Stiftung Preussischer Kulturbesitz als eine der Trägerinnen des Berliner Humboldt Forums nimmt nur knapp 16 Millionen Euro an Eintrittsgeldern ein (2020). Die Stiftung wird 2022 ganze 370 Millionen Euro ausgeben. Allein der Betriebshaushalt sieht Ausgaben von 237 Millionen Euro vor, wovon Berlin gut 50 Millionen Euro zuschießt. Zuschüsse, die aus Steuermitteln kommen, die wiederum allein von Privaten erwirtschaftet werden. Angebracht wäre folglich eine gewisse Demut denjenigen gegenüber, die auf eigenes Risiko leisten. Was macht der Staat dann mit diesen Steuerspendern?

Die Einnahme des Raums zur Entkommerzialisierung

Dass Berlin nicht versteht, dass Steuereinnahmen die Grundlage bilden, um dem Land seine politischen Ziele und Shows zu realisieren, sieht man am Vorhaben des neuen Wegeleitsystems.
Es sollen an allen Hotspots der Stadt für viele Millionen Euro Säulen aufgestellt werden (einige stehen bereits) und die Besucher der Stadt zu Sehenswürdigkeiten hinlotsen, die amtlich als nicht kommerziell eingestuft sind. Also: steuerzahlende Sehenswürdigkeiten dienen dem Aufbau der Stelen, die simultan Menschen weg von diesen Steuerquellen führen, jedoch hin zu staatlichen Einrichtungen. Man darf trotzdem nicht von grenzenloser Dummheit der Politik ausgehen, weshalb zwei Möglichkeiten im Raum verbleiben. Die erste ist, dass

Berlin wieder ein reinrassiger, kommunistisch zentralisierter Staatsbetrieb werden soll;

dann wäre es erklärbar, dass im öffentlichen Raum private Gesellschaften ausgeschaltet werden sollen. Oder es (zweitens)

geht nur um die Dominanz eines Teilbereiches zur Außenwirkung.

Denn würden nur reine Kunst, echte Kultur und beliebte Attraktionen in der Hand Berlins sein, müssten die Besucher ein Bild der Stadt mitnehmen, das von Staatsbetrieben wie der Kulturprojekte Berlin GmbH erstellt wird. Das ist eine der vielen Staats-GmbHs, die sich in Berlin gegen Private in Position bringen. Problematisch dabei ist allerdings, wenn staatliche GmbHs von Kadern der jeweiligen politischen Führung besetzt werden, die in Wirklichkeit verlängerte Parteiarbeit machen. Woran man das erkennt?

Die Vernichtung der Guten

Nun denkt man nach Vorstehendem vielleicht, dass es immer ein paar Ausrutscher gibt, die jetzt für alles herhalten sollen. Nein: Die Kulturraum Berlin GmbH unter Betreuung der BIM als reine Staatsbetriebe mieten zu Kosten von 21€ pro Quadratmeter Immobilien einzelner Immobilieneigentümer an, um sie dann zu Spottpreisen an nachhaltig Linientreue weiter zu vermieten. Konkret hat das Land Berlin einen langfristigen Vertrag zum Rockhaus angemietet und zahlt dort seitdem mindestens die doppelte Miete im Vergleich zum Vormietvertrag an einen glücklichen Immobilieneigentümer, der sich die Hände reibt. So viel Geld hätte er im freien Markt für sein Rockhaus (www.rockhouse.berlin) nie erzielen können. Schon gar nicht hätte er seine Immobilie mit Steuergeldern saniert bekommen. Zwar wurde das Rockhaus „gerettet“, aber wenn davon nur ein einziger Investor profitiert, ist das mehr als nur aktive Wirtschaftspolitik. Das Problem solcher Anmietungen ist offensichtlich, dass die Häufigkeit solcher Landesanmietungen immer stärker die Preise auf dem Markt prägen. Nun vermietet kein Eigentümer mehr gerne unterhalb jener 20€-Grenze. Dass eine Immobilie wie das Rockhaus heruntergerockt und ein Plattenbau ist und dass sich zudem in einer eher schlechten Lage befindet, geniert ihren Eigentümer nicht mehr. Staatliche Anmietungen fördern die Preise für diejenigen, die Raum brauchen. Das war 2019, liegt also 3 Jahre zurück. Was hat der Senat in der Zwischenzeit daraus gelernt? Nichts: 2021 mietet die Kulturraum Berlin GmbH wieder eine Marzahn-Immobilie mit einer Kostenmiete von 21€/qm für 10 Jahre an. Sie zahlt an den Eigentümer der Frank-Zappa-Straße 16 weit mehr als 7 Millionen Euro während der Erstlaufzeit des Mietvertrags. Wieder werden 7 Millionen Euro für eine heruntergekommene Platte in Marzahn verbraten, die vielleicht einen Eigenwert von zwei Millionen hatte: man hat sie ja, die Steuermittel. Die sich hieraus ergebenden Konsequenzen sind folgerichtig: zum einen werden durch solche Mietverträge sämtliche Miet- und Kaufpreise in der Umgebung hinaufgeschraubt – aber in erster Linie für die Nischen in Kunst, Kultur und Clubs. Der Senat fördert also unmittelbar selbst das Ansteigen der Mieten für Prekariate. Damit aber nicht genug: die Weitervermietung wesentlicher Flächen erfolgt für weniger 1€ kalt pro Quadratmeter an Musiker, die wiederum über die Staats-GmbH ausgewählt werden, sofern die Musikeinstellung politisch passt. Kurzum: ab 15€ Kaltmiete im Monat werden die Räume quasi verschenkt. Was das bedeutet, mag vielleicht der Kulturraum Berlin GmbH nicht wichtig sein, weil es dort um Joberhalt und Publicity geht. Man sucht dort derzeit nach weiteren Mitarbeiter*Innen. Eines müsste aber einer BIM klar sein: sie zerstört damit automatisch alle privaten Musikstandorte. Kein Haus lässt sich für weniger 1€ pro Quadratmeter – also zu DDR – Preisen – bewirtschaften. Berlin vernichtet also nicht nur Steuergelder, lässt Preise explodieren und zerstört jede private Initiative, sondern trocknet seine eigenen Steuerquellen aus. Inzwischen ist die Einrichtung eines neuen Musikerhauses in Lichtenberg abgesagt worden. Hier hätten 500 Musiker Platz haben sollen. Die Sanierung des betreffenden Hauses in der Wollenberger Straße allerdings lässt sich unter den Bedingungen dieses Wettbewerbs mit dem Staat nie amortisieren. Solche Skandale interessieren die Politik aber nicht. Lieber werden Staats-GmbHs im gesamten Kulturbereich zur Zentralisierung der Fördermittel und Entscheidung von Verwendung solcher Fördermittel in politischen Netzwerken zum Showerhalt geschaffen.

Der kommunikative Raum

Welchen Schluss zieht man für sich selbst? Sind wir bei Lenins NEP (New Economic Policy) angekommen, die, wie Nadeschda Mandelstamm (in: Jahrhundert der Wölfe), nach seinem Hinscheiden wieder abgeschafft wurde oder sind wir doch schon auf dem Weg zur Kollektivierung? Vielleicht leben wir nicht in einem „Jahrhundert von Wölfen“ oder Füchsen, Hyänen und Schakalen, sondern in einer Welt der …? Knapp die Hälfte aller jungen Absolventen will in den Staatsdienst. Neben der Sicherheit für die Zukunft wollen sie dort etwas bewegen. Gleichzeitig dürfen vegane Soziologen Bundesagrarminister werden, Pazifistinnen Verteidigungsministerinnen und wenn man zwar inhaltlich und messbar versagt hat, dafür aber genau genug gegendert hat, während das Ahrtal untergegangen ist, darf man von dortiger Ministerin-Verantwortungsposition das Landes-Umweltministerium abgeben und ins Bundes-Familienministerium aufsteigen. Wie ist die zweite Reihe? Unbedingt ein Level schlechter als die unqualifizierten und/oder inkompetenten Chef*Innen. Na, wenn das kein Ausblick für die Zukunft unseres Landes ist: der oft unqualifiziert besetzte Staat will die Unternehmer lenken.

Der/die zuständige(r) Staatsdiener*In ist bei einer 12-Personen-Geburtstagsparty für die Elektrizität verantwortlich, isst die halbe Geburtstagstorte auf und es bleibt dennoch dunkel. Was ist denn in 10 Jahren, wenn es niemanden mehr gibt, den man lenken kann? Gute Nacht, Deutschland.


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Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Mitglied im INTOURA e.V.

Pricing Strategies

März-Kolumne

Meinung
Q. Graf Adelmann

Der strategische Preis in der Berliner Exit-Show
Dummes Geld, Palastbau und gefährliches Pricing

Mit Beginn der Osterzeit in gut 6 Wochen müssen sich Intoura-Mitglieder gut überlegt haben, wieviel Aufwand sie betreiben wollen, um eine 70%ige Auslastung ihrer Einrichtung hinzubekommen, damit ihnen von jedem 12. umgesetzten Euro einer bleibt, mit dem sie ihre Existenz und Zukunft sichern und der ihnen Investitionen in den Geschäftsausbau finanzierbar halten soll. Es geht um die Wiederherstellung von operativer Profitabilität nach der Corona-Zeit ohne Überbrückungshilfen. Das sind also die Prämissen, unter denen die Attraktionen künftig ihre Eintrittspreise festlegen werden. Wie weit kann man vorausdenken? Welches Risiko sind Unternehmer*Innen bereit einzugehen, wenn sie ein neues Theater, eine Ausstellung, ein Museum oder nur einen Spaßraum zu eröffnen vorhaben? Welche Angst-Warnungen werden wieder von der Politik zum Herbst hin beschrieen? Wieviele Touristen werden nach Berlin kommen und woher? Welche Einnahmen wird man erzielen müssen, um kostendeckend mit den derzeit inflationären Personalkosten, den explodierenden Energiekosten und den Bedürfnissen der Zentralisierung von Ticketvermarktern tragen zu können? Ab welchem rechnerischen Preis diskriminieren die Attraktionen weniger betuchte Menschen und Familien mit Kindern? Wie gestaltet sich der Plan für die Attraktion autonom? Programmiert auf Profitabilität oder auf Exit? Schauen wir uns die Rahmenbedingungen an.

Die Art 87ff des EG-Vertrages verbieten staatliche Subventionen für die Wirtschaft. Der Staat kann sein Geld in den Ausbau der Infrastruktur investieren, um die wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern, darf aber nicht die Unternehmen finanziell unterstützen. Es geschieht aber trotzdem: eine staatliche Bank vergibt Kredite nach privatbanküblichen Bedingungen. Aktuell baut eine Stiftung an Nordstream2. In der Privatwirtschaft war es z.B. Mercedes gestattet, seine Bussparte solange zu subventionieren, bis Käßbohrer in die Knie ging. Verluste des einen oder Verluste einer Unternehmenssparte sind nicht unbedingt verlorenes Geld. Mercedes dominiert heute den Markt für Busse. Das Geld hat dann jemand anderes, aber es ist volkswirtschaftlich nicht „verloren“, betriebswirtschaftlich schon. Besonders grausam erleben spekulative Anleger im Aktienmarkt solche „Übergänge“. Bei Facebook verpufften Anfang Februar innerhalb von Stunden 200 Milliarden Euro an Börsenwert. 200 Milliarden, die aber in den fiktiven Händen derer sind, die vor dem großen Puff ihre Papiere verkauft hatten.

Es gibt Unternehmen, die so viel Geld in einen Markt blasen, dass kein gesundes Gras mehr neben ihm wächst (Beispiel Mercedes/Käßbohrer). Das konnte man unter fast labor-mäßigen Bedingungen vor gut 10 Jahren in Sachen Zalando sehen; diese Show läuft derzeit in Sachen Gorillas, Getir, Wolt, Brings, Flink und Co. ab. Hunderte Millionen Euro Cash von Anlegern, die sie jeweils auf ihren Konten haben ohne jede Aussicht, in diesem Jahrzehnt profitabel zu werden. So sind derzeit Anlegergelder wie bei einer Art Pferderennen eingesetzt: welches dieser „Unternehmen“ wird den Wettlauf um den 1000m-Pferdesprint gewinnen? Es kann nur einen Sieger geben; die anderen werden untergehen müssen, schon weil sie zugleich die Gunst der Massenkleingeldsammler verlieren. Nun ist diese Einstellung bedauerlicherweise auch im Tourismus angekommen. Es beginnt bei der Markt- und Sichtbarkeitsbeherrschung im Tickethandel. Unternehmen wie booking.com, ticketmaster, Eventbrite, GetYourGuide oder Eventim kämpfen hier um die Dominanz dieses Teilmarktes. GetYourGuide beispielsweise war trotz hunderter Millionen Euro hineingepumpter Fremdanleger-Gelder seit seiner Gründung vor 13 Jahren noch nie profitabel. Gut 2,5 Milliarden Euro soll der Umsatz für Tickets in 2022 allein in Deutschland betragen und verspricht für die kommenden Jahre ein um 8% jährliches Wachstum. Die druckfrischen Fiat-Gelder gehen dann spiralisiert direkt zu den Monopolisten google, meta und amazon, die wiederum keine relevanten Ertragssteuern in Deutschland leisten. Unter diesen Rahmenbedingungen locken die Ticketanbieter Attraktionen zuerst mit attraktiven 10% Provision, um ihnen dann nach erfolgter Bindung 30% Provision abzuknöpfen. Im Wettbewerb zu staatlichen Museen, die nunmehr Öffnungstage ohne Eintrittsgelder anbieten, muss ein Museum, das ohne Subventionen auskommt, von 10€ zunächst die Umsatzsteuer abführen, dann 25% des Erlöses an den Kundenvermittler abgeben sowie selbst sozial tätig werden, indem es Familien und Kinder und die Aktionen günstiger bepreist. Sollte trotzdem etwas übrigbleiben, gehen später davon noch einmal 30% des Überschusses als Körperschafts- und Gewerbsteuer weg. Welchen Ur-Preis muss man also ansetzen, um sich gegen Fremdanlegergeld-Unternehmen und staatliche Einrichtungen zu behaupten?

Auf dem Weg zum Wettgewinn oder Wettverlust kann sich jeder überlegen, wie es den etwa 1.000 touristisch beliebten Spätis in Berlin und den Betreiber-Familien ergehen muss. Warum sollte es ihnen anders ergehen als den früheren Tante-Emma-Läden? Der Berliner Verbraucher entscheidet, ohne dass ihm dies bewusst ist, über die Investitionen aus einer Mischung von Exit-Fantasien und Finanzwetten, potenziert durch Gelddruck der obersten Politik und abgekühlt in einem System des politischen Stillstandes, den die Politiker von ganz unten bevorzugen.

Nicht wenige Unternehmenslenker glauben, dass man diesen Rahmen-Problemen aus dem Weg geht, indem man kontinuierlich mehr Geld in die eigene Unternehmung pumpt. Diese gepumpten Mittel müssen allerdings wieder amortisiert werden. Dazu gehört die Produktentwicklung neben einer Barreserve (und Cashflow) auch die Qualifizierung des Teams. Wenn ein Produkt im Kern wenig taugt, dann hilft es nicht, mehr Menschen das Produkt loben zu lassen (Werbung) oder mehr Geld im Service einzusetzen. Das gilt auch für die Touristik-Branche, deren Inhaber als virtuelle Touristen sich über das Desaster Berlins lustig machen können, wie „unsere Politik“ an Schlechtem festhält. Es gibt immer mehr fremdanlegerfinanzierte Attraktionen wie das geplante Coral World im Bezirk Lichtenberg, das tropische Fische zeigen soll; ein Schaufenster auf die Malediven mit Hintergrund Ostkreuz. Da fragt sich jeder, was denn bitte ein Berlin-Besucher oder Berliner hier erfahren soll? Das Erfolgs(finanzierungs)risiko tragen unternehmensfremde Anleger. Gleichzeitig finanziert die Deutsche KfW-Entwicklungsbank das Mesoamerikanische Korallenriff in Mittelamerika zwischen Mexiko über Belize, Guatemala und Honduras aus Steuermitteln. Auch Attraktionen, die mehr Geld in Marketing, als in die Kreation, Objektwahl oder Geschichte der Sehenswürdigkeit selbst stecken, kann man derzeit in einer Wanderausstellung studieren. Das ist so, als würde man sein Haus durch ein Bauunternehmen bauen lassen, bei dem die Zahl der Mitarbeiter in der Rechtsabteilung größer ist als das der Ingenieure.

Neue Denkweise zu Unternehmertum

Obwohl Berlin weltweit dafür bekannt ist, dass es viele Start-Up-Neugründungen (500/Jahr) zu gewinnen fähig ist, wundert man sich darüber: Junge Menschen mit Ideen aus allen Ecken der Welt kommen ausgerechnet zum Umsteige-Endflughafen von Berlin, um sich im Stadtzentrum niederzulassen. Damit förderten sie kollateral ein Ansteigen der Büromieten, die sich in den letzten 6 Jahren glücklich für die Investoren mehr als verdoppelt haben. Auch die Investoren in Mietwohnungen reiben sich die Hände. Inzwischen sind in den letzten 10 Jahren gut 3.500 Unternehmen gegründet worden. In dieser Szene arbeiten heute mehr als 85.000 Menschen. Viele Milliarden Euro Kapital sind zusätzlich angelockt worden. Die Jahresgehälter der in den Start-Ups Beschäftigten steigen oft auf sechsstellige Höhe und dennoch liegt die Fluktuationsrate der Mitarbeiter*Innen dort nicht selten bei Nahe 50% (Jahrespersonalwechsel) und schnellt damit weit höher als in der eher schlecht bezahlten Hotellerie. Das verändert allerdings auch das Image von Berlin aus nationaler und internationaler Sicht. Leider sind nur relativ wenige dieser 3.500 Unternehmen profitabel. Profitabilität wäre aber die Voraussetzung dafür, dass nachhaltig Steuern gezahlt werden. Es ist gut, wenn strategisches Geld in Visionen exzellenter, digitaler High-Techs fließt. Gründer und Investoren kalkulieren aber oft nur, dass eine weitere App den Inhabern nach langer burn-rate und trotz stets kurzer runway einen hohen Exit-Erlös bringt. Man kann es auch so sehen, dass Berlins Unternehmen gar nicht die Wirtschaft der Stadt fortentwickeln, sondern eine Art CAMPUS-Wirtschaft darstellen. Das erfolgreich verkaufte Unternehmen geht dann nach anderswo? Der Sprung in den Exit als einziges Lebensziel sozusagen.

Wenn man sich Berlin unter diesen Gesamtrahmenbedingungen als Stadt ansieht, stellt sich die Frage, ob die Stadt eher eine Art Legionslager ist, das die Entwicklung zu einer richtigen Stadt noch nicht gemacht hat. Attraktionen befinden sich mehrheitlich im früheren und reanimierten Stadtzentrum. Alles will dort hin. Auch ein Unternehmen, das den Tages- wie den Wirtschaftstouristen bedienstleistet, benötigt ein Büro im Zentrum. Seine Mitarbeiter wollen auch keine stundenlangen Anfahrtswege. Außerdem wird der Büroraum der Zukunft nur noch partiell genutzt, soll nah am Wohnort sein und überwiegend als erweiterte Privatwelt fungieren. Wohnraum zu organisieren, kostet heute das Dreifache von gestern. Dieser März wird vielleicht der letzte Monat des Stillhaltens sein. Noch haben Berlin und Bundesrepublik in den letzten zwei Jahren 350 Milliarden Euro in die Pandemiefolgebeseitigung als Ersatz für die sich selbst auferlegten Beschränkungen aufgewendet und können Probleme durch Gelddruck lösen. Vom ausgegebenen Geld ist nichts in Infrastruktur geflossen. In der Realität wird das Geld von allen Schichten der Bevölkerung wieder aufgebracht werden müssen. Was bleibt dann noch für Kunst, Kultur und Freizeit? Wie stark werden die Eintrittspreise ab 2022/2023 steigen müssen, um die Kostenerhöhungen abfangen zu können? Welches wird der richtige Preis sein, die Balance zwischen Ertrag, Menschen zu interessieren und barrierefreien Zugang für alle zu finden? Wie tages- und uhrzeitdynamisch müssen die Attraktionen ihre Preise und Kosten künftig gestalten? Und was fällt den neu gewählten Farbtupfern ein? Sie errichten einen steuermittelverschwendenden Verwaltungspalast der Ideenlosigkeit. Ein neuer touristischer Hotspot im Zentrum Berlins aus Geldern, die auch unsere Attraktionen erwirtschaftet haben. Immer detailliertere Betriebserlaubnis- und Erhaltungsvorschriften denkt sich die Verwaltung in dieser Hochburg aus, damit irgendwann kein kleines Unternehmen mehr die Chance hat, die Gutachter-Horden zu bezahlen und dennoch überlebenswichtige Profitabilität zu sicherzustellen.

Die Hufeisenhochburg des neuen Bundeskanzleramtes als Attraktion

Das Bundesamt für Bauwesen lässt auf seiner Website erklären, dass die 52.700 qm Bruttogrundfläche für das Bundeskanzleramt benötigt werden. Ein Erweiterungsbau dieses Ausmaßes soll nur 600 Millionen Euro kosten. (Anmerkung: noch nie wurden staatliche Bauten mit weniger als dem Doppelten der geschätzten Kosten erstellt) Aufgaben der Zukunft in den Bereichen Energiewende, Digitalisierung, Flüchtlingspolitik oder Cyberkriminalität sollen dort gemacht werden („Hausaufgaben“). Da fragt sich allerdings der politische Laie sofort, ob diese Aufgaben der Vergangenheit bisher nicht hatten gelöst werden können. Warum verbindet man nicht Verantwortung mit Fachkenntnis? Weniger als 7% der Bundestagsabgeordneten sind Unternehmer*Innen. Oder soll hier die Beendigung des föderalen Systems hin zu einem zentralisierten Staat erfolgen? Schauen wir uns jedoch beispielsweise die letzten Verteidigungsministerinnen an: keine hat je eine Qualifikation für diese Aufgabe erworben, geschweige denn mitgebracht oder besessen. Auch Vorwärtsgehen ist ein Rückschritt, wenn man auf dem falschen Weg ist. In der heutigen Zeit des digitalen Arbeitens, flexibler Arbeitszeiten, Cloud-Datenspeicherung und Abschaffung von Mobiliar: wozu braucht es einen solchen Bürokratiepalast?
Vielleicht ist es für die gut 8,5 Millionen innerdeutschen Besucher Berlins (2019; entspricht etwa 60% aller Besucher) wunderbar, neben den eigenen pompösen Landesvertretungsbauten in den früheren „Ministergärten“ am Berliner Tiergarten zu sehen, dass dieser Apparat mit den höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten, den meisten Abgeordneten, Staatssekretären und Spitzenbeamten aller Zeiten sowie der geringsten Quote umgesetzter Aufgaben auf internationaler Ebene das Lachen von Kriegstreibern erzeugt. Die Bundeshauptstadt Berlin bietet eine politische Fun-Reality-Show und damit eine echte Sehenswürdigkeit eigener Art. Dazu kommt nun ein Gebäude mit einer größeren Grundfläche als der von Nicolae Ceausescu, dem Friedensfürsten aus Transsylvanien, errichteten Palast. Das zu schaffende deutsche Palatul Parlamentului wird zehnmal größer als das Weiße Haus. Die berühmte Downing Street 10? Lächerlich dagegen.
Da darf der Wirtschaftsminister erwarten, dass sich der deutsche Touristikunternehmer hier einklinkt. Wir hoffen, dass die privaten Initiativen Berlin mit attraktiven Ideen kollateral gestalten.

Es ist Zeit, die eigentlichen Gestalter der Stadt in Entscheidungen einzubinden. Der Wettlauf um den höchsten massenfinanzierten Exit-Preis mit exekutiven Bürokratiepalästen zu kombinieren jedenfalls führt direkt in die unternehmerische Ebbe der mittelständisch nachhaltigen Unternehmungen.

 


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Qualität, schlecht oder gut

Februar-Kolumne

1. Februar 2022

Qualitätstourismus in den regierenden Köpfen Berlins

oder wie man Berlin belastungsfrei aus den Schulden hebt

Wer sich in letzter Zeit in Mainz aufgehalten hat, wissend, dass die Stadt hochverschuldet war, dem musste auffallen, dass davon nichts mehr zu verspüren ist. Dank eines außerordentlich erfolgreichen Unternehmens hat sich die gesamte Stadt-Verschuldung in Luft aufgelöst. Berlin hat es mit seiner Luft deutlich schwerer. Das versteht man eigentlich nicht, denn Berlins Potential an Jugend und Masse ist deutlich höher als das von Mainz. Quantitativ kann hierzulande aus dem vollen Volk geschöpft werden. Die Gewerbsteuer in Berlin mit fast 2.4 Milliarden Euro p.a. bringt an zweiter Stelle die Steuereinnahmen in die Höhe. Ihr Hebesatz beläuft sich auf dezente 410% (zum Vergleich: München 490%, Frankfurt 460%, Stuttgart 420%). Seit Jahren versucht der Senat (Landesregierung), einen so genannten Qualitätstourismus einzuführen; alles andere soll runtergefahren werden. Qualität soll Nachhaltigkeit bedeuten. Ist die Stadt mit ihren Tourismusunternehmern in Bezug auf Nachhaltigkeit unzufrieden? Den Begriff „nachhaltig“ könnte man auch auf die Steuereinnahmen der Stadt beziehen. Ihr fiskalisches Kapital stellen regelmäßig fließende Steuereinnahmen dar. Nachhaltiges Fiskalkapital ist ein solches, das stetig zunimmt, das nicht verbraucht wird und das auf diese Weise der Stadt erlaubt, von den Früchten des Kapitals zu leben. Berlin dürfte also die fruchtbringende Ressource nicht runterfahrend angreifen, um seinen Verbrauch zu decken.
Nun, in Berlin versteht man das nicht so. Oder der Berliner Tourismus ist zu wenig „nachhaltig“ im Sinne von steuerhaltig.

Definition im Deckmantel der Gefühlswissenschaft

In Berlin sitzen seit einem Jahr Politiker und Branchenvertreter zusammen, um eine (allseits neue) Definition für Nachhaltigkeit zu finden. Sie soll zugleich „Stadtverträglichkeit“ einschließen. Seit Jahresende sollte schon eine „Zielgruppensegmentierung“ gefunden sein, um mit einer gezielten Stadtvermarktung beginnen zu können. Das alles wird natürlich höchst „wissenschaftlich“ betrieben, d.h., was man eben in Berlin unter wissenschaftlich versteht. Zur Erinnerung: Einen ersten Probelauf gab es schon 2018. Eine Vermarktungsfirma hatte Prognosen auf Basis so genannter „ruhender Hotelgäste“ abgegeben. Deren Bewertungen waren ausgewertet worden. Die auswertenden Personen hatten in der Mehrheit nichts mit Tourismus zu tun gehabt: sie hatten leider niemals zuvor eine touristische Attraktion managen können. Der Begriff „Wissenschaftlichkeit“ muss also sehr großzügig aufgefasst werden. In gewöhnlichem Deutsch gesagt, setzte der Senat auf ruhige, unsichtbare und saubere Besucher*Innen, die trotz ihrer Anzahl so unauffällig bleiben können, weil sie als Besucher*Innen separiert, geographisch verstreut und zeitlich auf 365 Tage verteilt werden. Abgekupfert ist diese Methode von der CSU in Bayern. In Bezug auf die Flüchtlinge nach Deutschland: hat man dort das Maximum minimalisiert. So gesehen wäre es für die Zukunft am besten, wenn die Besucher*Innen zu Fuß nach Berlin pilgerten, wenn sie erst während des Berufsverkehrs ihr Frühstück einnähmen und vor Einbruch der Dunkelheit wieder in ihre Hotels kämen. Trotzdem sollen sie möglichst viel Geld ausgeben in der verbleibenden Zeit für Sightseeing. Im Falle eines schnöden Urlaubs erwartet der Senat, dass sie sich vor Beginn der Reise ankündigten. Für diese Spezies könnten operative Instrumente geschaffen werden, anhand derer man die Lenkung der Urlauberströme nicht verliert. Die lauten jungen, feiernden Menschen, die überdies nicht besonders einkommensstark sind, um genug Geld zu verbraten, sieht man weniger gerne. Im Grunde soll schon eine Brandenburger Familie nicht mit dem Auto nach Berlin kommen, schon gar nicht, wenn sie ihre „Brotzeit“ mitbringt. Das verlangt die Reinheit der Berliner Luft.

Nachhaltigkeit in Perspektivwechsel

Es könnte natürlich auch so sein, dass nicht die Besucher, sondern die Attraktionen gemeint sind, wenn von „Qualitätstourismus“ gesprochen wird. Gut eine Milliarde MWh Gas wird in der Bundesrepublik Deutschland jährlich verbraucht. Auf dem Niveau der letzten Gasag-Preiserhöhung bedeutet dies einen Aderlass von 20 Milliarden Euro nur an zusätzlichen Gaspreiskosten von Deutschland nach Russland (70%) und Norwegen (30%). Dabei muss man wissen, dass die letzte Preiserhöhung die aktuellen Gasreserveaufbauten nicht einschließt: die abschließende Preiserhöhung kommt erst noch. Berlin lebt noch immer zu 80% von fossilen Brennstoffen. Deshalb haben die Kosten für den Bezug von Fernwärme auch gleich um 30% angezogen. Grund: die Erhebung der neuen CO2-Steuer. Unwahrscheinlich wäre auch die Hoffnung, dass Norwegen oder Russland aus Nächstenliebe die Gaspreise senken könnten. Angesichts des Auslaufs des Geschäftsmodells bzw. der bisher freundlichen diplomatischen Beziehungen wird dies doppelt unwahrscheinlich. Dennoch fahren auf der Spree noch immer touristische Schiffe mit Dieselantrieb. Museen, Hotels und praktisch alle anderen Sehenswürdigkeiten heizen noch immer überwiegend fossiliter (um einmal Adverb und Adjektiv distinguiert einzusetzen). Oder ist mit Nachhaltigkeit gemeint, dass der Besucher auf kein Boot mehr steigen oder in kein Museum mehr spazieren darf, wenn dieses nicht Sonne oder Wind als Energiequelle nutzen? Das könnte bei Berücksichtigung der oben angesprochen volkswirtschaftlichen Schadens wenigstens mittelfristig eine sinnvolle Idee sein. Seit Jahrzehnten versuchen nämlich Bund und Land dem fossilen Ressourcenverbrauch gegenzusteuern. Wir wissen aber, dass die Kompetenz und die Weitsicht bisher in der Politik eine Fehlanzeige waren. Touristische Umrüstungsförderungen gibt es sowieso nicht. Berlin schafft es im Sinne der Nachhaltigkeit ja schon nicht, die eigenen U-Bahnhöfe barrierefrei herzustellen. Gut 1/5. sind nicht barrierefrei. Jedes private Unternehmen hätte bereits den Entzug der Betriebserlaubnis zu befürchten. Der Staat sollte deshalb zunächst bei sich selbst beginnen, wenn es um Umrüstung und nachhaltige Qualität geht. Dass Investitionen und Anforderungserhöhungen immer mit Preiserhöhungen einhergehen (wie es der Wohnungsbau belegt) dürfte einleuchten. Nein, leider ist nicht der Empfängerhorizont gemeint. Man meint nur den Touristen: dieser soll seine Qualität verbessern bzw. gar nicht auf die Idee billiger Besuche kommen; Berlin arbeitet in diesem Sinne noch ein paar Jahre träumerisch und verschlafen an so genannten touristischen Raumordnungsverfahren.

Tourist als Nutztier

Der Tourist ist ein Mensch von Natur; was wird mit diesem Menschen gemacht? Unschuldig geboren färbt und gerbt sich im Laufe der Zeit die Haut seiner Seele mit allen möglichen Tattoos und Narben. Mit 40 dürfte sein Seelenleben aus Neurosen und Berufskrankheiten überlastet sein. Irgendwann ab 40 hat dieser berufskranke Neurotiker meist auch den Zenit des (beruflichen) Lebens erreicht. Er kann alles, weiß alles und wird sich nicht mehr viel Neues anschaffen wollen. Zu Frust und Mangel an Lust kommt die zunehmende Automatisierung des Lebens. Es wird uns vorgegaukelt, dass die Digitalisierung der Lebensabläufe die Qualität und Effizienz unserer Arbeit laufend verbessere. Ist das so? Vom Standpunkt der abstrakten Leistung aus gesehen vielleicht. Aber vom Standpunkt des menschlichen Wesens aus? Vor 2007 bzw. vor 1993 merkte man sich manche Telefonnummer noch im Kopf. Heute sieht man den Namen im Display und sieht keine Zahlenfolge mehr, die man sich einprägen könnte. Fällt das eigene mobile device aus, kann man nicht einmal mit dem Handy des Nachbarn seine Frau anrufen. Man muss sich heute nicht mehr für eine persönliche Begegnung groß vorbereiten. Per Handy sind alle Partner immer auf der Matte. Ganz spontan lassen sich Zusammenkünfte per Automat organisieren. Man kann inzwischen reine Sprachnachrichten verfassen oder einfach eine hieroglyphische Emoji versenden. Der Verblödung Rechnung tragend erzwingt eine Software mit Erinnerungsmails, was wir tun sollen. Microsoft notiert, wie effektiv wir waren. Wann endlich sprechen alle ihre jeweils verkümmerten Sprachen in eine google-App, die dann eine Universal-Sprache ausspuckt, die wiederum die nächste Automatengeneration gelernt hat? Damit wir keine Rückzieher hin zum eigenständigen Denken machen müssen, gibt es heute auch keine Rechner mit USB-Stick mehr zu kaufen. Die Daten sind „geklaut“ (oder gecloudet) – in einer Cloud. So will man den Besucher auch in Berlin automatisiert so lenken, wie und wo er sinnvoll gemolken werden kann. Das ist moderne Landwirtschaft (Land = Bundesland, nicht Bauernland). Der Tourist ist auf Landesebene ein nutzbringendes (steuergeldlassendes) Tier(chen) und bekommt sein Pläsierchen. Gerechtigkeit gibt es auch: Bisher wenig beachtete Bezirke sollen mehr touristisches Geld empfangen dürfen, wenn der Tourist dorthin geführt und abgemolken wird. Im Wettbewerb zu Brandenburg ist die Landwirtschaft hier urban.

Besucher und Attraktion mit Siegel

Zurück zum Tourismus-Thema: in diesem Automatisierungsprozess werden unsere Touristen also zu einer Art humanen Nutzviehs degradiert. Das Wort mag illegitim verstanden werden, wenn der vegane Soziologe sich in der Agrarkultur durchsetzt. Allerdings ist es genau das, was Berlin auf seine Weise versucht, aus seinen potentiellen Besuchern zu machen. Nur was wird dann das Qualitätsmerkmal bei diesem Nutzvieh? Nunja: wenn man wie im Tourismuskonzept 2018+ den jungen und lauten Party-Touristen (die Vitelloni nach dem Fellini-Film) fernhalten will, dann sollten drei Fragen vorab beantwortet werden:

  1. Ist den Berlinern der junge Mensch mit seinen Ansprüchen und seiner eigenen Perspektive lästig?
  2. Könnte sich ein jeder Berliner barrierefreie Lebensqualität durch eigenes Geld verschaffen?
  3. Wie bekommen wir Menschen mit Ideen über künstliche Rechtshürden nach Berlin?

Wer ohne staatliche Hilfe eine konkrete Einrichtung oder Attraktion auch für Menschen ohne Geld und weniger Bildung schaffen will, oder, wer sich allgemein ein geistreiches kulturelles Umfeld für alle schaffen möchte, was wird dieser erwarten dürfen? Wir haben gesehen, was Berlin mit Galeristen macht, um sie zu vergraulen. Wir sehen, wie schwer es ist, neue Kulturräume in der Lichtenberger Herzbergstraße in Berlin zu etablieren, weil die Bauvorschriften für Gewerbegebiete angeblich keinen Kulturraum zulassen.

Sieben Punkte zur Glückseligkeit

Unter diesen Prämissen hat sich Berlin mit dessen Instrument VisitBerlin glorreiche sieben Punkte ausgedacht. Ein Bild mit jungen Menschen im urban garden soll hier als Aushängeschild dienen. So wie auf dem Bild sieht also der Besucher der Zukunft aus? Der erste Punkt ist die Pandemie-Sicherheit. Ganz sicher ist nur, dass eine Pandemie im Raum steht. Sicherheit gegen sie gäbe es, wenn die höhere Politik irgendeine Regel länger als 14 Tage gelten lassen könnte oder wenigstens in derselben Stadt die Ortspolitik nicht in jedem Bezirk unterschiedliche Regeln vorherrschen lassen würde. In manchen Bezirken sollen sogar zwei Regeln, abhängig nach Wohnort und Arbeitsplatz des angesprochenen Menschen Geltung haben. Also doch Brandenburger Touristen zum Maßstab machen? Nur Brandenburger können so kurzfristig und kostengünstig umplanen, wie sich die Vorschriften ändern. Der Gipfel der naiven Frechheit ist, dass man mit dem Besucher „Verhaltensregeln“ einüben will. Glaubt die Senatsleitung, dass es das Virus nur in Berlin oder Deutschland gäbe und dass der Tourist noch nie etwas von Abstand, Maske oder Händewaschen gehört hätte, als käme er aus imaginären Drecksländern?
Es bleibt aber die Hoffnung, dass es den Virus irgendwann nicht mehr anders geben wird als den der Grippe. Dann wäre wenigstens dieser Punkt, der in 2022 (!) nach 2 Jahren Konzeptbearbeitung im Raum steht, obsolet.

Was nun unter stadtverträglichem Qualitätstourismus verstanden werden soll, verrät auch Punkt 2 des neuerlichen Konzeptplans nicht. Nichts Konkretes. Wünscht die Senatsverwaltung aus den heutigen Besucherströmen deren Reduzierung auf ein bestimmtes Besucherfragment, so werden zwangsläufig andere Menschen vor den Kopf gestoßen. Es bleibt hierzu nur zu hoffen, dass die Definitionen und die Identifikationen von Potentialen nur Buchstaben auf dem Papier bleiben. Typische Beraterfloskeln, die niemand versteht, sind ungefährlich, solange niemand etwas Konkretes unternimmt. In der „neuen Logik“ werden „zwei zusätzliche Merkmale zum Begriff Nachhaltigkeit“ definiert. Die durchweg als weiße Personen dargestellte Figuren sollen vermögende, bürgerliche 45jährige mit Kindern, die im eigenen Haushalt leben, sein. Außerdem sollen die Besucher gern nach Berlin reisen, Vielfältigkeit und Variation zu schätzen wissen, freundlich und gutherzig eingestellt sein, unerwünschte Verhaltensweisen vermeiden und anderen Menschen respektvoll begegnen. Diese infantile Denkweise hat man nach dem Schema der Einreisegespräche in die USA oder nach Israel nachempfunden. Die neue Berliner Mauer muss nur mit genügend pädagogischen Beamten ausgestattet werden, um Einreiseanträge nach den Vorgaben der Berliner Politiker zu prüfen und einkommensschwache Lust-Touristen, die nur in Bars abhängen wollen, die Berlin nur als eine Stadt unter vielen Städten sehen, und die noch die Gefahr bedeuten, desinteressiert das geltende politische Raster abzulehnen. „Touristisches Wohlwollen“ könnte durch eine Prüfung auf Antrag der persönlichen Zuverlässigkeit des „gutherzigen“ Touristen vor Reisebeginn dahingehend objektiviert werden, dass der Besucher nachweist, sein Einkommen sonntäglich an gemeinnützige Organisationen gespendet zu haben (14%; der Koran verlangt 10% als Zakat).

Man kombiniert also in Berlin die Vorstellung der Weltpolitik für Besucher mit starren Einreisedefinitionen zu fixen Preisen und vorfixierten Destinationen. So soll der wirklich gewünschte Besucher in 1stClass Hotels oder Luxus-Ferienwohnung buchen und Mittelklasse-Übernachtungen nicht nutzen. Er bleibt einen Tag länger als der Durchschnitt und geht erst am stinkenden 4. Tag.
Apropos: Eine gemeinsame Buchung mit Freunden über digitale Plattformen soll auch nicht nachhaltig sein.

Nummer drei sind die Datenerfassung und deren Monitoren. Beides war lange ersehnt im Glauben, dass dadurch, „Bauchentscheidungen“ der Politik reduziert werden würden. Was man mit den Daten tun will, steht aber auch schon fest: Besucherlenkung. Was macht man da nur mit den bösen Besuchern, die sich nicht weg von Mitte lenken lassen wollen? Schließt man gewisse Sehenswürdigkeiten während des Sommers? Dynamische Preisdemotivation? Besucher lassen sich nur schwer mit Gewalt lenken, aber gerne überzeugen.

Der Punkt vier des Berliner Plans für eine „schiefe Schlachtordnung“ lautet Zugang zu Fördermitteln und Weiterbildung der Unternehmer lenken. Das Problem dabei wäre, dass die Bewerter von Fördermitteln meist den Markt oder die Bedeutung eines Unternehmens nicht zuverlässig einzuschätzen wissen. Die Profiteure solcher Maßnahmen sind meist und ausschließlich die Unternehmensberater. Die Zahl der Unternehmensberater in 2020 hat sich im Vergleich zu 2019 wieder fast verdoppelt. 184.000 Beraterindividuen mit fast 35 Milliarden Euro Umsatz jährlich sind entstanden. Man entfremdet sich also dem Steuerzahler, der dachte, die gewählten Politiker wüssten, was sie wollen. Sie wissen es aber nicht, wenn sie Steuermittel, in Taschen von Beratern stecken. Auch das sehen die Politiker nicht, die nur sagen können wollen, man habe zwar alles getan, sei aber am Unmöglichen gescheitert, wofür man keine Verantwortung trage. Da ist jeder youtube-chanel günstiger und meist effizienter als die Pseudohilfe zu Gunsten parasitärer Beraterhorden. Ganze 25.000 Beraterhorden gibt es. Wüssten diese alles, hätten sie echte Unternehmen und würden produktiv Werte schaffen.

Punkt fünf ist ähnlich wie das 5. Gebot: vernünftig. Digitalisierungshilfe zu Besucherströmen, Vermarktung und alles, was die Attraktion direkt und selbst verbessern kann. Das ist durchaus ein großes Plus. Jedenfalls wäre dies deutlich günstiger, als Kongresse und Messen zu organisieren, wie man es vor der Wende noch tat. Früher kamen von überall her Menschen angeflogen, aber am Ende wurde nichts durch Gedankenaustausch gewonnen. Das alles ließe sich durch andere Formate bereits ersetzen, ohne die Notwendigkeit, reisen zu müssen (Punkt 6).

Zuallerletzt werden die so genannten Stadtbewohner auch nicht vergessen. Denen soll erklärt werden, dass ihre Arbeitsplätze von der Vielzahl an Restaurants, den Clubs, und den Parkanlagen abhängig sind. Ebenso würde sich der Stadtbewohner weniger aufregen, wenn die Straßen je nach einer Nutzung durch höhere Frequenz wieder ordentlich gereinigt, wenn den tausenden Obdachlosen eine Unterkunft gebaut und, wenn die halbe Million Europäer in Berlin als Stadtbewohner mitgezählt werden würden.

Man könnte auch nachhaltig effizient die Rekordzahl an Bundestagsabgeordneten (739), die parlamentarischen Staatssekretäre (36) halbieren und die kürzlich genehmigten 146 Zusatz“Spitzen“beamtenstellen wieder streichen. Dann sparte man jährliche Kosten in Höhe der doppelten Berliner CityTax. Aber lassen wir doch einfach mal die demokratisch gewählten Idealisten machen: nach Herstellung starrer Qualifizierungssegmetierung und automatisierter Menschenbestimmung werden wir noch sein: Niemand


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Sightseeing

Januar-Kolumne

1. Januar 2022

Sightseeing in Berlin

Berlin als Sehenswürdigkeit

In Berlin darf man nicht mehr tanzen: dazu gehören nämlich mitunter wilde Bewegungen, und die sind verboten. Das ist wohl die derzeitige Spitze an nutzlosen Maßnahmen, wobei man es bei Behörden schon seit fast zwei Jahren ohnehin nicht mehr schafft, einfach antanzen zu dürfen. Wie können wir es also schaffen, dass Berlin wieder Bewegungsfreiheit für Besucher und Bewohner erhält?

Gut 300 Hektar Park – das entspricht dem Platz für 450 Fußballplätze – sind mitten in Berlin freies Feld: Der ehemalige Flughafen Tempelhof, den das Land für 35 Millionen Euro erwerben konnte. Bereits 2008 ist der Flughafen geschlossen worden. Seitdem streiten politische Parteien über dessen Nutzungsvarianten. Braucht man die historischen Flughafen-Gebäude überhaupt noch oder kann man sie umnutzen? Gerichtsvollziehereien haben sich dort eingenistet.

Großstädte wie Paris beneiden Berlin für eine derart gigantische Fläche intra muros. Paris musste seinerzeit Hallen abreißen, um sein „Centre Pompidou“ bauen zu können. Das hätte Berlin nicht nötig: Es hat Platz für immer neue Sehenswürdigkeiten. Für einen Hauptbahnhof (fertiggebaut 2006) mit fast 400 Metern Gleislänge, für einen Kurfürstendamm, ursprünglich als Dammweg durch die Lücke und Brüche zwischen dem Berliner Stadtschloss und dem Jagdschloss Grunewald gezogen, der seit 1886 Boulevard-Straße mit einer Gedächtniskirche für Kaiser Wilhelm I (+ 1888) ist. Den Alexanderplatz in Mitte will man seit langem komplett neugestalten. Er bleibt nach dem russischen Zaren Alexander I. benannt, dem Preußen seine Befreiung von 1813 verdankt. Von dort zieht es die Touristen westwärts über die Karl-Liebknecht-Straße zur Museumsinsel (seit 1999 UNESCO-Weltkulturerbe) hinüber. Links und rechts dieser Pracht-Avenue sehen sie die zwischen 1830 und 1930 von fünf Architektengenerationen konzipierten Monumentalbauten (den Königen sei Dank). Die U5 wurde verlängert und hält inzwischen am modernen heutigen Humboldt Forum, das den Platz des Palastes der Republik eingenommen hat. Dessen Erbauer hatten das Hohenzollernsche Stadtschloss wegsprengen lassen, an dessen Silhouette das demokratisierte Humboldtforum erinnert.

Zentraler Demonstrationsplatz

Viele wissen nicht oder bekommen nicht mit, dass in Berlin mehr als 5.000 Demonstrationen pro Jahr stattfinden (jedenfalls bis 2019), was täglich durchschnittlich 14 Demonstrationen bedeutet. Was chinesische Besucher sicher als sensationell wahrnehmen, erscheint Berliner*innen als banale Belästigung, denn sie bleiben unerwartet im Verkehr stecken oder müssen sich über Einbahnstraßen um Straßensperrungen winden. Warum nutzt man nicht den ehemaligen Flughafen Tempelhof als zentralen Demonstrationsplatz? Man könnte so eine neue Sehenswürdigkeit schaffen und gleichzeitig die Straßen der Stadt entlasten. Keine Demonstration wäre dann mehr in der Stadt erlaubt – es schaut ohnehin niemand mehr hin.

Man könnte sich im Netz auf www.demonstration.berlin informieren, wer heute gerade wofür oder wogegen demonstriert. Die Regierung kann man zwingen, von der Demonstration Kenntnis zu nehmen, indem die glatten Fassaden des Bundeskanzleramts und der Gebäude der Abgeordnetenbüros als überdimensionale Bildschirme genutzt werden. In der Größe, die vergleichbar den bekannten Piccadilly Lights in London sind, könnte man an sämtlichen Hotspots der Stadt einen Livestream installieren. So gewinnen beide Seiten: die Stadt wird von Straßenbehinderungen befreit, die Demonstranten gewinnen eine breite Aufmerksamkeit und sind überall in der Stadt zur gleichen Zeit und international sichtbar. Das zeugt nicht nur von Effizienz, sondern ist gelebte Digitalisierung.

Selbstverständlich müssten Demonstrationen sofort wieder erlaubt werden. Im Tal der Ahnungslosen und im restlichen Sachsen sind Demos nur bis zu zehn Personen gestattet. Für Sachsen wäre Berlin um eine echte Sehenswürdigkeit reicher: die Stadt der Freiheit würde zur vorbildlichen Hauptstadt werden. Die sonst desinteressierten internationalen Medien würden wieder mehr als nur von einer „German Angst“ berichten.

Mobilitätswettbewerb

Damit scheidet im Streit um die Straßennutzung schon eine Teilnehmergruppe aus. Es verblieben die Nutzer von fast drei Millionen Fahrrädern gegen 1,25 Millionen Halter von Motorvehikeln in Berlin, die beide im Wettbewerb mit etwa 1.400 Bussen stehen. In Paris entstehen im Kampf gegen Autos überall Fahrrad-Straßen, die eine flüssige Zirkulation von Autos unmöglich machen. So will man Autos aus der Innenstadt verdrängen. In der bayerischen Landeshauptstadt München, der früheren Hauptstadt der Bewegung, dürfen nur noch Carsharing-Fahrzeuge in der Innenstadt parken. Ist man dort für oder gegen Bewegung? Berlin wees es noch nüscht so recht.

Streckenweise hat man, wie zu Zeiten der Mauer, die Friedrichstraße für Autos unterbrochen. Um die prachtvollen Neubauten (etwa um das Humboldt Forum) herum hat man sogar auf Busparkplätze verzichtet. Wozu wären sie gut? Es gibt die Haltestelle der U5. So vermeidet man das Aufkommen von Touristen, die noch dem Verbrennungsmotor huldigen. Leider behindert man auch den (elektro-)motorisierten Verkehr, den man eigentlich fördern will. Moderne Brücken werden mit „Fahrrad-Vorrang“ gebaut. Auf älteren Brücken verengt man die Fahrwege. In der Kantstraße oder neuerdings auch auf der Frankfurter Allee und auf der Karl-Marx-Straße werden die Fahrzeugspuren halbiert.

Buße bis zum absoluten Stopp

Den Kampf gegen Autos führt man in Berlin sehr subtil. Die Bezirksämter sind inzwischen angewiesen, keine Parkvignetten mehr auszustellen – auch nicht für nachgewiesene Berufstätigkeit, schon gar nicht für die Handwerker und auch nicht für ambulante Pflegedienste. Kategorisch werden diese Autonutzer genötigt, die sich laufend erhöhenden Parkgebühren zu begleichen. Ist es denkbar, dass die Autofahrer ähnlich wie Impfverweigerer ohne Impfpflicht zum Stehenlassen des Autos genötigt werden sollen? Dass ein ambulant arbeitender Pflegedienst entscheiden könnte, zur Pflege gewisser älterer Personen, die „falsch“ wohnen, gar nicht mehr zu fahren, weil sein Pflegepersonal zu Fuß zu weite Strecken absolvieren müsste, daran denkt ein Verkehrsplaner nicht. Man verschärft diese Situation noch: mit einem neuen Bußgeldkatalog. Wer ohne Ticket oder gar falsch parkt, wird gebüßt und sogar bepunktet.

Das betrifft ausnahmslos alle, also auch diejenigen, die Besucher-Rundfahrten veranstalten: Ein Stadtrundfahrtenbus bekommt keine Haltestelle in Berlin, dafür aber einen Punkt und 70€ Bußgeld, wenn er „wild“ hält und einen Berlin-Besucher in zweiter Reihe „behindernd“ aussteigen lässt. Das wird im Gegensatz zu allen anderen deutschen Städten in Berlin durch Ordnungshüter-Horden stur angezeigt. Kalkuliert man auf der Basis von 70€ pro Bus nur zwei verzeichnete Ordnungswidrigkeiten pro Tag, hagelt es 140€ Bußgeld (kann bei Wiederholung verdoppelt werden) täglich (nicht steuerlich absetzbare 51.000€ p.a. und Bus) auf den Tisch des Hauses, und in die Kassen der Stadtkämmerer Millionen Euro pro Jahr für Busse und Bußen. Volkswirtschaftlich betrachtet benötigt der Betriebswirt dafür gut 4.000 (18,80€/Ticket ohne Nebenkosten, nach Steuern) Touristen pro Bus mehr in Berlin, um diese Bußen betriebswirtschaftlich zu neutralisieren. In Berlin sind ein halbes Dutzend Busunternehmen zur Stadtführung unterwegs. Ganz nebenbei bemerkt fließen die gut sechs Millionen Euro Falschparkereinnahmen pro Jahr allein im Bezirk Mitte nicht wieder in die Sanierung von Straßen oder den Bau von Haltestellen, wie man erwarten dürfte. So dürfen derzeit Doppeldecker-Busse aufgrund des maroden Straßen-Zustandes „Unter den Linden“ nicht mehr befahren.

Damit aber nicht genug: Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes erlaubt das mehrfache Falsch-Halten auch, die Fahrerlaubnis aufgrund mangelnder Zuverlässigkeit einzuziehen – für Busfahrer ebenso wie für die Geschäftsführer des Bus-Unternehmens. Und um die Perversion von Zwang komplett zu machen, soll künftig die mangelnde Anzahl an Ordnungspersonal (nur teilweise krankheitsbedingt bis zu 101 Tage daheim) durch ein neuartiges Kamerasystem ausgeglichen werden. Berlin schickt dann Bußgelder aus Automaten, wenn ein Bus der Touristik ohne eine ausgewiesene Parkbucht anhält (die es ja nicht gibt). Der Führerscheinentzug wird dann wohl einige Wochen später genauso automatisch folgen. Man bekommt doch schnell die acht vorgeschriebenen Verstöße zusammen, um seinen Schein für bis zu fünf Jahre los zu sein. Aber alternativlos sind wir nicht: Besser keine Touristen mehr chauffieren und kein Busunternehmen führen; solche Unternehmen braucht Berlin eh nicht wirklich. Strom kommt aus der Steckdose, Steuereinnahmen werden künftig vermehrt gedruckt.

Entschleunigung auf der Straße

Wenn der Wohn-Berliner dann trotzdem noch hinter einem der dutzenden Touristik-Busse herzuschleichen hat, kann er viel Spannung abbauen, wenn er von alledem weiß. Heute ist sein ohnehin angespanntes Nervenkostüm noch dem Platzen nahe, wenn er hinter dem Bus herzotteln muss. Er beginnt, seine Wut auf die Touristen zu sublimieren (würde Sigmund Freud analysieren). Zu Unrecht: Denn in den Wohnkiezen (z.B. in Friedrichshain) hat man zur Fahrzeugabwehr auf kurzen Straßen alle fünf Meter zwei Bodenfallen eingebaut, die man nur mit weniger als 5 km/h Maximalgeschwindigkeit schadlos überwinden kann. Sogar die in einem Transportfahrrad mitgenommenen Kinder oder die besorgten Einkäufe hüpfen da schon mal unfreiwillig einen halben Meter in die Höhe. Bei mehr als 5 km/h landen sie dann außerhalb des Korbs. Auch Rettungsfahrzeuge trifft es härter: sie müssen wegen der Eile ihrer Mission, die nicht „impossible“ werden darf, umweltschädliche Umweg-Kilometer fahren. Man müsste besser für diese Kategorie von Motorfahrzeugen die Gehwege so verbreitern, dass amtliche Fahrzeuge wieder frei rasen können und nicht durch künstliche Zwangssackgassen an ihren Aufträgen scheitern. Für den touristischen Laien muss es allerdings ein stilles Vergnügen sein, am Landwehrkanal vom Bus aus auf die parkfreien Häuser zu schauen. Für den Einzelhändler bedeutet diese Freiheit wahrscheinlich das Ende seiner freien Existenz.

Die Umwidmung der Straßen durch Initiativen wie „Die Straße gehört dem Menschen“ kannten bisher nur die Delawaren auf dem Broadway. Straßen im alten Rom waren nicht nur für Fußgänger angelegt; bei uns holt man das Versäumte nun langsam nach. So kann die Politik den Rückgang von passierenden Fahrzeugen auf gut 16.000 pro Tag in der Kantstraße feiern: ein Viertel weniger Verkehr. Dass die Autos nicht weg sind, sondern nur woanders fahren, fällt in der Kantstraße wie in der Friedrichstraße natürlich nicht auf. Denn die Politik schaut nicht so weit über den Straßenrand zur Charlottenstraße hinüber, wo es sich nun staut. Diese Nebenstraße ist auch nicht dafür ausgelegt, den Verkehr der Friedrichstraße zum Gendarmenmarkt aufzunehmen. Genauso fahren die touristischen Busse nicht mehr über die Kantstraße zur Zitadelle Spandau oder über die B1 (Frankfurter Allee) zum Schloss Biesdorf. Dafür brauchten sie neuerdings eine Stunde, wenn sie von Mitte aus starteten. Die Nachfrage nach solchen Touren fehlt schlichtweg. Es geht aber auch schon nicht mehr um Nachfrage, sondern um reinen Idealismus.

Die Deutsche Bahn

Die Prinzipien von Nachfrage und Marktwirtschaft mussten auch der pro Jahr gut zwei Milliarden Euro verbrennenden Deutschen Bahn auffallen. Sie stieg vor nicht allzu langer Zeit in den Markt des internationalen Touristik-Reisebusverkehrs ein. In Polen bot die deutsche Bahn das Bus-Ticket zum doppelten Preis des dortigen Wettbewerbers an. Das deutsche Argument, dass die höheren Preise zur Finanzierung u.a. von Umweltprojekten und Personalsondervergütung verwendet werden, überzeugte den Touristen nicht, fiel den mit 30 Milliarden Euro verschuldeten Bahn-Lenkern aber zu spät auf. Die Deutsche Bahn verbrannte ungestraft gute 10 Milliarden Euro Steuergeld im Ausland und feuert damit munter weiter, indem nun auch Stadtrundfahrten von der Deutschen Bahn angeboten werden. Unverständlich, warum sich die Deutsche Bahn als Staatsbetrieb überhaupt mit Stadtrundfahrten beschäftigen soll. Es ist Zeit, die Deutsche Bahn aufzulösen und nur solche staatlichen Betriebe zuzulassen, die den Staatsaufgaben entsprechen: zu den Infrastrukturaufgaben gehört deren Nutzung durch staatlichen Stadttourismus ganz sicher nicht. Sollen Überschüsse wieder in einem Verlustkonsortium untergehen? Es ist geradezu eine Pestilenz oder Pandemie geworden, dass Staatsbetriebe private Aufgaben übernehmen und denjenigen Wettbewerb machen, die sich nicht mit unendlichen Gelddruckmitteln helfen können. Innovation sollte durch Vernunft und nicht mit Haufen von Geld in trial and error bewirkt werden.

Wie soll es also für uns weitergehen? Wie kann man die Steuermittelver(sch)wendung demokratischer gestalten und Berlin attraktiver für Bewohner und Besucher machen?

Politisches Sightseeing

Wir haben 69 Shopping-Center in Berlin, wovon die Hälfte nahezu ausschließlich Touristen anzieht. Hier könnte der Senat einmal wöchentlich über aktuelle politische und sehr regionale Themen abstimmen lassen. Es wäre doch ausgesprochen demokratisch, wenn es dem Wohnberliner gelänge, alle Bevölkerungsgruppen über konkrete Umgestaltungen direkt abstimmen zu lassen und nicht nur auf das radikal formulierte und besonders laut skandierte Wort von Minderheiten zu hören. So könnte Berlin seine Wohnbevölkerung direkt befragen, die Meinungen digital orten und demografisch auswerten, wenn eine bestimmte Straße als autofrei zur Diskussion steht oder ein Bushalteplatz am Humboldt Forum entstehen soll.

Das gälte auch für andere Dinge wie Parklets nebst grün gemalten Punkten für 1,6 Millionen Euro auf der Bergmannstraße. Oder wenn Schlaganfallfahrzeuge für die Notfallversorgung der Bevölkerung gestrichen werden sollen. Man muss nur sicherstellen, dass alle Altersgruppen und sozialen Schichten tatsächlich mitstimmen. Motivieren könnte man mit Einkaufsgutscheinen und Buffeteinladungen. Eine Abstimmung mit Fragerunde an den/die Senator/Senatorin an jedem Mittwoch in der East Side Mall oder den Potsdamer Platz Arkaden würde außerdem diese toten Orte durch die Präsenz von Wohnberlinern beleben.

Internationalität als Wertschätzung

In der internationalen Berichterstattung hat der Antrag vom Dezember 2021, Techno als immaterielles Kulturerbe bei der UNESCO anzuerkennen, ein breites Echo ausgelöst. The Guardian, The Times, ARTE usw. berichteten aufgrund dieses Antrags über die Club- und Techno-Kultur in Berlin. International wird Berlin an sich als Sehenswürdigkeit („Immer eine Reise wert“) wahrgenommen. Warum geben wir das nicht zurück? Man könnte beispielsweise englische Wochen einrichten, wenn diese im Verhältnis ihrer Einwohnerzahl die meisten Besucher in Berlin darstellen. Als Dankeschön könnten alle Engländer einen Tag pro Jahr überall kostenfrei Eintritt erhalten oder eine Hotelübernachtung geschenkt bekommen. Alle anderen Nationen würden motiviert, im nächsten Jahr die Nummer 1 zu werden. Man könnte solche Wochen auch in besucherarmen Jahreszeiten platzieren oder die Top 3 entsprechend bepreisen. Die City Tax von 51 Millionen Euro gibt das locker her.

Vielleicht brauchen wir aber einfach nur mehr Gelassenheit. Denken wir an den Asteroiden 4660 Nereus, der sich der Erde immer wieder nähert. Sollte er bei seinem nächsten Besuch im Jahr 2031 Europa plattmachen, ist es auch egal, über welches Rad, Auto oder welchen Bus man sich zuvor geärgert hat. Das Leben ist einfach zu wertvoll, um sich jeden Tag zu ärgern. Oder hören wir auf YouTube unseren alten Berliner Otto Reutter: „In 50 Jahren ist alles vorbei“.


Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Geschäftsführender Gesellschafter der
Muson GmbH und Mitglied im INTOURA e.V.

Dezember-Kolumne

1. Dezember 2021

Berlin 2021: Ein Wintermärchen

Oder: Die Schlüsselübergabe an den Staat

In jedem Jahr sind November bis März die Monate niedriger Besucherzahlen in touristisch attraktiven und gut erreichbaren Städten. Die Besuche von Menschen fallen um bis zu 80% ab, auch die Besuche von Attraktionen, Restaurants oder Sehenswürdigkeiten. Berlin hat im Gegensatz zu anderen Städten in den letzten 15 Jahren zusätzliche Aktionsfelder erschlossen: erstklassige Sportvereine, große Neubauten für Kunst und Kultur, die Professionalisierung der Gastronomie und der Unternehmen und eine zunehmend internationale, junge Bevölkerung sind ein weiteres „Plus“.

Der Status in Berlin

Der Berliner ist folglich verwöhnt. Das hat auch Tradition: in den 1920er-Jahren herrschte hier die Freiheit einer aufstrebenden Industriestadt mit vier Millionen Einwohnern. Trotz einiger sozialer Probleme vibrierte die Stadt vor Vitalität. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges entstand ein subventioniertes Berlin auf seinem „Bein West“ und dem „Bein Ost“. Man musste sich nicht sehr weit vom Sofa erheben, um Kunst, Kultur oder Sport zu erleben. Deshalb kam mit der hohen Arbeitslosigkeit in den 1990er-Jahren eine gewisse Gleichgültigkeit auf. Fußball, mehrere Opernhäuser bis hin zu hunderten Clubs sorgten für innerstädtischen Spontan-Tourismus. Handball, Volleyball, Eishockey und natürlich Basketball boten in 2.000 Sportvereinen (heute 2.500) so viele Möglichkeiten des Vergnügens, dass echte Zweitklassigkeit für den Berliner gar nicht in Frage kam, war man nicht eingefleischter Fan. Inzwischen ist gut die Hälfte der Berliner Bevölkerung durch den demografischen Wandel ausgetauscht.

Was haben wir also heute? 147 Museen und 391 Ausstellungen boten sich 2019 feil. Gute 14.000 gute Menschen lebten hier gut von Musik, organisiert von fast 250 Clubs und 10 Orchestern und zwei Konzerthäusern sowie 1.450 Musikunternehmen. Bei rund 10.000 Restaurants hat man eine opulente Auswahl. Viele rein vegane Restaurants, vorwiegend in Prenzlauer Berg und in Friedrichshain, haben inzwischen Konjunktur.

Noch nie waren so viele junge Studierende (200.000) in Berlin gemeldet. Sie drücken das Durchschnittsalter in dieser Stadt auf 42 Jahre herab.

Konstanter Gründerverfall

Und wie ist es heute? Wer lebt noch in Berlin mit der Idee, etwas Positives hinzuzufügen? Schauen wir uns die Gründerzahlen an: sie haben sich in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren fast halbiert. Die Quote liegt bei nur 1%, die meisten Gründer sind männlich. Die meisten Gewerbeanmeldungen fallen auf den Bezirk Mitte (gut 15%). Auch in Berlin ist die Anzahl der Neugründungen auf dem niedrigsten Stand seit 2010 – trotz der Anziehungskraft von Berlin auf viele Start-Ups. Dabei ist Berlin wohl die einzige Hauptstadt Europas, wo sich das Hauptstadt-Privileg negativ auf das BIP-pro-Kopf auswirkt.

Wie kann das sein? Warum also gründen immer weniger Menschen in Deutschland als Motoren der gesellschaftlichen Entwicklung ein Unternehmen? Weshalb besuchen immer weniger Berliner die Sehenswürdigkeiten Berlins, obwohl immer mehr Menschen in Berlin leben?

Politiker im Abseits

Schauen wir uns zuallererst die Politiker an, die unseren Stadtstaat lenken sollen: Es reicht zur Qualifizierung als Politiker in Berlin aus, Politologie oder Philosophie studiert zu haben und trotz fehlender fachlicher Berufserfahrung, dennoch als Senatsmitglied eine fast vier Millionen Einwohner zählende Stadt zu lenken. Das ist so, als würde man sich als Gastronom bezeichnen, weil man ab und an in einem Restaurant zu speisen pflegt. Der Start der ampeligen Bundeskoalition vor wenigen Tagen lässt zwar bereits an den Personalentscheidungen der Parteien zweifeln, aber auch unsere Parteien haben immer Recht, wenn sie einen fachgebietlich qualifizierten Biologen für einen Soziologen als Bundesagrarminister zurücksetzen. Auch viele Senatoren sind nicht erste Wahl hinsichtlich Qualifikation. Gemeinsam mit dem Wähler erwerben sie sowohl Berufs-, als auch Erfahrungen in ihrem Verantwortungsbereich. Farbe geht vor Inhalt. Mit nur jeweils fünf Jahren Lern- und Übungszeit wird es deshalb schwer, in dieser Stadt im Rahmen der Naturgesetze und Realitäten etwas zu schaffen. Leichter ist es, etwas zu verhindern. Also: wie „gestaltet“ die Politik den Lauf der nächsten 5 Jahre? Wie motiviert man zu Aktivitäten? In Berlin hat man nur einen Verbotskatalog. Frei nach der aktuellen Parole: „Verbote führen zu Innovation“. Logischerweise nur zu Innovationen auf Umwegen.

Verbotsmanagement

Das ist allerdings etwas ganz Neues. Die pädagogische Berliner Verbotspolitik denkt sich zunächst allerlei Ablenkungspreise aus, um zu dissimulieren, dass Unternehmen im Rahmen der Politik-Vorstellungen einer ideellen, realitätsfernen Politik unterworfen werden sollen. Dazu werden Ehrenpreise, Bezirkstaler, Bürgermedaillen, Preise für Demokratie und Zivilcourage, Frauenpreise, Demokratieverdienstkreuze, Inklusionspreise, Integrationspreise, Unternehmerpreise, Kulturpreise usw. gestiftet. Zusätzlich werden in Krisen wie der aktuellen beispielsweise Clubs durch Geld(druck)zahlungen ruhiggestellt. Und dennoch:

Auf dem Parkplatz vor dem Schloss Charlottenburg ist wegen des Berliner Alkoholverbots auf Grünflächen kein Weihnachtsmarkt aufgebaut worden. Weil die Fahrrad-Infrastruktur der Stadt nicht gefährdet werden darf, ist grundsätzlich auch jede Veranstaltung auf dem Nollendorfplatz vor dem Metropol-Theater verboten worden: dort befinden sich empfindliche E-Bike-Ladestationen. Aber wie können nun diese Verbote umgangen werden und zu Kreativität führen? Die Verbote sind so zahlreich und lassen trotzdem weder einen inneren Zusammenhang noch einen Gesamtkontext des Verbotswesens erkennen. Die Summe aller Verbote erlaubt nicht einmal Rückschlüsse auf künftige Verbotspläne des Landes. Man kann ihnen nicht einmal gehorsam vorauseilen als Unternehmer. Man entdeckt zu den Verboten zunehmend viele kollaterale oder „Neben“-Wirkungen, die seitens der Verbietenden gar nicht beabsichtigt gewesen sein müssen: Tätigkeitsverbote für ganze Branchenzweige, Verbote der Beschäftigung von Ungeimpften, Zugangsverbote trotz nachgewiesener (getesteter) Gesundheit, und – was man nicht zu glauben wagt – stundenlange Wartezeiten bei den Kindernotaufnahmen der staatlichen Krankenhäuser (nicht Covid19-bedingt) sowie die Erstürmung von ausnahmsweise erlaubten Veranstaltungen, die das Zeitlimit um mehr als eine Minute überschreiten.

Berliner Angebot

Obwohl das Berliner Angebot nach wie vor hoch ist, erfreuen sich gut 65% der Einrichtungen mit weniger als 100 Gästen am Tag. Nur 40% der Club-Besucher gehen öfter als einmal im Monat in einen Club. Wer an einem Montag morgen durch Friedrichshain joggt (und zwar angefangen mit dem RAW-Gelände, das gut 500 Meter lang ist, über das Berghain zum Ostbahnhof an der East Side Gallery über die Oberbaumbrücke am Wrangelkiez vorbei und am Treptower Park zurück über die Elsenbrücke an den Clubs des Osthafens vorbei), sieht dort immer noch Leben und Bewegung. Meist sprechen die Schwärmer spanisch, englisch oder französisch – kein Wunder. Fast eine halbe Million Bewohner Berlins sind Europäer anderer Länder. Wenn uns unsere internationalen Stadtbewohner noch am Leben halten, wie aktivieren wir nun die „Alt-Berliner“ für die Sehenswürdigkeiten der Stadt? Das wäre doch eine Winter-Herausforderung, sofern nicht entgegen dem Versprechen vor der Wahl abermals ein hilfloser Lockdown erzwungen wird. Schließlich hat es die Exekutive im Sommer routinemäßig versäumt, die Bevölkerung vor der Ansteckungsgefahr im Winter zu schützen. Außerdem hat man es unterlassen, in den letzten zwei Jahre die Krankenhaus-Infrastruktur zu verbessern. Hier regiert eine Diplom-Mathematikerin das Gesundheitsresort. Aktuell ist ihre Corona-Politik auf bürgerkriegsnahe Zustände ausgerichtet. Aber was dann?

Spirituelles Flair

Ist Berlin auch in der kalten Jahreszeit eine Reise wert? Ja, wenn man weiß, was man machen kann, dann „ja“. Wannsee ist beispielsweise zu kalt für manche, die es heiß mögen. Alles hat inzwischen auch etwas spirituelles Flair der 1920er-Jahre bekommen, wo es in Amerika die Prohibition gab. Illegale Spielhöllen von Al Capone müssen damals trotz staatlicher Verbote ein gutes Geschäft gewesen sein. Und nun Prohibition von coronisierten Treffen: Konspiration macht das Clubleben heißer. Im vorderen Raum nur geimpfte Gangster im Anzug mit Maske und auf Abstand, im hinteren Raum hinter schallsicheren Türen heiße Rhythmen für das lustige Volk. Wirklich, für die Zürcher Jugend ist Berlin eine Reise wert. Zürich gilt nur als halb so lustig wie der Wiener Zentralfriedhof.

Berlin ist wegen des Ernstes seiner „Alt-Bevölkerung“ nie eine Hochburg des Karnevals oder des Faschings geworden (sagt man so). Nur kommt aber darauf an, wie man die närrische Zeit definiert. Für den unkundigen Berliner sind Fasching und Karneval Jacke wie Hose. Aber zwischen Fasching und Karneval gibt es Unterschiede: In München (Fasching) findet „normal“ jeden Abend ein Ball statt, von „Der Amtsschimmel tanzt“ (Behörden- und Beamtenball) bis zu den berühmten Künstlerfesten. Das alles ist heute von Söder verboten. Warum: Katastrophenalarm, denn der Typ ist Franke (Beute-Bayer) und Protestant. Es könnten also auch Bayern aus Altbayern Berlin dank fränkischer Verbote entdecken. Maskierung ist Ehrensache, wenigstens Piratenlook mit Augenklappe. Die Cluböffnung orientiert sich an den Ankunftszeiten der Fernzüge. Was Berlin nicht offiziell haben muss, ist das sogenannte Faschingsprinzenpaar. Aber das hat Berlin immer: Bei uns in Berlin ist auf politischer Ebene immer Fasching.

Unterstellt, die Berliner Wahlen vom September 2021 (oder war es 1921?) seien doch gültig, wäre unsere Faschingsprinzessin Franziska I. und unsere Faschingskaiserin, Angela die Aufmerkelige, ein nur für die Faschingszeit geeintes Paar. Was diese in ihren Rollen nicht so alles anordnen: Masken im Freien. Natürlich: Der Karneval von Venedig hat es auch so. Gruppensex? Natürlich nicht. In welchen Haushalten leben heute noch ganze Gruppen zusammen? G3: Wunderbar! Das, was Berlin wirklich fehlt, ist nicht nur ein funktionierender Flughafen, sondern eine Technik, die die Holländer schon haben: dass man nach 20.00 Uhr zum Beginn der Tagesschau und zur politischen Befehlsausgabe für den morgigen Tag auch die Bürgersteige hochklappen kann.

Staatlich vergütete Freizeit

Der Berliner müsste doch sehr viel Zeit haben. Noch nie war die Anzahl öffentlich Bediensteter in Berlin so hoch (knapp 300.000 Beschäftigte) wie heute. Trotzdem leben 90% der Berliner in einer zivilen Parallelwelt. Diese Parallelwelterfahrung lässt alle über den Zeitablauf klagen. Wenn man sich als Gründer persönlich mit Wohnsitz anmelden möchte (zwei Monate), ein Transportmittel zulassen will (sieben Wochen), ein gegründetes Unternehmen registrieren und mit Steuernummer versehen lassen will (zehn Wochen), einen Gründerbonus oder ein Fördermittel ausgezahlt bekommen möchte (bis zu einem Jahr) oder gar bauen will (ein Jahr Bearbeitungszeit). Aber was macht der öffentlich Bedienstete nur mit seiner vielen Zeit?

Bis zu 101 Fehl(arbeits-)tage haben beispielsweise Ordnungshüter aus Berlin-Charlottenburg. Für die fast 35.000 Lehrer in Berlin sind durchschnittlich 96 Tage frei (Ferien + Krankheit), wobei sie nur 18,5 Arbeitsstunden pro Woche zu leisten gehabt hätten; bei einem Einstiegsgehalt von über 5.000€/Monat liegt man schon bei mehr als dem Doppelten eines Polizisten oder Krankenpflegers. Kindergärten haben 23 (!) Sonderschließtage pro Jahr. Dennoch bleiben die Berliner*innen zuhause und die übrigen jungen Berliner gründen immer weniger Unternehmen. Man stelle sich vor, was passiert, wenn niemand mehr ein Restaurant betreiben oder eine Ausstellung eröffnen will. Wer trägt dann künftig zur Finanzierung des Apparates bei, der unsere Gesellschaft lenkt?

Direkte Kompetenzträger

Es braucht also direkte Lenkungen der Unternehmer selbst. Entweder man lässt Verbände wie INTOURA mitreden, um nah am Boden der Realität Entscheidungen abzuwägen, oder man steuert einfach ideell weiter wie bisher an den Themen vorbei (siehe Tourismuskonzept 2018+). Der Runde Tisch Tourismus, staatlich organisiert, hat nur Stühle für den Schlaf-Verband Dehoga und andere staatliche GmbHs und öffentliche Einrichtungen aufgestellt. Sie schauen den Unternehmern zu. Dazu könnten gut die Hälfte aller Vorschriften schlichtweg gestrichen werden. Verschiedene Polizeibehörden könnten nach erfolgreicher Digitalisierung abgeschafft werden. Ohne Fremdbestimmung durch die unqualifizierte, inkompetente und oft nur imaginäre politische Exekutive wäre die Motivation zur Gründung wirtschaftlicher Unternehmen erleichtert. Natürlich bedarf es eines verlässlichen Entscheidungsdrucks. Dass das Land Berlin nach dem Volksentscheid zur Enteignung von Wohneigentum weitere Jahre abwarten will, hemmt kollateral auch so manche Instand- und Investitionsplanung. Auch sich ständig ändernde Fahrradstraßen-Ideen wie in der Friedrichstraße führen dazu, dass niemand eine Einzelhandelsfläche gestalten will, wenn er oder sie nicht abschätzen kann, wer die Straße überhaupt und wie nutzen darf. Was für Unternehmer eine Frage der Logik ist, interessiert die Politik und Verwaltung nicht mal am Rande. Auch die rein rechtliche Überprüfung administrativen Handelns oder von zivilrechtlicher Streitigkeit ist bedenklich geworden: jahrelange Prozesse sind hierzulande nicht selten; sehr viele Prozesse dauern schon in der ersten Instanz bereits mehr als 36 Monate. Das Gute an Berlin ist also, dass es sehr viel Potential hat bei so viel gepflegtem und faktischem Dilettantismus.

Konzentration auf Big Points

Will man außerdem so etwas wie Chancengleichheit als seriöse Komponente schaffen, muss die Infrastruktur für Frauen (Kinderbetreuung) und die für Flüchtlinge (kostenfreie Bildung) hergestellt werden. Vielleicht konzentriert sich die Politik besser ein Jahrzehnt lang ausschließlich auf die Big Points der Herausforderungen anstatt auf Preisverleihungen und kleinteilige Minderheitenforderungen. Dazu gehört die Erreichbarkeit jedes Ortes in Berlin und dem Speckgürtel mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die Schaffung von Wohnraum auf den Millionen Quadratmetern öffentlichen Baulands, die Energieinfrastruktur für Sonne und Wind und letztlich auch, dass Gerichte innerhalb kurzer Fristen Streitfragen entscheiden müssen und hierzu auch in die Lage versetzt werden. Nicht die Regulierung der privaten Initiativen und Initiatoren darf Schwerpunkt sein, sondern die Entschlackung des Staates und die Konzentration auf behördliche und gesellschaftliche Infrastruktur. Solange ein Staat seine steuerfinanzierten Infrastrukturaufgaben nicht im Griff hat, darf er einer Gesellschaft den Nährboden nicht durch Regulation entziehen.

Holt also Kompetenz in die Entscheider-Ebenen – das Know-how ist da, die Motivation und der Zugang fehlen. Schauen wir deshalb, ob die neuen Koalitionen denjenigen die Wege freiräumen, etwas zu tun, oder ob wieder nur denjenigen Raum gegeben wird, anderen zu sagen, was sie tun sollen. Dann bleibt Berlin nämlich ein dauerhaftes Karnevalstheater ohne zahlendes Publikum.


Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Geschäftsführender Gesellschafter der
Muson GmbH und Mitglied im INTOURA e.V.

November-Kolumne

1. November 2021

Die neuen 20er-Jahre in Berlin

Wenn das Kind den Unterschied zwischen Staat und Gesellschaft verkennt

 

Wer schon einmal das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven besucht hat, wird sich an eine gut geführte und spannende Ausstellung erinnern. Besucher bekommen dort am Eingang jeweils eine Figur zugeteilt, die tatsächlich gelebt und Deutschland verlassen hat. Die Geschichte zum Ende des 19. Jahrhunderts wird mit Menschen zum Leben erweckt, die aus wirtschaftlichen Gründen den Neuanfang in Nord-/Südamerika oder Australien unternommen haben oder in den 1930er-Jahren einfach politisch verfolgt wurden. Die Überfahrten waren anfänglich einige Monate lang, unbequem und kosteten viele Menschen das Leben. Dennoch fanden die Auswanderer bzw. Einwanderer bei ihrer Ankunft erstaunlich gut organisierte Empfangsabläufe vor – obwohl die Zahl der Einwanderer im Verhältnis zur Bestandsbevölkerung sehr hoch war. In den USA beispielsweise nahm die Gesamtbevölkerung zwischen 1870 und 1920 um den Faktor 2,5 zu. Eine organisatorische Meisterleistung würde man das heute nennen – ohne Digitalisierungsmöglichkeiten und als Willkommenskultur.

Schaut man sich die touristischen Hotspots an, liegt Miami mit einer Dichte (Anzahl Besucher im Verhältnis zur Einwohnerzahl) von 16,41 im globalen Vergleich vorne (Stand: 2019). Zahlreiche Städte sind weit vor Berlin, so zum Beispiel auch Dublin, München oder Dubai. Alle Flughäfen und Empfangseinrichtungen zeigen jeweilige Willkommenskulturen. Im Vergleich zu Miami hat Berlin weniger als 10% der Besucherdichte.

Wir Berliner haben uns fest vorgenommen, wichtige Menschen für die Zukunft der Stadt als unsere Gäste zum Essen einzuladen. Von diesen Menschen hängt die Weiterentwicklung der Stadt ab. Es sind Personen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. Sie sollen am über Jahrzehnte gebauten Multimilliarden-Flughafen BER ankommen und wieder abreisen. Es ist aber wie in jedem gastfreundlichen Lokal, jeder Sehenswürdigkeit oder bei jeder Dienstleistung: Empfang und Verabschiedung sind die wirklich wichtigen Momente, um zu beurteilen, ob etwas funktioniert oder nicht. Wer die Zeitungen des Monats Oktober gelesen hat, stellt fest, dass die katastrophalen organisatorischen (staatlichen) Abläufe im Flughafen als Siegel der Stadt herhalten müssen: Lange Schlangen und verpasste Flüge sind Standard am BER, man sollte zwischendurch fünf Stunden vor Abflug erscheinen. Da fliegt man besser gleich von Leipzig aus. So kommt es auch, dass man als Straßenbahnnutzer neuerdings langsamer durch Berlin fährt als mit dem Bus. Es ist hinsichtlich der Planung und Durchführung wie ein Spiel von Kindern, die auf dem Brett und in Theorie lernen sollen, was geht und was nicht. Kinder haben naturgemäß zwar keinerlei Qualifikation oder Erfahrung, aber was soll`s, immerhin wird es ein lustiges Spiel für Außenstehende. Folgen jetzt wieder ganze vier bis fünf Jahre lang dieser Belustigung?

Jüngst hatte eine junge Abgeordnete, aus deren Listen-Mitte immerhin die neuen Senator/innen entspringen, öffentlich das gesagt, was wohl viele Menschen – und leider gerade die Jungen – denken: sie wolle gar keine berufliche Erfahrung, sondern freue sich, Berufspolitikerin zu sein. Die Kinder also sollen uns Unternehmenden sagen, wie ein Unternehmen funktioniert, und unsere Gesellschaft formen? Dauerhafte Schlechtleistung bleibt dann wohl gesichert.

Die Wahlen zum neuen Abgeordnetenhaus sind vorüber – natürlich wie man es in Berlin kennt: hunderte Wahlbüros hatten nicht genügend oder die falschen Stimmzettel. Es ist nicht einfach, im Einwohnermelderegister nachzusehen, wie viele Wahlberechtigte im jeweiligen Bezirk bzw. Distrikt gemeldet sind und dann die entsprechende Stimmzettelanzahl bereitzuhalten. Der gleichzeitig stattfindende Termin zum Berlin-Marathon war wohl auch überraschend. Wirklich aufgeregt hat sich dennoch niemand. Es ist für Berlin normal, dass nichts funktioniert. Behördentermine dauern hier Wochen, ob für das Automobil oder für sich selbst. Der Staatsdilettantismus auf Dritte-Welt-Niveau ist hier tägliche Übung. Aber wen wundert es: seit Jahrzehnten schafft es die Politik nicht, die grundorganisatorischen Themen eines Miteinanderlebens und die hoheitlichen Kernaufgaben eines steuergeldfressenden Staates in Berlin zu bewältigen. Vielleicht ist es aber auch nur eine politische Strategie, möglichst weltweit dauerhaft belustigenden Content abzuspielen, damit Berlin immer im entsetzten Auge der Online Community im Gespräch bleibt und Schaulustige anzieht.

Die Außeneinwirkungen, die diese Stadt im kommenden Jahrzehnt zu bewältigen hat, sind allerdings von ganz neuer Qualität: der Zuzug von Menschen, die Explosion der Energiepreise, Mobilität, Wettbewerb zu anderen Städten etc. Und jetzt muss man sich doch einmal fragen, wie Gesellschaft und Staat hierauf reagieren:

Der Staat reagiert mit immer hanebücheneren Ausführungsvorschriften und immer langsamerer Verwaltung sowie einer rechtlichen Kontrolle durch Gerichte, die aufgrund langer Prozessdauer keinerlei inhaltliche Bedeutung mehr hat. Wer fünf Jahre auf ein Urteil wartet, gewöhnt sich an das Fehlen einer kontrollierenden Justiz. Das reale Leben geht schließlich weiter. Das eigentlich Irre ist nun aber nicht, dass politische „Entscheider“ selbst nicht qualifiziert oder kompetent sind und auch nicht, dass der politische Nachwuchs sich lieber in den Seilschaftssumpf der Fiktion statt in das real wirkende Leben stürzt, sondern dass der Staat selbst nun private GmbHs gründet, um seine Unternehmenden schleichend auszurotten. Der Grund dafür, dass Exekutive und Legislative überhaupt irgendwas gestalten dürfen, ist der, dass es Private gibt, die erfolgreich Ideen bearbeiten und von ihrem Erfolg etwas abgeben, um Verwaltung und Parlamente finanzieren. Warum also nur ist man mit den Privaten so streng? Oder mehr noch: Warum werden sie bekämpft?

VisitBerlin mit seinen Hunderten Mitarbeiter/innen beispielsweise soll für Berlin als Marketing-Gesellschaft der Stadt aktiv sein und für Berlin werben. Besucher sollen herkommen, ihr Geld hierlassen, Berlin beleben und manche vielleicht davon überzeugen, zu bleiben. Wir haben uns in der Vergangenheit darüber echauffiert, als die Marketing-Idee durch das Tourismus-Konzept 2018+ hin zum pädagogischen Arm der o.a. Kinder umgeschrieben wurde, um in der Stadt der Freiheit die Besucher/-innen schon am Abreiseort zu qualifizieren und deren Wege hier in Berlin zu bestimmen. Inzwischen verkauft VisitBerlin an den Hotspots Berlins im Wettbewerb zu den vielen Herstellern und Händlern selbst immer mehr Souvenirs – beispielsweise als Wettbewerber im Humboldt Forum. Marketing zu betreiben ist sinnvoll, weil jeder einzelne Lobbyverband der Tourismus-, Hotel- und Gastronomie-Unternehmen zu schwach ist, um die Arbeit des internationalen Marketings in ihrer Gänze zu erledigen. Die Besucher lassen hier Geld, die Unternehmen beschäftigen Menschen und entrichten Steuern, um u.a. dieses Marketing zu finanzieren. Das ist der richtige Kreislauf. Diesen Kreislauf zerstört man nun, wenn die Türsteher staatlich unfrei sind und nun selbst Teile der Einnahmequellen übernehmen. Dieses Staatskorsett vernichtet nicht nur die Freiheit, sondern formt unsere Gesellschaft um – nicht zum Guten.

Die besagten Kinder gehen aber in anderen Bereichen noch viel weiter. Man erinnere sich an die Stelen an den Hotspots, die nur für Einrichtungen „nicht-kommerzieller“ Art werben sollen – also für den Staat und staatlich Subventionierte. Man treibt also die Touristen weg von den Steuerzahlern hin zu den Steuermittelverbrauchern. Ist das logisch?

Die Kulturraum Berlin GmbH ist ein weiteres Beispiel dieses Irrsinns. Diese weitere Staats-GmbH soll Kulturräume für Musiker, Maler und andere Künstler schaffen. So weit, so gut. Wir brauchen unbedingt Kreative in dieser Stadt, und diese benötigen auch Schaffensorte, die nicht durch hohe Mieten vernichtet werden. Was macht also diese Staats-GmbH? Sie mietet für einen kurzfristigen Zeitraum von 10 Jahren fremdes Eigentum zu Ausgaben in Millionenhöhe an, statt in einer der vielen leerstehenden Landes-Immobilien Raum zu schaffen. Anschließend vermietet sie diese Räume wiederum unter; zeitlich befristet an professionelle Musiker für weniger als 1€/qm kalt zu absoluten Kaltmieten ab 15€/Raum/Monat. Man kann sagen, sie verschenkt die Räume. Kein(e) Musiker/-in braucht einen Raum zum Preis eines Abendessens. Natürlich versteht Berlin auch hier nicht, dass die Millionen Steuermittel dann für andere soziale Projekte oder Infrastruktur fehlen. Die Kinder wissen es nicht besser und denken, dass Papiergeld einfach (armutsfördernd) gedruckt werden kann. Schlimmer noch: Sie verschenken diese Räume genau gegenüber von zwei privaten Häusern, die seit Jahrzehnten zur vollsten Zufriedenheit mit niedrigen Mieten die gesellschaftliche Aufgabe der Platzsicherung für Kreative vollzogenen haben. Diese müssen aber im Wettbewerb zur Staats-GmbH die Umnutzung überlegen, weil sie nichts für weniger als 1€ finanzieren können – also auch nicht die eigenen Mitarbeiter*Innen. Als privates Unternehmen ist man außerdem gesetzlich zur Gewinnerzielung verpflichtet. Neu geplante Musikerhäuser werden auch nicht mehr umgesetzt im Wettbewerb mit dem Staat.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Berliner Politiker selbst dann Mathematik nicht können, wenn sie vorbereitet vor die Presse treten und meinen, dass 5.000 Euro Corona-Soforthilfe bei gut 170.000 steuerzahlenden Unternehmen in Berlin 100 Millionen Euro ergibt. Schlimm ist es, dass seit Jahrzehnten Vorschriften von der Legislative geschaffen werden, die das Unternehmertum ständig einschränken. Unerträglich ist inzwischen, dass die Judikative quasi wirkungslos geworden ist. Wenn es jetzt aber so weit geht, dass geistige Kinder Staats-GmbHs gründen und Wettbewerb zu privaten Initiativen schaffen, die wiederum Steuern zahlen und von Personen geführt und gestaltet werden, die die Tätigkeit gelernt haben und/oder sie auch durch Berufserfahrung einfach können, dann steht uns zusammen mit den Außeneinwirkungen auf Berlin eine Zeit bevor, vor der jeder Angst haben muss. Insbesondere junge Menschen werden vom Zugang zu Finanzierung ohne Ideologie abgeschnitten und müssen sich hoheitlichen Strukturen unterordnen und warten, bis sie aufgrund von Zugehörigkeit alt genug sind, selbst Verantwortung übernehmen zu dürfen.

Chancengleichheit in unserer Stadt beginnt aber mit der Ermöglichung für alle (gleich welcher Herkunft, Anschauung, Geschlechts und finanziellem Background), unternehmerisch tätig zu werden und unsere Gesellschaft zu formen und den Staat mitzufinanzieren. Wenn der Staat jetzt selbst und ohne Not Unternehmer spielt, dann ist es vorbei mit Chancengleichheit. Das erstickt jede neue Idee und lässt jede Geldquelle unternehmerischen Elans versiegen.


Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Geschäftsführender Gesellschafter der
Muson GmbH und Mitglied im INTOURA e.V.

Oktober-Kolumne

1. Oktober 2021

Schafft der neue Senat endlich den Perspektiv-Wechsel?

Berlin hat gewählt – wer die Hauptstadt in welcher Konstellation künftig regieren wird, steht zur Stunde jedoch (noch nicht offiziell) fest.

Die mittelständisch geführten touristischen Attraktionen Berlins – unter ihnen nicht nur Anbieter von Stadtrundfahrten per Bus, Schiff o.ä., sondern z.B. auch zahlreiche Museen, Galerien, Ausstellungen und Theater – sind daher aktuell sehr besorgt, wie es künftig wohl mit der touristischen Vermarktung dieser Stadt weitergehen wird. Denn sie alle sind mehr oder minder auf touristisch getriggerte Erlöse angewiesen. Wofür es naturgemäß Touristen braucht…

Als Mitglied im Vorstand von INTOURA sind mir diese Sorgen nicht nur wohlbekannt – als Geschäftsführer des Wintergarten Varietés teile ich sie ausdrücklich, aus einer Reihe von Gründen:

Zwar wird in diesen Tagen sehr viel davon geredet, wie wichtig bessere internationale, vor allem Direkt-Flugverbindungen für das Gästeaufkommen in der Stadt wären, und damit für alle touristischen Anbieter.

Zwar werden mit erheblichem Aufwand aus Corona-Fördertöpfen fette bundesweite Werbekampagnen auf Plakaten und Social Media gefahren. Zwar werden auch die Berliner selbst, wie auch die Potsdamer/Brandenburger, nun zum wiederholten Male animiert, Berlin zu entdecken unter dem inzwischen bundesweit auch in anderen Städten praktizierten Slogan „Erlebe Deine Stadt“. Beides gedacht zum Wohle der Hotellerie, aber auch zahlreicher anderer Anbieter aus Gastronomie, Kultur und Entertainment.

Insgesamt jedoch scheint es ganz allgemein schlicht an einer vernünftig konzipierten, international ausgerichteten Marktforschung zum Thema Berlin-Tourismus zu fehlen.

Und eines der größten Ärgernisse in diesem Zusammenhang ist und bleibt der inzwischen seit Jahrzehnten beharrlich gepflegte Suggestionsversuch, der Berlin-Tourismus werde getragen von der Hotellerie der Stadt. Dies drückt sich erkennbar vor allem in der Kommunikationsstrategie der Verantwortlichen aus, wenn diese gefragt werden, wie es denn um den Berlin-Tourismus stehe.

Da werden stets zu allererst die Übernachtungszahlen der Berlinbesucher referiert – allerdings interessanterweise immer nur die der Übernachtungen in Hotels und Pensionen. Alle die Gäste der Stadt, die privat wohnen oder in Apartments auf Zeit, werden hier gar nicht betrachtet. Obwohl ja auch diese sogar erheblich zur gesamten touristisch getriebenen Brutto-Wertschöpfung der Stadt beitragen.

Und an dieser auf dem einen Auge blinden Fehlsicht des zu betrachtenden Marktsegments orientiert sich eben leider beständig auch die Strategie des Berliner Tourismus-Managements.

Bei allen Überlegungen, bei allen Zielsetzungen, bei allen gefahrenen Strategien wird immer zuvorderst darauf abgestellt, was zu tun ist, damit die Hotellerie gut dabei wegkommt.

Das verwundert natürlich nicht, wenn man weiß, wer zu einem gewichtigen Teil hinter der offiziellen Stadtvermarktungsagentur steht – die Hotellerie.

Bei aller Wertschätzung für diese ihr Geschäft zweifelsfrei exzellent beherrschende Branche – es sollten doch eigentlich bei der Kommunikation über das Thema Berlin-Tourismus endlich viel stärker diejenigen Erwähnung finden, die den Hotels der Stadt die Gäste anlocken, denen diese Häuser dann ein Zimmer vermieten können.

Die Besucher der Stadt, ob „echte“ Touristen, oder aber Kongressteilnehmer, Dienstleister und andere, würden ja nicht in diesen Größenordnungen kommen, wenn die Stadt nicht aus einer Reihe von anderen Gründen einen solchen Magnetismus ausstrahlen würde. Da ist zum einen erstmal die ererbte, weltweit durchaus einmalige Historie – aber eben auch die unschlagbare (und von visitBerlin verbal auch immer hochgepriesene), überbordende kulturelle Vielfalt der Stadt, die diese gleichermaßen attraktiv für Touristen wie auch für die Veranstalter von Städtereisen und Kongressen macht.

Nicht nur die Kommunikation sollte in dieser Hinsicht angepasst und neu ausgerichtet werden – auch und insbesondere die gesamte Strategie muss sich künftig viel mehr daran orientieren.

Und dazu gehört ganz elementar auch die Entscheidung darüber, welche Ressourcen wofür bereitgestellt und eingesetzt werden, welche Energien auf welche Felder und auf welche Kommunikationsaktivitäten geleitet werden. Und wer an diesen Entscheidungen mitwirkt.

Hier braucht es ganz klar einen deutlichen, längst überfälligen Perspektiv- und Paradigmenwechsel seitens der Verantwortlichen für das Tourismus-Management der Stadt:

Weg von der einseitigen Verhätschelung derjenigen, die erst ganz am Ende der Wertschöpfungskette profitieren von den Aktivitäten, vom unternehmerischen Mut und der Kreativität derjenigen, die zuvor den Boden eben auch genau dafür überhaupt erst bereitet haben.

Warum also eigentlich nicht endlich einmal hin zu einer neu gedachten Unterstützung aus dem Tourismus-Budget für all diejenigen Institutionen, die die Reusen erst füllen, aus denen dann die Übernachtungsgäste purzeln?

Dies erschiene umso wichtiger und gerechtfertigter angesichts der beschämenden Tatsache, dass eine ganze Reihe dieser touristischen Leistungsträger aus den diversen Unterstützungstöpfen des Senats traditionell bisher kaum einen Cent erhalten.

Nicht einmal die Gelder aus der City Tax – die doch ausschließlich von den Besuchern der Stadt aufgebracht wird – fließen in nennenswerter, nachvollziehbarer Größenordnung zurück zu den touristischen Leistungsträgern.

Obwohl doch diese Branche – zusammen mit allen, die ihr mehr oder weniger direkt zuarbeiten – unbestritten einen ganz erheblichen Beitrag zur Gesamtwertschöpfung Berlins leistet.

Dabei muss es gar nicht unbedingt zuerst um eine Wertschätzung gehen, die sich auch in finanziellen Hilfen ausdrückt. Auch ohne Geld in die Hand zu nehmen, kann etwas für die mittelständischen touristischen Anbieter getan werden. Weniger Behinderung durch unsinnige bürokratische Rahmenbedingungen wäre beispielsweise schon sehr hilfreich. Vor allem aber würde eine bessere Einbindung der Akteure in Planung, Steuerung und Finanzierungskonzept des Berliner Tourismus-Managements helfen. Eine größere Rolle eben, noch deutlich mehr Lautstärke bei der Kommunikation.

Es braucht also unbedingt das Bewusstsein für die Sinnhaftigkeit einer zweiten Ebene, auf der diese Institutionen ernst genommen, wirksam in Entscheidungsprozesse und strategische Weichenstellungen eingebunden, ernsthaft unterstützt und gefördert werden – damit sie nicht vielleicht morgen oder übermorgen von der so attraktiven Erlebnis-Bildfläche Berlins verschwinden und die Strahlkraft Berlins Schaden nimmt.

Denn dann wäre das Geschrei sicherlich groß. Und, wer weiß – womöglich kämen ein paar weniger Gäste nach Berlin, um die Betten der Hotels zu füllen (und die anderen natürlich auch).

Daher sollte der Fokus im öffentlichen Diskurs über den Berlin-Tourismus unbedingt – und unbedingt sehr rasch – vom einseitigen, scheuklappenartigen Starren auf die Übernachtungszahlen verlagert werden auf das, was wirklich zählt:

Auf eine erheblich zu verbessernde politische wie kommunikatorische, u.U. auch fiskalische Unterstützung all der Magneten des Berlin-Tourismus – beispielsweise, wie erwähnt, aus der City-Tax (aber auch die Bereitstellung anderer Haushaltspositionen muss ideologiefrei geprüft werden).

Auf die in den bisherigen Betrachtungen stets unterschlagene Bedeutung der touristischen Leistungsträger für die touristische Gesamt-Wertschöpfung Berlins – zu der doch zweifellos auch die mehr als beachtenswerten Effekte des Tagestourismus gehören, wie überhaupt die gesamte Umwegrendite, die das Gesamt-Spending der Gäste erzeugt. Und zwar nicht nur zum hart erarbeiteten Vorteil der diversen tagestouristischen Anbieter-Magneten selbst, ob Museen, Theater, Kinos, Stadtrundfahrtenanbieter, Zoo/Tierpark etc. – sondern eben auch zum Wohle vieler anderer Branchen und Anbieter, die mittelbar ebenfalls von der Kaufkraft der Tagestouristen profitieren.

Die nicht zuletzt wiederum die Steuereinnahmen mehrt.

In der Betrachtung des Berlin-Tourismus (fast) alles immer nur an den Übernachtungszahlen festzumachen, immer nur am Wohl und Wehe der Hotellerie – das ist einfach so klar zu kurz gesprungen, dass es endlich beendet werden muss.

In welcher Konstellation auch immer der künftige Senat die Hauptstadt in den kommenden Jahren regieren wird – er sollte sich diesem Perspektivenwechsel nicht verschließen.

Sondern endlich das Überfällige tun:

Die mittelständischen Attraktionen, die den Löwenanteil der Gäste maßgeblich erst für den Berlin-Besuch motivieren, müssen nicht nur als selbstverständlicher, ständiger Gesprächspartner akzeptiert werden. Sondern vor allem vom neuen Senat endlich auch in sämtliche Weichenstellungen und Entscheidungsfindungen einbezogen werden – gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit Hotellerie/Gastronomie, Kongresswesen, Einzelhandel und Club-Szene.


Über den Autor:

Georg Strecker ist Geschäftsführer des Wintergarten Varieté und Vorstandsmitglied im INTOURA e.V.

September-Kolumne

1. September 2021

Wahlen 2021 für Bund und Berlin

Dämonen der Mittelmäßigkeit

Die Wahlen stehen kurz bevor. Vielleicht lohnt es sich dieses Mal, ein wenig nachzudenken. Es ist zwar allgemein bekannt, dass Wahlversprechen in den seltensten Fällen eingehalten werden. Überlegen wir aber, was „allgemeine Wahlen“ eigentlich bedeuten: Die Allgemeinheit wählt für ihre allgemeinen Belange den Bundestag. Dieser hat, nebenbei erwähnt, das Maximum an Abgeordneten aller Zeiten erreicht. Er ist mit der Zahl seiner Abgeordneten nach China weltweit die personelle Nummer 2. Im Widerspruch dazu stehen die Fakten, nämlich dass der politische Spielraum der gewählten Regierung ein eng begrenztes Feld ist: finanziell von Haus aus, außer Haus durch das EU-Recht abgesteckt und geopolitisch auf die Grenzen des Schattens der USA vergattert. Das gilt für alle Farbkonstellationen von schwarz, grün, rot und rosarot bis gelb – und selbst für blau. Kann man sich deshalb den Gang zur Urne sparen und warten, wie Otto Normalverbrauchswähler entscheiden wird? Keine Partei in Berlin wird Alleinherrscherin werden; die Wahlprogramme werden deshalb reine Verhandlungsmasse unter den Parteibrüdern sein und in verwässerten Kompromissen aufgehen.

Das touristische Farbkarussell der Wahlen 2021

Jede Partei hält ihr Wahlprogramm für das Beste. Die einzelnen Punkte seien unverzichtbar für die Zukunft Berlins nach Vorstellung ihrer politisch bestimmten Listenrepräsentanten. Im Detail betrachtet können aber Kollateralschäden entstehen. Aufwendig umgebaute Elektrobusse kommen vielleicht nicht mehr bis Berlin, die Trabbi-Safari könnte ihre Gefährte zu Fahrrädern umbauen müssen. Ein verkehrsberuhigter Kudamm mit drei Metern Abstandsgebot hat nicht mehr die international beliebte Atmosphäre einer Metropole. Damit beginnt das Interesse der steuerzahlenden Unternehmenden und ihrer Teams am Personenkreis, der sich diesmal wählen lassen will. Schauen wir uns als Unternehmer im Bereich Touristik und Hospitalität an, was die Wahlprogramme für den Berliner Tourismus aussagen. Wir beginnen ganz links:

Links für Arbeitsschutz als Tourismusschwerpunkt

Wir setzen uns dafür ein, dass bei der Tourismusförderung auch gute Arbeitsbedingungen als Kriterium berücksichtigt werden …“ Der Tourist wird ein wenig in unsere Arbeitskämpfe miteinbezogen. Ein gewisses Museum sollte deshalb nicht besucht werden, weil die Aufseher acht Stunden bei nur 15 Minuten Mittagspause durcharbeiten müssen. Egal, was das Museum zeigt, der Tourist soll in ein Museum gehen, das nur sechs Stunden geöffnet ist. Neben der Liste der Eintrittspreise muss der Direktor künftig auch die Lohnlisten aushängen, damit der Tourist erkennt, was für eine Art von Zuchthaus er betritt – insbesondere bei den Kleinstbetrieben, wo die Arbeitsbedingungen besonders schlecht sein sollen.

Und natürlich bedarf es für die Linke eines Tourismus ohne Begleiterscheinungen. Was sind Begleiterscheinungen?

„Begleiterscheinungen sind vor allem die Innenstadtbezirke stark belastende Bier-Bikes und Reisebusse auf den Straßen, Rollkoffer- und Partylärm, Verdrängung von Geschäften und Gewerbe in gewachsenen Kiezen durch auf den Tourismus ausgerichtete gewerbliche Monostrukturen sowie Verlust von Wohnraum durch Anbieter wie Airbnb.“

Oh je: Rollkofferlärm! Der Tourist muss seinen Koffer tragen, weil Berlins Pflaster nicht schallgedämpft sind. Oder er übernachtet in Bahnhofsnähe. Ab nach Wannsee und Zehlendorf mit dem Reisevölkchen. Die Partei hat angeblich bereits „gemeinsam mit den Bezirken, mit betroffenen Anwohner:innen sowie mit der Tourismuswirtschaft das Tourismuskonzept 2018+ entwickelt, fortgeschrieben und weiterentwickelt“.

Im Gegensatz zum Privattourismus will man den beruflichen Besuch von Berlin fördern und wiederbeleben.

Wem das zu links ist, der kann das auch in Grün haben, denn hier wird mehr auf den Privattourismus gesetzt:

Grün reguliert und lenkt den Touristen ins touristische Abseits:

Clublandschaften, die Museen und Galerien, die Flaniermeilen und Flohmärkte sowie das gastronomische und kulturelle Angebot dürfen bleiben, „doch ein ‘Weiter so‘ wie bisher kann es in Berlin nicht geben. Ökologische Hotels müssen stärker unterstützt werden. Tourismus bemessen wir nicht anhand von immer höheren Besucherrekorden, sondern bedeutet für uns auch eine aktive Stadtentwicklungspolitik, die lenkt und gestaltet.

Heißt das, der Besucher soll in Berlin wohnen bleiben? Gut, immerhin keine Abschiebungen von Touristen. Aber lässt sich jeder Tourist in das zwangserrichtete Umwelt-Hotel in Berlin-Lichtenrade abwerben? Mit diesem Gedanken könnte es Ingolstadt gelingen, durch hippe Neubaubüros Start-ups von München und Berlin in die oberbayerische Provinz zu holen. Jedenfalls muss man künftig wohl nachweisen, sich vier Stunden in Randbezirken aufgehalten zu haben, um eine Stunde ins Stadtzentrum zu dürfen.

SPD mit Verständnisproblemen

Wir nähern uns endlich der Mitte: zunächst die Mitte links, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Sie hat einen Widerspruch entdeckt zwischen Tourismusförderung und Erhalt der Weltoffenheit. Denn „aufgrund der Corona-Pandemie konnten nur wenige Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten unsere Stadt besuchen“; sie, die „Sozis“, wollen Berlin wieder zum Magneten für Menschen aus ganz Deutschland, aus Europa und der Welt machen. Corona und Tourismus? Wird besser nicht erläutert, denn dem steht das eigene Gesundheitsprogramm im Wege. Die Partei führt etwas unlogisch und in schlechtem Deutsch aus, eine breite Werbekampagne für Berlin starten zu wollen. Logischerweise müsse sich die „Akzeptanzkampagne“ gezielt an die Einheimischen (Berliner) richten und könne die Nicht-Berliner Gäste kaum berühren. Vielleicht meint die gute alte Tante SPD aber auch, sie wolle Berlin für die Welt akzeptabel machen, womit wir eher bei der allgemeinen Politik wären, die nach dem Austritt Englands aus der EU, nach der Distanzierung von den USA und nach dem Schlingern der deutsch-französischen Achse inzwischen vonnöten sein könnte.

Aber man tut den Sozis Unrecht. Ganz konkret planen sie, den Flughafen Willy Brandt (BER) weiter (zu) ertüchtigen und für (s)eine noch bessere Anbindung an die Stadt durch den Ausbau der U 7 (zu) arbeiten. Das internationale Langstreckenangebot vom und zum BER wollen die Sozis erweitern, auch um zusätzliche innerdeutsche Kurzstreckenflüge – etwa von Messe- oder Veranstaltungsbesuchern und internationalen Touristen – zu minimieren.

Das versteht man nun, pragmatisch gesehen, gar nicht. Was hat die Erweiterung des Langstreckenangebots mit der Minimierung innerdeutscher Kurzstreckenflüge zu tun? Das ist politische Lyrik. Man könnte diese in dem Sinn verstehen, dass man von Hannover aus erst nach New York fliegen soll und von dort als Ferntourist in der Bundeshauptstadt landen darf?

Der Rest ist Werbung, Werbung, Werbung, auch für eine dezentrale Kulturszene, was immer das heißen mag. Aber hier wird die ganz alte Kundschaft von Tante SPD angesprochen, die man natürlich nicht vergessen hat.

Liberale Freiheit mit Polizeikontrolle und regulierten Kritzelwänden

Die liberalen Herrschaften namens FDP identifizieren Freiheit mit Berlin (das war vor 30 Jahren aktuell). Wie „Karlsruhe“ den Begriff von „Recht“ lokalisiert, soll Berlin Locus Libertatis werden. Man will dazu erlebnisbasierte Bereiche schaffen und gleichzeitig Polizei und Ordnungshüter darüber wachen lassen! Also Freiheit mit Polizeipräsenz? Natürlich nicht zur Überwachung der Freiheit, sondern ausschließlich zu deren Schutz. Außerdem sollen Gedenktafeln über QR-Codes übersetzt angeboten werden. Offenbar hat die FDP digitale Ideen verpasst, denn Übersetzungen sind bereits online erhältlich und Touristen bewegen sich mit mobilen Endgeräten, die das existierende Netz unserer Mobilfunkbetreiber nutzen. Oder anders ausgedrückt: Hätten sie geschwiegen, wären sie Wirtschaftsweise geblieben. Problem wird hier werden, dass alle Menschen die Informationen auch in einer Art „Home-Tourismus“ abrufen können. Der Rest des freiheitlichen Tourismusprogramms ist dann eher Kunst und Kultur.

CDU ohne Orientierung

Endlich kommen wir nun zu den Leuten, denen wir seit 16 Jahren den gegenwärtigen Ist-Zustand der Gesamtlage verdanken. Es geht bei der CDU in erster Linie um „Bundes-Wahlen“, so dass das Geplänkel auf Landesebene eine untergeordnete Rolle spielt, auch wenn die Rot-Rot-Grünen mit ihren Radwegen und Fußgängerzonen Fakten schaffen. Was also plant die Christlich Demokratische Union (CDU) von ganz weit oben her? Es ist:

die Verbesserung des touristischen Busverkehrs!

Sehr gut. Damit kommt sie den Flug- und U-Bahn-Ideen der langjährigen Partner nicht in die Quere. „Quer-Denken“ wäre nämlich verpönt.

Es soll ein neues Reisebuskonzept geschaffen werden (leider und wahrscheinlich erst für 2050). Es heißt:

Wir wollen einen weiteren ZOB-Standort (Zentraler Omnibusbahnhof) in den östlichen Bezirken realisieren und nehmen dafür den Standort am Ostkreuz in den Blick“.

Das Ostkreuz markiert doch nur das östliche Ende von Berlin-Mitte, erst dahinter beginnen die Weiten des Berliner Ostens! Da haben die West-Berliner offenbar den Osten noch immer nicht verstanden und schon gar nicht den zentral denkenden Berlin-Besucher. Ein solcher ZOB dürfte nicht näher an die City heranrücken als vielleicht zur ehemaligen Stasi-Zentrale.

Interessant werden die Ideen auch für die Getränkebranche, die Spätis, Lehmanns, Hoffmanns und Pennys:

„500 neue Trinkbrunnen“, möglichst gerecht über die Berliner Bezirke verteilt,

will die CDU aufstellen. Berlin soll also eine Art Mekka für Zwangsgeräumte werden. Aber nur an Gänsewein wird gedacht. Einfach gerechnet käme fast jeder Bezirk auf 50 Trinkbrunnen. Das heißt, wenn man es richtig versteht, dass die CDU eher an Sommertourismus denkt: ein Affront gegen „Malle“. Im Winter könnten diese Brunnen glattweg einfrieren.

Rettet uns die AfD? Aktiv jedenfalls nicht. Bei der AfD kommt das Wort Tourismus im ganzen Programm nicht vor. Man muss also weiter in die Vergangenheit zurückreisen. Denkmäler der angeblichen Schande sollen ohnehin nicht besucht werden.

So also ist es: Viel Lärm um nichts. Niemand denkt an den Plänterwald oder an die Uferpromenaden der Spree. Tagesfahrten zum Schiffshebewerk Niederfinow sind auch kein Ding, obwohl dies staatlich begünstigt werden müsste. Die Politik weiß nichts vom wirklichen Leben, sondern lebt saturiert in ihrer Großstadtblase. Das wird diese Wahl vielleicht deutlicher belegen, als man es belegt haben möchte.

Alphabet des Versagens der politischen Führung

Wer hat sich einmal angesehen, wie viele unserer amtierenden Minister und Senatoren in ihrem Führungsberuf durch eine Ausbildung qualifiziert sind? Jeder Handwerksmeister muss einen Kurs zur Betriebsführung absolvieren, bei der Bundeswehr gibt es Feldwebellehrgänge, die „Police-Academie“ bringt ihren Chefs etwas bei. Wie viele unserer politischen Führungsmenschen, die die unter ihnen arbeitenden Bürokraten anleiten sollen, haben sich zuvor Kompetenzen durch Berufserfahrung aneignen können? Es sind kaum 20 Prozent!

Das ist exakt das zweite Dilemma unserer Politik. Qualität und Kompetenz sind so spärlich vertreten, dass weder die Umsetzungsproblematik noch das inhaltliche Verständnis von Versprechen mit der Realität zusammenpassen. Was will man also von unseren Politiker*Innen in Sachen Afghanistan, Bildung, Corona, Digitalisierung, Energiewende usw. erwarten? Es ist eigentlich wie bei Google: man findet auf der ersten Seite eine Informationsflut, ist davon bereits überwältigt und begnügt sich dann mit der Mittelmäßigkeit. Warum sollte also der Staat, der von minderqualifiziertem Personal geführt wird, Menschen, die selbst arbeiten müssen, erklären können, wie das Leben außerhalb der Ämter und Behörden funktioniert?

Bei bis zu 250.000 Menschen in Berlin, die von Hotellerie, Gastronomie und Veranstaltungen leben, hätte Berlin eigentlich einen Senatoren*innen-Posten allein für den Tourismus verdient. Die Wahlprogramme der Parteien richten sich mit ihren diffusen Begriffen nicht an die 250.00 Hoteliers, Gastronomen, Museumsbetreiber, Spree-Reeder und all deren Mitarbeiter, sondern an den Wähler, dem der Tourismus sogar lästig erscheint.

„Stadt der Freiheit“ soll für alle das Markenzeichen sein. Heißt es auch „Freiheit vom Tourismus“? Eines dürfte inzwischen jedoch klar geworden sein: das Tourismuskonzept 2018+ hat sich wegen der Pandemie als lächerliche Konzeption offenbart. Besucher lassen sich am Abreiseort nicht sortieren, Hotels in Außenbezirken führen nicht zu neuen Besucherströmen und die Parole „weg vom Zentrum“ interessiert den Besucher, der das Schloss (Humboldt Forum) im Zentrum sehen will, nicht. Die Auswertung schlafender Touristen als Rechtfertigung der Unzufriedenheit der sich bewegenden Touristen zu nutzen, ist schon nach Regeln statistischer Auswertung ein Unding. Der Glaube, dass Touristen verantwortlich für die Verschmutzung von Parks seien, ist albern.

Wirklichkeit und Natur als Feinde

Die Politik hatte schon immer große Schwierigkeiten mit ihren Feindbildern: Es sind die Realität und die Naturgesetze. Man erinnere sich an den Wahnsinn der Baupreissteigerung der letzten zehn Jahre und die damit verbundenen Mietsteigerungen. Woher kommen solche Ergebnisse? Wenn man ständig regulierend und fordernd eingreift, wenn man die Anforderungen an das Bauen steigert (dickere Styroporfassade, Zwangsentlüftungen durch Fenster, Dreifachverglasungen, digitaler Funk etc.) und außerdem noch langsame Behördenabläufe hinnimmt, dann steigen die Baukosten. Irgendjemand muss dafür bezahlen: das ist der sozial meist schwächere Mieter. Dass Bund und Land – gehupft wie gesprungen – unfähig sind, auf eigenem Boden sozialverträglich und als Bauherren zu bauen: kein Wunder. Noch nicht einmal sichere Fahrradspuren wurden in den letzten fünf Jahren geschaffen. Corona hat auch im Tourismus gezeigt, dass es wohl besser sein könnte, den Touristen natürlicherweise in unsere Stadt zu lassen, als Geldscheine zur Finanzierung des Stillstands zu drucken, das unsere Kinder zurückzahlen müssen.

Klein-Klein statt Konzept

Vielleicht lässt sich der Tourist von der „ersten Klimastraße Berlins“, wie die dortige Bezirksbürgermeisterin seinerzeit die von der Sonne abgeschnittene und 50 Meter kurze Danneckerstraße in Friedrichshain genannt hat, anziehen. Das Bereitstellen von Graffiti-Flächen für Street-Art-Künstler ist ebenso bescheiden gedacht wie diese sogenannte Klimastraße. Welcher Besucher soll das denn feiern? Wann waren die Herrschaften zuletzt in Städten wie Taipeh, Singapur, London oder neuerdings in Kiew? Da geht es um ganze Stadtviertel, nicht um Hausflächen. Die Staatskunst, wie wir sie aktuell in dieser Stadt sehen, auf höheres Niveau zu heben, wäre ein guter Ansatz, die Stadt der Freiheit wiederzubeleben.

Freiheit für die wirklichen Gestalter dieser Stadt

Lasst Menschen aus allen Ländern Ideen austauschen und diese Ideen unbürokratisch umsetzen. Berlin braucht keine Politiker, die meinen, Menschen vorgeben zu müssen, was richtig oder falsch ist, als hätten sie noch weniger Bildung als die Politiker. Die Menschen sind nicht vollends verblödet oder debil. Die meisten Macher haben gelernt oder durch Erfahrung lernen müssen, das einzuschätzen, was sie gerade tun. Politiker beherrschen das in aller Regel nicht.

Wen wählt also der Hotelier, der Betreiber einer Sehenswürdigkeit oder der Gastronom am besten in Zeiten der Mittelmäßigkeit? Warum kommt ein Tourist nach Berlin? Weil er dort findet, was er in seiner Kleinstadt, im ordentlichen Zürich oder im teuren London nicht findet. Vielleicht versteht das irgendwann auch der Politiker. Bei den bisherigen Programmen weiß der Tourist nicht, welche Gaudi in Berlin auf ihn wartet. Es ist nämlich keine.


Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Geschäftsführender Gesellschafter der
Muson GmbH und Mitglied im INTOURA e.V.

Juli-Kolumne

1. Juli 2021

Verantwortung wiegt schwer

Über Gewinner und Verlierer der Pandemie

Platz. Ruhe. Sonnenschein. In den vergangenen Wochen konnte Berlin als entspannter und fast schon gemütlicher Ort durchgehen. Die Straßen angenehm leer, der Verkehr übersichtlich, eine sehr überschaubare Zahl Menschen an den sonst stark besuchten Hot Spots der Stadt. Als Berliner eine willkommene Abwechslung, denn die eigene Stadt ungestört genießen zu können, kommt in der Tat selten vor.

Gleichzeitig wird einem schmerzlich bewusst, dass etwas fehlt. Besucherinnen und Besucher, durch die Berlin erst zu dem werden konnte, was es heute ist, sucht man vergebens. Allenfalls in homöopathischen Dosen sind sie derzeit zu finden. Ohne Zweifel gehört der Tourismus zu den am schwersten von der Pandemie heimgesuchten Branchen. Durch die nahezu vollständige Einstellung des internationalen Flugverkehrs bzw. grenzüberschreitender Reisen sowie den Einschränkungen und Regularien beim innerdeutschen Reiseverkehr wurde Berlin im deutschen Vergleich am härtesten getroffen. Hotels, Messen, Kongresse und natürlich touristische Attraktionen litten und leiden unter den Begleiterscheinungen und Nachwirkungen der Krise, deren wirtschaftliches Ausmaß sich erst in den kommenden Monaten und Jahren zeigen wird.

Eine Pandemie lässt sich weder verbieten noch abschaffen. Bill Gates wies bei einem TED-Talk bereits 2015 darauf hin, dass die Menschheit kein Konzept habe, wie sie mit einem gefährlichen Virus umgehen könne („Wir sind auf eine Epidemie nicht vorbereitet.“). Im Laufe der Geschichte gab es schon oft Epidemien und Pandemien, im 20. Jahrhundert beispielsweise die so genannte Spanische Grippe (1918-20, bis zu 50 Mio. Tote), die Siebte Cholera-Pandemie (1961-90, mehrere Mio. Tote) oder die Hongkong-Grippe (1968-70) mit geschätzten 52.000 Toten allein in Deutschland und der damaligen DDR. Die Bewältigung einer Krise ist es aber, die zeigt, ob die Regierenden entsprechende Fähigkeiten haben oder in kürzester Zeit entwickeln.

Ein fortschrittlicher Staat zeichnet sich dadurch aus, dass er eine unerwartete und bedrohliche Lage schnell einschätzt, laufend neu bewertet und daraus Regeln ableitet, um die Bevölkerung, aber auch die Wirtschaft als ökonomischen und sozialen Motor möglichst optimal zu schützen und zu unterstützen. Dazu braucht es transparente Kommunikation und effiziente Maßnahmen, die sich im Nachhinein rechtfertigen lassen. Die Zuverlässigkeit der Politik ist hierbei der wohl wichtigste Maßstab.

Bereits jetzt lässt sich sagen, dass der Staat hier keine Meisterleistung vollbracht hat. Durch Zwangsverordnungen wurde dem Tourismus von einem auf den anderen Tag die Geschäftsgrundlage entzogen. Gleichzeitig erwiesen sich die staatlichen Hilfen für diese extreme Situation als so verworren, unlogisch, widersprüchlich und verspätet, dass sie für viele Unternehmen nicht anwendbar waren oder diese zur Verschuldung oder sogar Aufgabe zwangen, weil Gelder nicht ausgezahlt wurden. Neue Ideen und Aktivitäten wurden im Bereich Tourismus für die Jahre 2019 bis 2022 folglich auf Eis gelegt oder im Keim erstickt, die Kommunikation mit den beteiligten Unternehmen zu Maßnahmen und Hilfen war mehr als unzureichend. Worauf sollte man sich also verlassen?

Unternehmerinnen und Unternehmer haben im Gegensatz zum Staat eine herausragende Eigenschaft: Sie übernehmen Verantwortung und stehen dafür persönlich und mit ihren eigenen Ressourcen ein. Liquidität ist in einer Krise oberstes Ziel, Einsparungen und mögliche Hilfen müssen evaluiert und beantragt werden. Um Kündigungen zu vermeiden, setzt man sich mit Kurzarbeitsanträgen auseinander. Der Geschäftsbetrieb muss so heruntergefahren werden, dass das Unternehmen weiterexistieren und in kurzer Zeit wieder betriebsbereit sein kann. Gelingt das nicht, verschwinden Unternehmen schnell von der Bildfläche – mit allen negativen Konsequenzen für Inhaber und Mitarbeiter.

Der Staat hingegen ist im Grunde der schlechteste Unternehmer. Er lebt von Steuergeldern und gibt anderer Leute Geld aus. Ausgaberessorts werden nach Wählerstimmen erstritten und verteilt. Was für das Land langfristig gut ist, erscheint sekundär, wenn man allein die Bereiche Bildung für Kinder und Jugendliche und den Klimaschutz betrachtet. Damit ist seine Verantwortung nur ideeller Natur, denn wer sollte für getroffene oder – noch schlimmer – nicht getroffene Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden? Im Zweifelsfall waren viele Personen beteiligt, bei denen sich Entscheidungen in einem diffusen Nebel an Kompetenzen und Versagen auflösen. Das Ergebnis einer Untersuchung im Nachhinein lautet meist: Es ist bedauerlich, aber die Schuld ist nicht eindeutig zuzuweisen. Seit Jahrzehnten werden zudem drittklassige Unternehmer in die erste Klasse der Politik befördert.

Obwohl der Staat für die Bewältigung der Krise Finanzmittel im Billionen-Bereich aufwendet, kann er als Gewinner gesehen werden. Das Geld holt er sich in den kommenden Jahren zurück – über Steuern und Rückforderungen, wenn Hilfen zurückgezahlt werden müssen, die nach dem Ausschütten des Füllhorns nun als unberechtigt eingestuft werden. Auch Unternehmen der Pharmabranche, der Logistik, der IT, der Produktion und des Online-Handels zählen zu den Gewinnern.

Es ist nur furchtbar schwer, als Unternehmen der Tourismusbranche die eigenen Produkte zu digitalisieren. Ein virtueller Museumsbesuch ist nett, kommt aber nie an den Live-Besuch heran. Eine Schifffahrt auf der Spree mit VR-Brille und Ventilator simulieren? Undenkbar. Ein Theater- oder Konzertbesuch als Stream? Möglich, aber unbefriedigend und nie kostendeckend. Wer zahlt schon für einen Stream, wenn es vergleichbare Angebot zuhauf und gratis im Netz gibt.

Der Tourismus bietet dagegen individuelle Erlebnisse für alle Menschen, egal woher sie kommen und welchen Hintergrund sie haben. Reisen und Reisebegegnungen bilden, fördern die Kultur und lassen sich nicht durch Online-Aktivitäten abbilden oder ersetzen. Berlin und Tourismus gehören zusammen, es geht nicht ohne. Daher gilt es, als Staat mit Unternehmen zu kooperieren und den Weg aus der Krise gemeinsam zu gehen. Die Verantwortung liegt darin, Unternehmen so zu unterstützen, dass sie wirtschaftlich wieder erfolgreich werden können. Dann fließen auf mittlere und lange Sicht auch Steuereinnahmen und helfen dabei, die Kosten der Pandemie zu bewältigen.

Tourismus ist kein Privileg. Er ist eine Notwendigkeit, um das eigene Weltbild zu erweitern, Neues kennenzulernen, Kulturen zu verstehen, Toleranz zu üben, Erfahrungen wiederum nach Hause zu bringen und dabei gleichzeitig zu entspannen. Es bleibt zu wünschen, dass touristische Attraktionen, Hotels und Gastronomie wieder zu Gewinnern werden. Die Voraussetzungen in einem wirtschaftlich starken Land wie Deutschland sind dafür gut. Der Staat muss es nur zulassen.


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Michael Rassinger ist Geschäftsführer der Wortmacher GmbH und Fördermitglied im INTOURA e.V.