Oktober-Kolumne

1. Oktober 2021

Schafft der neue Senat endlich den Perspektiv-Wechsel?

Berlin hat gewählt – wer die Hauptstadt in welcher Konstellation künftig regieren wird, steht zur Stunde jedoch (noch nicht offiziell) fest.

Die mittelständisch geführten touristischen Attraktionen Berlins – unter ihnen nicht nur Anbieter von Stadtrundfahrten per Bus, Schiff o.ä., sondern z.B. auch zahlreiche Museen, Galerien, Ausstellungen und Theater – sind daher aktuell sehr besorgt, wie es künftig wohl mit der touristischen Vermarktung dieser Stadt weitergehen wird. Denn sie alle sind mehr oder minder auf touristisch getriggerte Erlöse angewiesen. Wofür es naturgemäß Touristen braucht…

Als Mitglied im Vorstand von INTOURA sind mir diese Sorgen nicht nur wohlbekannt – als Geschäftsführer des Wintergarten Varietés teile ich sie ausdrücklich, aus einer Reihe von Gründen:

Zwar wird in diesen Tagen sehr viel davon geredet, wie wichtig bessere internationale, vor allem Direkt-Flugverbindungen für das Gästeaufkommen in der Stadt wären, und damit für alle touristischen Anbieter.

Zwar werden mit erheblichem Aufwand aus Corona-Fördertöpfen fette bundesweite Werbekampagnen auf Plakaten und Social Media gefahren. Zwar werden auch die Berliner selbst, wie auch die Potsdamer/Brandenburger, nun zum wiederholten Male animiert, Berlin zu entdecken unter dem inzwischen bundesweit auch in anderen Städten praktizierten Slogan „Erlebe Deine Stadt“. Beides gedacht zum Wohle der Hotellerie, aber auch zahlreicher anderer Anbieter aus Gastronomie, Kultur und Entertainment.

Insgesamt jedoch scheint es ganz allgemein schlicht an einer vernünftig konzipierten, international ausgerichteten Marktforschung zum Thema Berlin-Tourismus zu fehlen.

Und eines der größten Ärgernisse in diesem Zusammenhang ist und bleibt der inzwischen seit Jahrzehnten beharrlich gepflegte Suggestionsversuch, der Berlin-Tourismus werde getragen von der Hotellerie der Stadt. Dies drückt sich erkennbar vor allem in der Kommunikationsstrategie der Verantwortlichen aus, wenn diese gefragt werden, wie es denn um den Berlin-Tourismus stehe.

Da werden stets zu allererst die Übernachtungszahlen der Berlinbesucher referiert – allerdings interessanterweise immer nur die der Übernachtungen in Hotels und Pensionen. Alle die Gäste der Stadt, die privat wohnen oder in Apartments auf Zeit, werden hier gar nicht betrachtet. Obwohl ja auch diese sogar erheblich zur gesamten touristisch getriebenen Brutto-Wertschöpfung der Stadt beitragen.

Und an dieser auf dem einen Auge blinden Fehlsicht des zu betrachtenden Marktsegments orientiert sich eben leider beständig auch die Strategie des Berliner Tourismus-Managements.

Bei allen Überlegungen, bei allen Zielsetzungen, bei allen gefahrenen Strategien wird immer zuvorderst darauf abgestellt, was zu tun ist, damit die Hotellerie gut dabei wegkommt.

Das verwundert natürlich nicht, wenn man weiß, wer zu einem gewichtigen Teil hinter der offiziellen Stadtvermarktungsagentur steht – die Hotellerie.

Bei aller Wertschätzung für diese ihr Geschäft zweifelsfrei exzellent beherrschende Branche – es sollten doch eigentlich bei der Kommunikation über das Thema Berlin-Tourismus endlich viel stärker diejenigen Erwähnung finden, die den Hotels der Stadt die Gäste anlocken, denen diese Häuser dann ein Zimmer vermieten können.

Die Besucher der Stadt, ob „echte“ Touristen, oder aber Kongressteilnehmer, Dienstleister und andere, würden ja nicht in diesen Größenordnungen kommen, wenn die Stadt nicht aus einer Reihe von anderen Gründen einen solchen Magnetismus ausstrahlen würde. Da ist zum einen erstmal die ererbte, weltweit durchaus einmalige Historie – aber eben auch die unschlagbare (und von visitBerlin verbal auch immer hochgepriesene), überbordende kulturelle Vielfalt der Stadt, die diese gleichermaßen attraktiv für Touristen wie auch für die Veranstalter von Städtereisen und Kongressen macht.

Nicht nur die Kommunikation sollte in dieser Hinsicht angepasst und neu ausgerichtet werden – auch und insbesondere die gesamte Strategie muss sich künftig viel mehr daran orientieren.

Und dazu gehört ganz elementar auch die Entscheidung darüber, welche Ressourcen wofür bereitgestellt und eingesetzt werden, welche Energien auf welche Felder und auf welche Kommunikationsaktivitäten geleitet werden. Und wer an diesen Entscheidungen mitwirkt.

Hier braucht es ganz klar einen deutlichen, längst überfälligen Perspektiv- und Paradigmenwechsel seitens der Verantwortlichen für das Tourismus-Management der Stadt:

Weg von der einseitigen Verhätschelung derjenigen, die erst ganz am Ende der Wertschöpfungskette profitieren von den Aktivitäten, vom unternehmerischen Mut und der Kreativität derjenigen, die zuvor den Boden eben auch genau dafür überhaupt erst bereitet haben.

Warum also eigentlich nicht endlich einmal hin zu einer neu gedachten Unterstützung aus dem Tourismus-Budget für all diejenigen Institutionen, die die Reusen erst füllen, aus denen dann die Übernachtungsgäste purzeln?

Dies erschiene umso wichtiger und gerechtfertigter angesichts der beschämenden Tatsache, dass eine ganze Reihe dieser touristischen Leistungsträger aus den diversen Unterstützungstöpfen des Senats traditionell bisher kaum einen Cent erhalten.

Nicht einmal die Gelder aus der City Tax – die doch ausschließlich von den Besuchern der Stadt aufgebracht wird – fließen in nennenswerter, nachvollziehbarer Größenordnung zurück zu den touristischen Leistungsträgern.

Obwohl doch diese Branche – zusammen mit allen, die ihr mehr oder weniger direkt zuarbeiten – unbestritten einen ganz erheblichen Beitrag zur Gesamtwertschöpfung Berlins leistet.

Dabei muss es gar nicht unbedingt zuerst um eine Wertschätzung gehen, die sich auch in finanziellen Hilfen ausdrückt. Auch ohne Geld in die Hand zu nehmen, kann etwas für die mittelständischen touristischen Anbieter getan werden. Weniger Behinderung durch unsinnige bürokratische Rahmenbedingungen wäre beispielsweise schon sehr hilfreich. Vor allem aber würde eine bessere Einbindung der Akteure in Planung, Steuerung und Finanzierungskonzept des Berliner Tourismus-Managements helfen. Eine größere Rolle eben, noch deutlich mehr Lautstärke bei der Kommunikation.

Es braucht also unbedingt das Bewusstsein für die Sinnhaftigkeit einer zweiten Ebene, auf der diese Institutionen ernst genommen, wirksam in Entscheidungsprozesse und strategische Weichenstellungen eingebunden, ernsthaft unterstützt und gefördert werden – damit sie nicht vielleicht morgen oder übermorgen von der so attraktiven Erlebnis-Bildfläche Berlins verschwinden und die Strahlkraft Berlins Schaden nimmt.

Denn dann wäre das Geschrei sicherlich groß. Und, wer weiß – womöglich kämen ein paar weniger Gäste nach Berlin, um die Betten der Hotels zu füllen (und die anderen natürlich auch).

Daher sollte der Fokus im öffentlichen Diskurs über den Berlin-Tourismus unbedingt – und unbedingt sehr rasch – vom einseitigen, scheuklappenartigen Starren auf die Übernachtungszahlen verlagert werden auf das, was wirklich zählt:

Auf eine erheblich zu verbessernde politische wie kommunikatorische, u.U. auch fiskalische Unterstützung all der Magneten des Berlin-Tourismus – beispielsweise, wie erwähnt, aus der City-Tax (aber auch die Bereitstellung anderer Haushaltspositionen muss ideologiefrei geprüft werden).

Auf die in den bisherigen Betrachtungen stets unterschlagene Bedeutung der touristischen Leistungsträger für die touristische Gesamt-Wertschöpfung Berlins – zu der doch zweifellos auch die mehr als beachtenswerten Effekte des Tagestourismus gehören, wie überhaupt die gesamte Umwegrendite, die das Gesamt-Spending der Gäste erzeugt. Und zwar nicht nur zum hart erarbeiteten Vorteil der diversen tagestouristischen Anbieter-Magneten selbst, ob Museen, Theater, Kinos, Stadtrundfahrtenanbieter, Zoo/Tierpark etc. – sondern eben auch zum Wohle vieler anderer Branchen und Anbieter, die mittelbar ebenfalls von der Kaufkraft der Tagestouristen profitieren.

Die nicht zuletzt wiederum die Steuereinnahmen mehrt.

In der Betrachtung des Berlin-Tourismus (fast) alles immer nur an den Übernachtungszahlen festzumachen, immer nur am Wohl und Wehe der Hotellerie – das ist einfach so klar zu kurz gesprungen, dass es endlich beendet werden muss.

In welcher Konstellation auch immer der künftige Senat die Hauptstadt in den kommenden Jahren regieren wird – er sollte sich diesem Perspektivenwechsel nicht verschließen.

Sondern endlich das Überfällige tun:

Die mittelständischen Attraktionen, die den Löwenanteil der Gäste maßgeblich erst für den Berlin-Besuch motivieren, müssen nicht nur als selbstverständlicher, ständiger Gesprächspartner akzeptiert werden. Sondern vor allem vom neuen Senat endlich auch in sämtliche Weichenstellungen und Entscheidungsfindungen einbezogen werden – gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit Hotellerie/Gastronomie, Kongresswesen, Einzelhandel und Club-Szene.


Über den Autor:

Georg Strecker ist Geschäftsführer des Wintergarten Varieté und Vorstandsmitglied im INTOURA e.V.