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BESTIVAL – 06. und 07. Juli 2023

Das Business Festival der MICE und TRAVEL Industrie geht in die dritte Runde – mit rund 50 Speakern & Acts, mehr als 100 Berliner Anbieter:innen und über 800 Teilnehmenden aus ganz Europa. An zwei Tagen bietet das Event inspirierende Keynotes und Workshops, nachhaltige Erlebnisse und persönliche Begegnungen, die man nur in Berlin haben kann.

Oktober-Kolumne

Meinung
Q. Graf Adelmann

Wir sind nicht tot. Wir hören nur auf zu leben.

Zur Frage, ob sich der Tod auch künftig noch finanzieren lässt

Politik denkt, dass die Menschen dumm sind. Dumm genug zu glauben, dass der 300€ September-Energiekostenzuschuss für Bürger mehr als 170€ netto bedeutet. In Krisenzeiten zeigt sich, ob Politik und Verwaltung können oder eben nicht: Letzteres trifft zu. Leider. Zwei Jahre Gesundheitspolitikwahnsinn und ein Jahr neue Wirtschaftspolitik reichen aus, um 250 Jahre Industriegeschichte zu vernichten und unser Land zu de-industrialisieren.

So gesehen hat Berlin einen großen Vorteil gegenüber anderen Bundesländern: Berlin hat nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, aber auch nach dem Fall der Berliner Mauer keine relevante Industrie behalten oder ansiedeln können. Damit betrifft die Industrieenergiekrise eher andere Teile des Bundesgebietes. Um die Energiekrise insgesamt abzumildern, lässt Berlin dennoch alle Außenfassadenbeleuchtungen ab 22:00 Uhr abschalten. Das spart umgerechnet 0,045% an Stromkosten in dieser Stadt. Alles um des Showeffekts also. Würde man es ernst meinen, verböte die Stadt die Nutzung von Fahrstühlen und Rolltreppen. Damit würde man 0,4 TW/h einsparen. Das hätte nicht nur den Effekt, dass wir rund 3% des gesamten Stromverbrauchs dieser Stadt einsparen würden, sondern die Menschen auch in Bewegung kommen, was wiederum der Gesundheit aller zugutekommt.

Einen weiteren positiven Gesundheitseffekt erreichen wir, würden wir die gut 1,5 Millionen neuen Pedelecs in Deutschland pro Jahr durch einfache Fahrräder (0,9 Millionen pro Jahr) ersetzen (2021). Inzwischen radeln über 10 Millionen Pedelecs in Form von City-Bikes, Mountainbikes und Cargo-Bikes durch Deutschland. Den Stromverbrauch und die Entsorgung der durchschnittlich 13 Jahre haltbaren Akkus kann sicher jeder selbst errechnen. Die meisten Fahrräder werden übrigens in Kambodscha und Bangladesch hergestellt. Industriebetriebe für Fahrräder „Made in Germany“ haben es in Deutschland bekanntermaßen schwer. Die körperliche Fitnessverpflichtung findet sich jedoch nicht im politischen Schwerpunkt Deutscher Gesundheitspolitik. Dort konzentriert man sich darauf, Kinder und Jugendliche von Bildung fernzuhalten und außerdem, durch neue Zertifizierungs- und DIN-Vorschriften (schon einmal etwas von MDD, AIMDD, IVDD, MDR, IVDR oder ISO 15189 gehört?) Innovation, kleine Stückzahlen von Medizinprodukten und kleine Labore zu zerstören.

Nun sollen bis zu 200 Milliarden Euro frisches Druckgeld die Belastung von Bürgern und Unternehmen als Gaspreisbremse abmildern. Umgerechnet 10-16 Monate reicht dieses Geld, um allein die Energiekostenerhöhungen abzufangen. Was dann? Bei unseren Regierungen zerbröselt so der Euro-Wert ebenso wie der Glaube des Wahlvolks daran, dass Mathematik Bestandteil politischer Arbeit ist. Nach wie vor fällt kein einziges Wort über einen strategischen, nachhaltigen Plan für die Zukunft oder zu konkreten operativen Umsetzungsmaßnahmen für die kommenden Jahre. Erforderliche Infrastrukturprojekte wie die Erneuerung von Versorgungsleitungen (weg vom Gas) in einer Stadt im Rahmen von Raumordnungsverfahren sind noch nicht einmal begonnen. Allein die fünf größten Energieversorger Deutschlands haben 2021 gut 312 Milliarden Euro umgesetzt. Der Strompreis ist seit Ende 2021 um 100% gestiegen. Der Preis für Heizöl hat sich fast verdoppelt. Die Gaspreise haben sich verviereinhalbfacht. Es ist auch nicht sichergestellt, dass sich die Kosten nicht weiter erhöhen. Schätzungen behaupten eine künftige Verachtfachung. Vorbereitungslos entstehen so abermals verpuffte Druckgeld-Schulden, die die Kinder und Kindeskinder des Landes werden zurückzahlen müssen. Was folgt, ist die Hoffnung, dass die aktuellen Kriegsregionen keine Ausweitung, sondern ein Ende finden. Wie lautet der Alternativplan?

Nun ja. Wer in Berlin in diesem Winter als bürgender Gastronom oder Anbieter einer Sehenswürdigkeit einen Raum für die Dauer eines Mietvertrages oder im Eigentum offenhalten will, der muss sich etwas einfallen lassen. Während derzeit die teuersten Unternehmensberater der Welt gegen hohe Stundenhonorare auf Kosten der Steuerzahler nachprüfen, ob 10€-Belege der seinerzeit zwangsgeschlossenen Attraktionen und Gastronomien für die Corona-Schadenersatzzahlungen richtig vorliegen, rechnen die Unternehmer das künftige Überleben im Winter aus:

500 qm Ausstellungsfläche ganzjährig zu betreiben, bedeutet in diesem Winter wohl um etwa 10.000€ höhere Betriebskosten durch Heizung und Strom (monatlich). Nimmt man außerdem 15 Personen Personal an, die ihrerseits höhere Ausgaben haben und verständlicherweise deshalb einen um 15% höheren Bruttolohn einfordern, um davon wiederum wenigstens die aktuelle Inflationsrate von 8% auszugleichen, steigen die Kosten der Betreiber konkret um weitere 11.000€. Dies ergibt also einen um 21.000€ höheren monatlichen Aufwand bei Lohn und Betriebskosten. Dazu kommen gleichwohl auch weitere höhere Kosten wie Indexmieten ab 2023, Ausgaben für Toilettenpapier, Software usw. Einfach überschlagen muss also ein Unternehmen wie eine Attraktion mit obigem Beispiel mindestens 30.000€ monatlich mehr berappen. Dabei sind die Leistungen, die den Besuchern angeboten werden, unverändert. Geht man dann von der branchentypischen Umsatzrendite von 8% aus und nimmt an, dass die Anzahl der Besucher*innen zuletzt bzw. 2019 ausreichend vorhanden war, rutscht die Attraktion in ein Minus von gut 5% des Umsatzes. Sie „erwirtschaftet“ unsubventioniert folglich einen sechsstelligen Jahresverlust. Keine Attraktion ist ein Monopol, bei dem der Anbieter einfach durch Preiserhöhung reagieren kann. Niemand hat Interesse, Restaurants oder Ausstellungen zu Orten zu machen, zu denen sich nur noch Reiche Zutritt leisten können. Was also tun? Soll die private Einrichtung nun Geld in sechsstelliger Höhe zuschießen, wenn es möglich ist? Folgt die Insolvenz? Wofür macht man das alles und vor allem: wie lange wird dieser Zustand andauern?

In Berlin gibt es gut 147 Museen und 391 Ausstellungen (Stand 2019). Natürlich wird es die vielen staatlich-pädagogischen Einrichtungen kaum betreffen. Dort werden sicherlich die Kosten einfach aus Haushaltsgeldern, neuen Schulden und Raubzügen gegen die Privaten finanziert. Am Beispiel des Humboldt Forums sieht man, dass es völlig egal ist, ob die Besucher*innen in der Sommerzeit wochenlang wegen Wartungsarbeiten das Gebäude größtenteils nicht betreten durften. Es kam auch zuvor kaum ein Besucher in das Kunstkonstrukt. Niemand schaut sich im Detail an, woran es liegt. Man habe schließlich einen anderen Auftrag abseits wirtschaftlicher Kennzahlen. Zur Erinnerung: die Stiftung Preußischer Kulturbesitz benötigte 2021 etwa 370 Millionen Euro und rechnete mit weniger als 12 Millionen Euro an Eintrittsgeldern. Da machen einige Millionen Euro höhere Betriebskosten keinen Unterschied. Die Menschen in unserem Land bezahlen das bestimmt gern – werden dazu allerdings nie befragt.

Zurück zu den Privaten: gut 9.800 Gastronomien, 200 Clubs, 704 Beherbergungsbetriebe mit knapp 140.000 Betten bietet Berlin. Mit etwa 250.000 Mitarbeitenden sind diese Betriebe und Unternehmen der wichtigste wirtschaftliche Motor der Stadt. Nun stelle man sich vor, dass alle durchschnittlich 5% ihres Umsatzes Cash hinzuschießen müssen. Operativ waren die Jahre 2020 und 2021 ohnehin angespannt. Hinzu kommt das Damokles-Schwert der Gesundheitswillkür, abermals Einrichtungen bei Kapazitäten zu begrenzen, in Clubs nur mit Maske tanzen zu dürfen und – nicht zu vergessen – der Umstand, dass weniger verfügbares Geld den Bürger auch alles an Konsum streichen lässt, was man nicht zum Leben braucht. Es wird also so oder so ein harter Winter.

Wir dürfen außerdem gespannt darauf sein, wie die Politik reagiert, wenn sich keine neuen Unternehmen mehr gründen. Die Leitzinserhöhung führt dazu, dass neue Unternehmen mindestens 4% Zinsen für fremdes Geld werden zahlen müssen. Außerdem muss die Bonität der Unternehmer*innen verbessert und die Eigenkapitalquote höher sein, und das bei kürzeren Laufzeiten. Erschwerte Geldbeschaffung bzw. „teureres“ Geld ist ein notwendiges Übel der jahrelangen Gelddruckpolitik, um die ausufernde Inflation zu bekämpfen. Leider folgt hieraus eine sich über Jahre hinweg aufbauende Hürde für junge, vermögenslose Menschen mit Ideen, die an Geld kommen wollen. So werden Innovation und Chancengleichheit für Menschen dahinschmelzen. Unsere ideenlosen Politiker haben dagegen kein Rezept. Der Staat wird nur immer weiter aufgeblasen.

Erinnern wir uns daran, dass in Europa noch vor gut 15 Jahren mehr Gas produziert wurde, als in Russland. Heute hat Deutschland nach Bermuda den höchsten Strompreis der Welt. Da ist weder allgemein über das so genannte „reshoring“, noch konkret über die Ansiedlung energieintensiver Technologien wie die Entwicklung und Herstellung von Halbleitern nachzudenken. Alle großen Produktionsunternehmen denken über die Abwanderung nach Indien oder die USA nach. Dort findet man noch Fachkräfte, hat Zugang zu dauerhaft niedrigen Energiepreisen und immerhin eine gewisse politische Verlässlichkeit. Die Argumente des deutschen politischen Establishments sind also dümmlich, ideologisch verseucht und letztlich die psychopathische Logik von schizophrenen Träumen. Es geht der Regierung darum, dass das Volk merkt, dass da jemand regiert. Im Grunde könnte man die Regierung ignorieren und das Wahlrecht auf Insassen von Irrenanstalten beschränken. Das Wahlergebnis wäre das gleiche und die Einsparungen wären enorm. Der aktuelle Bundeswirtschaftsminister bräuchte dann auch nicht die Veröffentlichung des Kostenbedarfs der Netzbetreiber mit verknüpfter weiterer Strompreiserhöhung krampfhaft vom 01. auf den 17. Oktober verschieben, nur weil in Niedersachsen am 09.10. gewählt wird und diese schlechte Nachricht so nicht zu Direktreaktionen führen können.

Schauen wir uns einen anderen Aspekt in Berlin an: Hierzulande werden nach wie vor Genehmigungen zur Eröffnung einer Gastronomie oder einer Ausstellung oder für den Bau eines Hotels mit riesigen Hürden versehen. Für die Beantragung einer Bau- und Nutzungsgenehmigung gehen Jahre ins Land. Wehrt man sich gegen willkürliche Entscheidungen von Behörden oder schlichtweg gegen das Nichtstun, vergehen bis zum ersten Termin beim Verwaltungsgericht in Berlin 5 Jahre. In zivilrechtlichen Eilverfahren zum Kammergericht vergehen 2 Jahre. Man kann hier getrost behaupten, dass die Rechtspflege stillsteht – so wie in afrikanischen Bürgerkriegszonen. In unserem Land allerdings werden sinnbildliche Todesurteile nicht mehr ohne Verfahren gefällt. Das nennt man dann „zivilisierten Rechtsstaat“. Das Todesurteil fällt dennoch durch die simple Realität. Mit dem Worten des aktuellen Ministers: „wenn wir Glück haben und sparsam sind und das Wetter mitspielt haben wir eine Chance“. Für die Regierungen in Deutschland ist Erfolg und Verantwortung ein Glückspiel. Unser Land ist am Ende.

 


Einmal im Monat haben INTOURA-Mitglieder die Möglichkeit, Ihre Sicht auf die aktuelle Lage oder Entwicklung der Branche in Form einer Kolumne zu veröffentlichen. Die Inhalte spiegeln nicht zwingend die Interessen der Mitglieder oder die politische Arbeit des Vorstandes wider.


 

Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Mitglied im INTOURA e.V.

Papier zur Betriebsanmeldung

August-Kolumne

Meinung
Q. Graf Adelmann

Mit vollem Elan nach Berlin

Abgeschminkte Utopie in kürzester Zeit: die Verwaltung

Berlin im August ist herrlich einladend. Menschen tummeln sich auf allen Straßen. Wie in Paris sind die Cafés offen, alle Farben in den Gesichtern und der Geruch von tropischer Gelassenheit durchkämmt die eigene Frisur. Der CSD am vergangenen 23.07.2022 war ein voller Erfolg. Selbst die private rave the planet – Parade am 09.07.2022 zog entgegen aller Erwartungen 200.000 Menschen an. Immer wieder hatten sich senatsnahe „Einrichtungen“ wie die Clubcommission unter Applaus der Berliner Medien gegen die Parade positioniert.
In dieser Stadt will man im Sommer leben – Urlaub ist nicht erforderlich. Wer aus einem Kriegsgebiet geflüchtet kommt, kann sich das nicht vorstellen. Er sieht Berlin als das Paradies an. Hier würde er gerne neu als Vorreiter seiner Landsleute im Tourismusgeschäft beginnen. Hier sieht er eine Chance, eine Existenz zu gründen, Gastgeber*in auch für seine Gastgeber*Innen zu werden; und er möchte diese Stadt für sich erkunden und sie voller Stolz auch dem eigenen Netzwerk öffnen.

Das Kulturamt Bremerhaven kann von solchen ideellen Vorgaben nur träumen; träumerisch haben sich die Bremerhavener ein Streetfood-Festival ausgedacht. Dort kann Mann und Frau in der Innenstadt formlos einen Stand aufmachen und Besucher bedienen. Eine behördliche Initiative zur unternehmerisch-kulturellen Belebung der Stadt! Klar, Bremerhaven leidet an der Abwanderung der Menschen dort. Der größte Hafen für Fahrzeughandelstransporte (100 Millionen Fahrzeuge pro Jahr) beansprucht jeden 5. Arbeitsplatz (20%). Aber was ist mit den anderen 80%? Es ist düster geworden, weil die Bremerhavener mit ihrem Hafen und dem Service darum nicht zurechtkommen. Sie wollen seit der Borgwardpleite keine Beziehung zu Autos mehr, und der Hafen? Gehört zur Kfz-Kette. Also kupfert man Berlin ab. In Berlin feiern sich die Stadt-GmbHs mit Millionen Euro selbst: das Pop-Kultur-Event in der Kulturbrauerei oder das von VisitBerlin veranstaltete Millionen-Fest „Bestival“ füttern mit Steuermillionen Euro die eignen Seilschaften. „Die größte Korruptionsveranstaltung“ Berlins (Zitat eines Bezirksbürgermeisters): das Hoffest der Bürgermeisterin kostete den Steuerzahler lediglich 40.000€. Man feiert sich selbst auf Kosten anderer. Warum geht das in Berlin?

Hier streben alle hin, wenn die Sonne scheint. Warum also nicht einmal mit Nichts anfangen und die mitgebrachte Kultur über das Essen einbringen? Über das Essen identifizieren sich die Regionen des Erdballs. Gut sieht man dies am Beispiel von Taiwan. Die aus allen Regionen Chinas vor dem Kommunismus Geflüchteten konnten sich auf die ehemals japanische Insel Formosa in Sicherheit bringen. Sie haben eigene Kulturgüter vor der „Kulturrevolution“ gerettet und haben ihre Küchen aus ganz China auf einer kleinen Insel aufgezogen. Und in Berlin?: Es waren doch auch zwei Inseln! Also machen wir Streetfood im Volkspark Wilmersdorf. Wir eröffnen probeweise einfach einen Stand und bieten Essen an: Pustekuchen. Der Steetfood-Park soll ausgelöscht werden. Die alte Insel verlandet im Brandenburger Sand.

Nun, gut. Ein offener Stand im Park könnte den nächsten Winter ohnehin nicht überdauern. Also sollte man doch zum Lebensunterhalt einen kleinen Laden eröffnen. Theoretisch kein Problem: wir haben Gewerbefreiheit. Aber die Freiheit wird bürokratisch eingerahmt: Praktisch muss aber der Neu-Berliner erst einen Wohnort begründen und anmelden. Ohne Meldebescheinigung gibt es schlichtweg keine Bestätigung der Gewerbeanmeldung. Das Papier braucht man wiederum zum gewerblichen Einkauf. 110 Bürgerämter plus fünf mobile Bürgerämter betreibt Berlin. Auf dem Papier soll man seine Wohnung innerhalb von 14 Tagen angemeldet haben, weil sonst eine Verwarnung droht. Kinkerlitz? Leider nein, denn je mehr Verwarnungen und Bußgelder man kassiert hat, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, bei den Behörden als zuverlässig zu gelten. Bei Unzuverlässigkeit droht der Entzug einer jeden Gewerbeerlaubnis. Nicht wenige Gewerbe stehen nur zuverlässigen Personen offen. Nur: sich in Berlin – berlinweit – anzumelden ist innerhalb der Bußgeldfrist faktisch unmöglich. Es gibt auf länger keinen einzig freien Termin unter 6 Wochen Voranmeldung. Bei Berliner Behörden (wer hätte anderes erwartet) ist eine online Anmeldung nicht möglich. Es geniert auch niemanden mehr, auf seinem Pass als Wilmersdorfer den Stempel von Marzahn zu tragen. Hauptsache angemeldet. Die Behörden schreiben, überlastet zu sein. Wahlen bekommen die Berliner Behörden bekanntermaßen auch nicht auf die Reihe. Hunderte Wahlen in Wahlbüros haben gegen alle Grundsätze der Demokratie verstoßen. Rund 400 Wahllokale müssten die Wahlen eigentlich wiederholen. Demokratie will man im Ausland lehren. In Wirklichkeit arbeitet gefühlt die Hälfte der öffentlich Finanzierten nicht so, wie man es erwarten dürfte. An die Anmeldung eines Fahrzeugs möge man gar nicht denken. Denn schon eine Parkerlaubnis für den Gewerbestandort gibt es nicht mehr. Auto und Gewerbe gelten in Verwaltungen als pfui.

In diesem Rhythmus der Widersprüche geht es dann munter weiter. Eine Gewerbeanmeldung kann von einem Wohnortgemeldeten theoretisch online vorgenommen werden. Nur reicht das dem Finanzamt wieder nicht. Das will eine Steuernummer nur dann zuteilen, wenn man eine Gewerbeanmeldung gestempelt und in Druckform vorlegt und außerdem einen Mietvertrag für das eigene Büro präsentieren kann. Letzteres könnte denn auch daheim sein. Mit sich selbst einen Mietvertrag zu schließen geht nicht, § 181 BGB. Aber warum sollte man unnötigerweise eine Bürofläche anmieten? Diese museale Vorstellung ist immer noch in den Köpfen von Verwaltung, Volk und Medien. Erst kürzlich mokierte sich der Tagesspiegel über den heimischen Bürositz des neuen IHK-Präsidenten, dessen Qualifizierung von der Aufgabe des gemeldeten Sitzes seines Büros abhängig gemacht werden sollte. Da verschlafen wohl einige die Realität. Egal: wenn man dem Finanzamt dann nach Verweigerung der Erteilung einer Steuernummer mitteilt, dass man dann eben keine Steuern zahlt, umgeht man das Hakenformular. Die Steuernummer folgt dann sofort – auch ohne eigenen Firmenstempel.

Kennen Sie das OZG? Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet die Bundesländer zur Digitalisierung von 575 Leistungen bis Jahresende 2022. Auch hier ist Berlin Schlusslicht. Erst 80 Leistungen sind digitalisiert bzw. teilweise digitalisiert. Es gibt inzwischen einen Digitalmesser dazu: www.insm.de. Das ist wohl der derzeit beste Beleg für unsere unfähige Politik: sich selbst ein Gesetz geben mit eigens ausgerechneten Zeitlimit und dann nur im Umfang eines Fünftels an die eigenen Regeln halten. Aber hierzulande ist ja nichts mehr peinlich bei diesen Leuten. Da behauptet jüngst die Bundesaußenministerin, man wisse die Spaltung der Gesellschaft bei der anstehenden Energiekrise zu verhindern. Deutsche Behörden sind noch nicht einmal im Stande, innerhalb eines Jahres 1.600 Bewohnern nach der katastrophalen Ahrtal-Flut zugesagte Hilfsgelder auszuzahlen – ausgezahlt wurden ganze 8 (!) Bewilligungen. Wenn man schon 1.600 Menschen nicht helfen kann, wie will man dann 83 Millionen Einwohnern Sicherheit geben? Stattdessen erfindet man parallel zum Handelsregister ein Transparenzregister, wo dasselbe drinsteht. Die Hundesteuerabteilungen verpflichten zu einem neuen (privaten + kostenpflichtigen) Hunderegister, obwohl auch hierzu die Hundesteuerdaten längst bei den Bezirksämtern vorliegen. Apropos Energiekrise: Windräder benötigen 60 behördliche Untergenehmigungen und auf Solaranlagen-Zertifizierungen wartet man 2 Jahre. Bund und Land haben rein gar nichts im Griff und werden nichts steuern können, wenn es darauf ankommt. Statt Innovation und Änderungen zu ermöglichen, dürfen wir im Winter wohl die Energiepolizei erwarten: Beamte messen dann spontan in den Wohn- und Geschäftsräumen, ob man die Raumtemperatur unzulässig hoch geschraubt hat.
Die eigens entwickelte vermögenssteuervorbereitende Meldung der Grundstücksdaten über ELSTER ist ebenfalls erwartungsgemäß zum Start zusammengebrochen. Die Anzahl von anmeldepflichtigen Einheiten (rund 36 Millionen), sind nur in der Verwaltung neu entstanden.

Berlin lockt „privat“ ein internationales Weltformat an und bietet amtlich eine höchst provinzielle Administration dafür an. Nicht nur, dass der BER bisher weiterhin oft keinen Direktflughafen darstellt; nein, Berlin verliert offenbar auch Easyjet.
Die 13jährigen Schüler*Innen Berlins werden auf einen höheren Schultyp neu verteilt und müssen damit wohl die Schulverwaltung auf dem falschen Bein erwischt haben. Nicht selten sollen sie nun 18km vom Wohnort pflichtgeschult werden. Da heißt es täglich stundenlang im Dunkeln und mehrfach umsteigend an- und abreisen (sofern die BVG funktioniert). Für die Berliner Schulverwaltung kommt auch jedes Jahr Weihnachten völlig überraschend. Tausenden Schülern geht es so. Ein Jahr Vorbereitung reichte der Verwaltung nicht. Die zuletzt Geborenen können die Eltern weder in Kindergärten, noch für den Bezug von Elterngeld anmelden. Es ist selbst nach 3 Monaten unmöglich, eine Geburtsbescheinigung vorzulegen. In Berlin sind nicht etwa die Verwaltungsgebäude weggebombt worden, sondern die Leistungsbereitschaft der Verwaltung ist dahingegangen. Hierzulande wirft man von anderen schwer verdientes Steuergeld verächtlich zum Fenster hinaus. 500 Millionen Euro wurden allein in Berlin in Testzentren für Corona-Nichtnachweise verpufft. Oft wurde für fiktive Kunden abgerechnet. Bis heute hat sich an der Abrechnungspraxis nichts geändert. Tankrabatte und andere absurde infrastrukturferne Gelddruckausgaben führen zur Dummen-Inflation des Staates (nicht etwa der Krieg im Osten, sonst hätten auch Länder wie die Schweiz und Schweden so etwas wie eine Inflation).

Zurück zur touristisch-gastronomischen Entfaltungsidee: Das Land Berlin und der Bund mieteten für ihre Umsetzungsversuche bereits im letzten bzw. vorletzten Jahr für bis zu 50€ pro Quadratmeter einfache Büro- und Ladenflächen an. So geschehen in der Franklinstraße und am Salzufer, ohne, dass diese Flächen tatsächlich genutzt werden. Als Unternehmer steht man mit seinen Ideen und mit seinen echten Ertragsanforderungen in totaler Konfrontation zu Wettbewerbern, die von staatlichen Steuermittelheizgeldern „aus sozialen Gründen“ profitieren. Die Mietpreise explodieren direkt durch staatliche Anmietungen.
Will man als Gastronom Mitarbeiter*Innen einstellen, dann muss sich der Arbeitgeber inzwischen bewerben. Schon 2020 stellten staatlich finanzierte Teststellen und Impfzentren alles was Füße und Kopf hatte für ab 4.000€ Bruttomonatslohn ein. Jemanden also finden, und den oder die unter 23€/Stunden anzustellen, ist bei 30 Tagen Wettbewerbsurlaub praktisch unmöglich. Insgesamt haben sich die Fixkosten für den Betrieb eines Restaurants schlichtweg verdreifacht. Das dreifache anzusetzen, um ein Gericht oder Getränk auszugeben, dürfte viele Kunden abschrecken. Es bedeutet also ein großes Risiko, heute unternehmerisch im Tourismus bzw. in der Gastronomie aktiv zu werden. Wofür macht man das Ganze denn überhaupt?

Jetzt muss man sich für eine Nutzungsgenehmigung letztlich auch bei den Behörden bettelnd erniedrigen – sozusagen auf Knien sterben. Ein bekannter Architekt hat vor wenigen Monaten im Tagesspiegel angemerkt, dass Genehmigungsverfahren inzwischen mehr als 15 Monate andauern (übrigens auch für einfache Restaurantflächen). Das stimmt. Die 15 Monate zählen übrigens ab Einreichung der Baugenehmigung, exklusive der zuvor monatelang abgestimmten und erarbeiteten Planungen und fertigen Fachplanungen. Die Ursachenforschung des Architekten allerdings war falsch. Er meinte, dass in den Verwaltungen zu wenige Mitarbeitende seien. Seit 25 Jahren werden konstant alle ursprünglich behördlichen Aufgaben auf die Privaten übertragen. Keine Behörde schickt amtliche Brandschutzprüfer mehr. Selbst B-Plan-Verfahren werden privat organisiert und bezahlt. Baubehörden sind nur noch Abnick-Behörden, die sich von den Architekten, Brandschutzgutachtern, Statikern, Umweltgutachtern und sonstigen Fachplanern und Gutachtern vorlegen lassen, was sie für gut oder nicht gut empfinden. Ganz nüchtern betrachtet sind viele Behörden von Leistung und Abarbeitung abgekoppelt. Niemand muss bei der Stadtplanung eine Frist einhalten. Es wird auch nicht an das Gemeinwohl gedacht. Je früher eine Nutzung genehmigt wird, desto eher fließen Steuermittel, entsteht Innovation und wird Raum geschaffen. Da aber Baubehörden nach wie vor nicht mehr Wohnraum bauen lassen (auch nicht für soziale Wohnbaugesellschaften), weil sie keine GFZ-GRZ-Überschreitung zulassen und auch nicht dichter bauen lassen als im Umgebungsbestand nach § 34 BauGB, werden die Bodenprobleme der Menschen in Berlin immer größer. Zur Erinnerung: im Öffentlichen Dienst von Berlin arbeiten pro 17 Einwohner ein Verwaltungsangestellter. Vielleicht sollten die Verwaltungsmitarbeitenden einmal das Gefühl beigebracht bekommen, wie es ist, kein Geld zu bekommen, wenn man nicht leistet. Besser wir tauschen die Hälfte der Öffentlich Bediensteten von Berlin mit anderen Bundesländern oder innerhalb der EU.

Was macht man also mit seiner Kultur- oder Gastroidee? In der Pfalzburger Straße hat jüngst das peruanische Restaurant „Serrano“ seine Außensitzplätze von 20 auf 8 behördlich bestimmt reduzieren müssen. Man beerdigt sie gleich die Gastro-Idee, besser noch, sofort und wird schnell Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Denn nur da sind die Arbeitsplätze relativ sicher- neuerdings wird man auch wieder verbeamtet. Nur kann man nicht endlos Geld drucken, ohne dass die armen Menschen real weder zu essen, noch Heizung haben. Irgendjemand muss durch Leistung Geld verdienen und frisches Geld produzieren. Sicherheit ist allerdings auch nur relativ. Wenn man im Berliner Juli den Notruf wählt und nach 15minütiger Warteschleife wiederum 45 Minuten warten muss, bis Rettungssanitäter erscheinen, um die Kopfverletzung des Kindes zu versorgen, ist der Glaube an den Staat endgültig verloren. Hier hat der Senat Rettungswagen aus Kostengründen gestrichen, während in der Bergmannstraße für 1,6 Millionen Euro grüne Punkte auf die Straße gemalt und Parkletts gebaut wurden. Sicherlich erscheint demnächst eine gute Statistik zum Erfolg der Rettungsdienste ab Einsatzstart; die schwersten Notfälle haben die Warteschleife nicht überlebt.

Schließlich befragt aktuell das Bezirksamt Mitte mit Beratungsgeldern des Steuerzahlers an die BTE (Tourismus- und Regionalberatung) tatsächlich willkürlich und online Bürger und Betreiber von Attraktionen, wie der Bezirk auf die privaten Betreiber von Restaurants oder Attraktion eingreifen soll (https://survey.lamapoll.de/BerlinMitte/). Wer die Befragten tatsächlich sind, wird nicht überprüft. Die „Handlungsbedarfe“ der Verwaltung sollen ermittelt oder gerechtfertigt werden. Die Antworten werden so gelenkt, dass man später begründen kann, wie man die Attraktion inhaltlich hin zu behördlich ausgedachter Vielfalt, Nachhaltigkeit, „Authenzität“ oder Qualität zwingen könnte. Keine Auswahlmöglichkeiten, wie oft das Land Berlin die Straßen und Parks reinigen sollte, Obdachlose von der Straße bekommt, unsere Sicherheit verbessert wird oder gar mehr Freiheiten und weniger Bürokratie oder Erreichbarkeit der Behörden für Gewerbetreibende erwirkt werden kann: alles Fehlanzeige. Wie soll denn bitte ein Staat dem Privaten pädagogisch oder enteignend irgendwas erklären, wenn er schon seine eigenen Kernaufgaben nicht erfüllen kann? Das ist dann schon ein besonders freches Ablenkungsmanöver.

Und irgendwann muss sich jeder von uns fragen, ob wirklich die richtigen Personen in Verantwortung sind. Qualifikation und Kompetenz scheinen nicht ausschlaggebend dafür gewesen zu sein, in Verantwortungspositionen gespült worden zu sein. Von dem vielen Steuergeld und Gelddruck ist in den letzten Jahren nichts in Infrastruktur investiert worden. Klar ausgedrückt kann man sagen, dass der Staat unter maßloser Selbstüberschätzung leidet, sich nicht als Dienstleister am Menschen sieht und gleichzeitig den sie bezahlenden Bürgern und Unternehmen die Grundgegenleistungen verweigert. Dass einem als loyaler Staatsbürger Angst und Bange wird, wenn das Kaliber aktueller Politiker und deren Verwaltungshorden für Klimaschutz und Versorgungssicherheit sorgen sollen, dürfte logisch sein. Dann ist es aber zu spät. Ist es nicht besser nichts mehr in Berlin zu machen und zu warten und Scherben einzusammeln? Zur Not gibt es auch viele andere schöne Orte auf diesem Planeten. Jedenfalls muss das Füttern diesen Verwaltungs- Politikapparates auf eigenes Risiko (wirtschaftlich und gesundheitlich) ohne jegliche Gegenleistung gut überlegt sein.

 


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Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Mitglied im INTOURA e.V.

Work-Life-Balance

Mai-Kolumne

Meinung
Q. Graf Adelmann

Tag der Arbeit oder: Alles scheißegal

Leistung verschiebt sich in das Imaginäre, der Null-Bock-Modus greift um sich

Eine Viertelmillion Menschen lebt von Tourismus und Gastronomie in Berlin. Nach 2 Jahren Pandemie beklagen die gut 800 Beherbergungsbetriebe, die nahezu 20.000 gastronomischen Einrichtungen sowie Hunderte von Attraktionen, dass sie weder Berliner noch die noch 2019 gezählten knapp 14 Millionen Besucher auslastungsgerecht empfangen und bedienen zu können: es fehlt an (Fach-)Personal. Kann man dem abhelfen, indem man einfach Gehälter erhöht? Das müsste nach dem Einmaleins der Volkswirtschaft funktionieren. Tut es aber nicht. Das scheitert aus unserem neuen Verständnis vom inzwischen bösen Wort „Leistung“. Was ist also aus der Bereitschaft zum Einsatz von privater Zeit in fremde Dienste geworden? Ihre Messbarkeit ist nicht mehr relevant. Wofür demonstrieren dann die Menschen zum 1. Mai? Nur 1,2 Millionen Berliner der hier 3,6 Millionen Einwohner sind noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Wer erledigt künftig die Herausforderungen in Berlin oder warum schwindet die Lust, in dieser Stadt etwas zu bewegen? Wird Beruf nur noch zu einem Job-on-Demand?

Diese Frage könnte auch genau andersherum gestellt werden. Wissen Sie, was ein Tax Bite ist? Stellen Sie sich vor, Sie richten ein Essen für Ihre Familie aus. Man muss es sich ganz konkret vorstellen: im Garten wird ein Essen aufgedeckt. Liebevoll ist es durchdacht und mühsam vorbereitet worden. Den ganzen Tag haben Sie alles selbst vorbereitet, um am Abend eine schöne Zeit mit der Familie verbringen zu können. Und nun stolpert ein wildfremder Passant in die Runde und reißt mehr als die Hälfte des aufgedeckten Mahls unter Androhung von Gewalt an sich. Er nimmt Ihnen keinen kleinen Bissen vom Imbiss, sondern tatsächlich mehr als die Hälfte von allem weg. Als Gegenleistung verspricht er Schutz vor weiteren Hungrigen und einen Sicherheitsdienst dagegen. Doch was passiert, wenn der versprochene Schutz ein leeres Versprechen bleibt? (Deutschland belegt z.B. Platz 76 von 78 in der Pisa-Studie: Schulausstattung digital noch hinter Moldawien) Oder umgekehrt: Was passiert, wenn die Köche frustriert sind und keinen Aufwand mehr im Garten betreiben wollen? Was unterscheidet Unternehmer und Arbeitnehmer heute in ihrer Einstellung zu Staat und Gesellschaft? Wie steht es heute um die Bereitschaft aller Leistungsträger, an fünf Tagen in der Woche zu arbeiten? Und umgekehrt; wie sieht es für ein Unternehmen aus, unter diesen gesättigten Bedingungen aktiv zu sein. Macht es Sinn, überhaupt noch unternehmerisch tätig zu sein?

Heute ist Tag der Arbeit. Arbeit als solche sagt einem nichts. Man macht sich keine Arbeit, macht sich keine Mühe, also ein anachronistischer Tag. Als Berliner Highlight über Jahrzehnte und Anreisegrund für Gäste aus dem In- und Ausland war daher die legendäre Nacht auf den 1. Mai auf der Kreuzberger Oranienstraße. Dort gaben sich Autonome die Mühe und machten Krawall.  Autos brannten, Polizei als Anti-Krawallmacherei marschierte gegen den so genannten Schwarzen Mob auf. Touristen sahen sich die Gefechte gern aus 50 m Entfernung an. Dieses touristische Großereignis gegen Kapitalismus und Staat in zentraler Berlin-Lage hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr nach Hamburg verlagert. Vom rein touristischen Gesichtspunkt aus betrachtet eigentlich schade. Nun werden in Hamburg hunderte Steinewerfer verhaftet, die gegen „Ausbeutung und Unterdrückung“ kämpfen, wie sie es nennen. Trotzdem sollte man sich auch in Berlin die Frage stellen, was aus heutiger Sicht Ausbeutung und Unterdrückung in der Arbeitswelt sein kann?

Ost- und West-Berlin organisierten sich historisch höchst unterschiedlich bei der Interpretation des Feiertages am 1. Mai. Während in Ost-Berlin die von der SED organisierte Demonstrationsteilnahme gesellschaftliche Pflicht war, gehörte im Westen das Fernbleiben zum guten Ton. Im Osten gab es generell eine gratis Bockwurst und zeitweise sogar 5 Mark Teilnahme-Gratifikation. Die im Westen durch den DGB organisierte Feiertag ging Punkt 18:00 Uhr zu Ende. Im bürgerlichen West-Berlin wurden die Gehsteige hochgeklappt. Trotzdem blieb die ganze Nacht laut und hell. „Demos“ richteten sich gegen den Staat. Man könnte heute allerdings meinen, dass es einen Staat nicht mehr wirklich geben kann, weil niemand mehr gegen dessen Unterdrückung demonstriert. Welches Wunder hat sich ereignet?

Wegfall des historischen Schaffens

Schauen wir uns unser aktuelles Berlin an. Die historischen 400.000 (subventionierten) Industriearbeitsplätze sind seit 1991 immer weniger geworden und inzwischen so gut wie weg. Die Grundlage dieser Industrien war in 100 Jahren zwischen 1820 und Ende des ersten Weltkrieges gelegt worden. Berlin als preußische Hauptstadt und sein wirtschaftliches Zentrum konnte Unternehmensgründer wie die Familie Rathenau (AEG), Siemens, Halske, Schering, und Borsig zusammen mit ihren großen Banken (Deutsche, Dresdner, Darmstädter) gewinnen. Philosophen wie Karl Marx wurden von ausgebeuteten Arbeitern mit wenig Freizeit, eingepfercht in kleinen Wohnräumen und in Mietskasernen mit bis zu 6 Hinterhöfen wahrgenommen. Karl Marx war schon 1848 in Paris und von dort nach London verzogen. 1943, im zunehmenden anglo-amerikanischen Bombenhagel, hatte Berlin noch 900.000 mehr Einwohner als heute. Die Goldenen 20er (Show zu sehen im Varieté Wintergarten), die nach der großen Inflation und nach Einführung der neuen Währung (Rentenmark) der Stadt einen Aufstieg in neue Höhen zu erlauben schienen, waren durch politischen Wahnsinn reine Illusion geworden. Der Rest ist ja bekannt. Berlin hat seine gesamte Industrie bzw. spätestens mit dem Wegfall staatlicher Subventionen im Westen und auch im Osten der Stadt mit dem Wegfall der DDR verloren. Zwischen 1991 und 2006 wurden 260.000 Industriearbeitsplätze abgebaut (Kabelwerke Oberspree, Samsung usw). Nur noch 100.000 Menschen von knapp 1,55 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (je hälftig Frauen und Männer, 340.000 davon nicht in Berlin wohnend) in Berlin gehören heute dem produzierenden Gewerbe an. Im Stadtbild erinnern nur noch die Namen einiger Eigentumswohnanlagen an frühere Industriestandorte.

Ausbeutung der Lebenszeit

Berlin spuckt sich trotzdem in die Hände und erwirtschaftet heute ein sich auf knapp 140 Milliarden belaufendes städtisches Bruttoinlandsprodukt. Berlin produziert damit zwar nur 45% des städtischen Bruttoprodukts pro Kopf im Vergleich zu München, aber doch 70% im Vergleich zu Paris. Damit reiht sich Berlin immerhin in die Wirtschaftskräfte von Barcelona, Athen oder Manchester ein. Aber womit „verdient“ Berlin heute sein Geld, wenn es keine Industrie mehr hat? Nun ja, es ist die Kreativ- und Tourismuswirtschaft, die eindeutig die Nummer eins ist. In ihnen arbeiten die meisten Einwohner. Erst danach kommen Bau- und Immobilienwirtschaft, zwei den Linken verhasste Branchen, die aber dank des politischen Kampfes gegen diese Form von Kapitalismus ermüden werden, vielleicht auch ganz zum Erliegen kommen, weil Baugenehmigungen inzwischen 18 Monate benötigen, um in Angriff genommen werden zu können. Soziale Förderauflagen und Bauqualitätsansprüche werden scheinbar unendlich hochgeschraubt. Außerdem haben klassische Büroarbeitsplätze keine Zukunft mehr, die Zins- und Materialpreissteigerungen geben diesen Branchen den Rest. Bleiben noch einige wenige Start-Ups mit überbezahlten 85.000 Beschäftigten als Hoffnungsträger.

Die Vielzahl der Einwohner, arbeitend oder nicht, benötigt noch einen Öffentlichen Dienst. Gut 34.000 Lehrer (durchschnittlich 1 Lehrer pro 10,5 Schüler) können auch nicht unter die Ausbeutungsphilosophie von Karl Marx fallen. Diese Herrschaften arbeiten nur 18,5 Stunden pro Woche und bekommen umgerechnet das Vierfache an Gehalt eines Polizisten; trotzdem fehlen Lehrer durchschnittlich 96 Tage pro Jahr (Ferien- und Krankheitstage). Würden Polizisten sich so leichtsinnig krank fühlen, wäre dies Anarchie. Lehrer sind heute ein Sinnbild zur beruflichen Einstellung: das Leben ist einfach schön. Schule – Uni – Schule – Pension – Exitus. 12 Wochen Urlaub mit bis zu 6.000€ netto und Beamten/ÖD-Vorteile plus 1 bis 3 Wochen Zusatzkrankheitsurlaub. Diese deutsche Moral, die den Kindern vorgelebt wird, steht im krassen Gegensatz zur Arbeitseinstellung in Staaten, mit denen „wir“ im Wettbewerb stehen. In Japan oder in Taiwan begnügt man sich heutzutage noch mit nur 10 Tagen Urlaub pro Jahr. Wie es bei uns so anders kommen konnte, versteht man nicht, denn 1903 erstritten sich Brauereimitarbeiter drei bezahlte Urlaubstage pro Jahr. Nur der (damals noch heilige) Sonntag war frei, nicht aber der „Sonnabend“. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es 2 Wochen Urlaub und ab 1963 wurde das Bundesurlaubsgesetz mit 3 Wochen bezahltem Urlaub etabliert (ohne dass es einen Dritten Weltkrieg gegeben hätte).

Am Beispiel der 210.000 Beschäftigten im Öffentlichen Dienst wollen wir den Begriff „Ausbeutung“ genauer untersuchen. Jedem Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst stehen 17 „private“ Einwohner in Berlin gegenüber. Staatstreu gesonnen darf man wahrscheinlich so nicht rechnen. Aber wenn man einen gebührenpflichtigen Pass-Beantragungstermin erst nach sechs Wochen bekommt, auf eine Zulassung seines Automobils drei Wochen warten muss, wenn die Übermittlung der Geburtsurkunde eines der jährlich 38.650 geborenen Berliner Kinder 12-16 Wochen in Anspruch nimmt und die Ordnungshüter in Charlottenburg jährlich 101 Krankheitstage absolvieren, dann beginnt man, seinen Glauben an den deutschen Leistungswillen zu verlieren. Nun ja, von Leistenden und Ausgebeuteten wird man im Öffentlichen Dienst nur schwer jemanden finden. Will man in Berlin eine Asiatin heiraten, wartet man nicht weniger als 18 Monate, bis die Papiere beisammen sind. Als i-Tüpfelchen der Null-Komma-X-Leistung gab es dann noch die steuerfreie Corona-Prämie für die Erschwernis, öffentliche Aufgaben nicht von zu Hause aus erfüllen zu können. Klar; es gibt sie: Berufe mit besonderer Belastung wie im Gesundheitsbereich, bei der Polizei und der Feuerwehr. Es gibt auch in der Verwaltung viele engagierte Menschen. Aber ausgerechnet diese stehen am 1. Mai nicht auf der Straße, sondern empfangen die Verletzten und löschen die Brände.

Apropos Mindestlohn. Er ist nun auf dem Weg hin zu 12€ (das waren mal DM 24.-). Allein das Wort „Mindestlohn“ dürfte das Selbstwertgefühl der durchschnittlich 375.000 Niedriglohnarbeiter nicht stärken (auch wenn sie eine Klasse von nahezu einem stolzen Viertel aller sozialversicherungspflichtig arbeitenden in Berliner stellt; EU-Schnitt: 17%; bei 15,10€/Std. oder weniger). Sie arbeiten zur Deckung des Existenzminimums. Nehmen wir diese 12€ und multiplizieren diese mit den maximalen 176 Stunden Vollzeit monatlich, kommen wir auf einen Brutto(mindest)lohn von 2.112€. Das ergibt netto 1.485€ in Steuerklasse eins. Zieht man noch die üblichen Rentenprodukte ab, reduziert sich das verfügbare Einkommen noch einmal deutlich. Das nicht pfändbare Existenzminimum eines jeden Menschen beträgt 1.260€ (seit 1.12.21). Die Differenz der 225€ macht die Kreditwürdigkeit des Mindestlöhners zum Mindeststundenarbeiter aus, der 19 Stunden weniger im Monat arbeitet, um das pfändungsfreie Einkommen nicht zu übersteigen. Darüber hinaus drückt der oftmalige Status des Menschen als Objekt auf Abruf auf seine Zukunftswertschätzung. Zeitarbeitsverträge machen diese Klasse noch einmal unsicherer. Natürlich stellt sich dann die Frage, ob man besser auf einen Mehrlohn verzichtet und sich 209 Stunden pro Jahr weniger bemüht. Genau das ist in der Touristik eine Prinzipienfrage geworden: angefangen mit ihren Reinigungsaufträgen, über Hotellöhne bis hin zu Sicherheits- und Kassendiensten ist die Frage der Arbeitsmoral das große Thema geworden. Einerseits kann das Tourismusunternehmen nur etwa Mindestlöhne zahlen, andererseits rechnet auch der Beschäftigte, wie er die Distanz zum Prekariat vergrößern kann. Die politische Herausforderung wird ignoriert. Der Staat kann sich ein „Weiter so“ nicht erlauben. Er muss die Balance zwischen wirtschaftlichem Erfolg einer unternehmerischen Aktivität und dem Zeitengagement der Arbeitnehmer finden. Eine Frage, was sich überhaupt noch lohnt oder die, ob Karriere und Geld überhaupt noch eine Bedeutung haben, darf sich im Wirtschaftsleben nicht stellen. Das wäre das Ende unseres Systems. Durch Inflation und Krisen wird die Antwort immer dringender. Die aktuelle Gründerquote ist wegen des Schweigens der politischen Lämmer auf weniger als 1% gesunken, die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Berlin (34%) bleiben erschreckend niedrig. Politik und Verwaltung werden ja wohl die Kernsteueraufgaben nicht selbst lösen.

Life statt Work

Wenn heute also von „Ausbeutung“ gesprochen wird, kann man es nur so verstehen, dass die Unternehmer ihre Einkommen zwischen Januar bis August eines Jahres nicht mehr abführen müssen. Mindestlöhner wollen auch nicht 45 Jahre ihres Lebens arbeiten, um abzugsfrei die versprochenen Rentengelder zu erhalten. Die politische Kaste federt sich auch bei krassem Versagen sozial ab (Anne Spiegel, die dann einen Monat lang Sonnen-Urlaub macht, wenn sie das einzige Mal in ihrem Leben hätte zur Stelle sein müssen). Das sind die Maßstäbe, die ein Arbeitnehmer nach dem Gleichheitsprinzip auch für sich – wenigstens in bescheidener Volksausgabe – verlangen kann. Der Unterschied zwischen Entlassung einer Anne Spiegel und der Entlassung einer „Schleckerfrau“ macht es, was früher die direkte Unterdrückung der Arbeitnehmer ausmachte. Heute ist es die simple Ungerechtigkeit. Und diese Ungerechtigkeiten setzen sich auch auf anderen Gebieten fort: In der Kommunalpolitik soll nicht der ÖPNV im Wettbewerb zum Automobil besser gemacht werden, sondern das Autofahren erschwert werden.

Nun könnte man meinen, dass die Erhöhung von Gehalt dazu führen müsste, dass die Menschen mehr Lust auf Arbeit und Identifikation mit dem Unternehmen bekommen. Man sieht es an den 85.000 Beschäftigten von Start-Ups. Dort liegt die Jahresfluktuationsrate bei 50%. Die durchschnittlichen Gehälter eines Mitarbeitenden betragen mehr als Doppelte eines Mindestlöhners. Erfahrene Mitarbeiter erhalten in der Regel sogar 80.000€ Jahresbruttogehalt aufwärts. Gelder, die auch die Mindestlöhner durch Rentenprodukte mittelbar bereitstellen. Zusätzlich werden ESOP/VSOP – Programme aufgelegt (Employee Stock Ownership Program / Virtual Stock Ownership Program). Die Idee ist, den Schlüsselpositionen im Unternehmen virtuelle Anteile am Unternehmen zu geben, um sie zu halten. Sie motivieren aber die Mitarbeiter kaum.

Leistungsbereitschaft wie sie traditionell verstanden wurde, hat sich durch den Einsatz für die Verbesserung der Lebensbedingungen der nachfolgenden Generationen komplett verändert. Die Veränderungen haben mit Arbeit und Leistung nichts mehr zu tun. Arbeit ist auf einen marginalen Teil des Lebens reduziert und eher als Gesellschaftsereignis umfunktioniert. Man „konsumiert“ sozusagen den Kontakt zu Kollegen, um seine sozialen Tages- und Monatsbedürfnisse zu befriedigen. Dieses Arbeitsverständnis tendiert hin zur Vergesellschaftung von Raum, Leistung und Unternehmen. Dabei ist das amerikanische Modell der Selbstüberlassung des Menschen wohl ebenso wenig eine Lösung wie der raumfressende Kommunismus. Die Motivation jedes Einzelnen und die Förderung von Stärken bleibt außen vor. Der Rhythmus der Minderheiten, das Quoteln nach Utopie in bürokratischer Aristokratie ist Gift für das Überleben unserer Gesellschaft. Leistung mit Beteiligung an Unternehmenserfolgen bei gleichzeitiger Halbierung der Aktivitätsfelder des Öffentlichen Dienstes in GmbHs oder als „Wettbewerber der Freizeit“ könnte ein erster Ansatz sein, Menschen zu motivieren, wieder aktiver zu werden.

Zukunft von Körper & Geist

Schon mal etwas über das Metaverse gehört? Instagram und Facebook sollen zum Jahresende komplett eingestellt werden. Künftige Lösung ist dann das Metaverse. Man lebt dann als Surrogat in einer Parallelwelt. Mit „Surrogate“ sind nicht die Leihmütter gemeint, die diese Vorstellungen gebären, sondern eher die Ausgestaltung von Bruce Willis in „Surrogates“. Man bleibt einfach daheim und schaltet sich zur Hochzeit mit tausenden Menschen dazu, nimmt an Sitzungen mit Teams nur als virtuelle Figur teil, steht an der Kasse im Museum als Screen und bleibt tatsächlich daheim auf dem Sofa. Man baut sich eine virtuelle Welt nach Wunsch und braucht dann auch keine Berufsbekleidung mehr oder Büromöbel, die ohnehin durch die digitalen Dokumentationen obsolet werden. Wir können also alle fett und hässlich werden und unsere Fantasien zu Aussehen, Bekleidung und Auftritt selbst wählen. Nur wird man als Weiße(r) seine Figur nicht mit dunkler Haut oder Dreadlocks ausstatten dürfen: sonst wird man aus diesem Leben gecancelt. Vielleicht gestalten wir auch hin zu einer Matrix, in der der Mensch nur träumt und sehr wenige tatsächlich leben. War die klassische Unterdrückung nicht etwas Schöneres?

Fazit: es gibt sie noch: viele leistungsbereite Menschen in allen Bereichen in dieser Stadt. Aber wer arbeitet in der Zukunft noch für die stärkste Kraft Berlins (Tourismusindustrie)? Jedenfalls immer weniger Menschen. Der Letzte räumt die Welt auf, sozusagen (Wall-E). Davon sind wir weit weniger entfernt, als wir denken. Die Mai-Demonstration brennt dann nur noch auf Google Culture, während die Präsidentin der EU noch immer offline mit einem ausgedruckten Frage-Formular in andere Länder reist, damit hyperbürokratisch irgendwann über eine Aufnahme ins EU-Museums-Land entschieden wird.

 


Einmal im Monat haben INTOURA-Mitglieder die Möglichkeit, Ihre Sicht auf die aktuelle Lage oder Entwicklung der Branche in Form einer Kolumne zu veröffentlichen. Die Inhalte spiegeln nicht zwingend die Interessen der Mitglieder oder die politische Arbeit des Vorstandes wider.


 

Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Mitglied im INTOURA e.V.