Juli-Kolumne

1. Juli 2021

Verantwortung wiegt schwer

Über Gewinner und Verlierer der Pandemie

Platz. Ruhe. Sonnenschein. In den vergangenen Wochen konnte Berlin als entspannter und fast schon gemütlicher Ort durchgehen. Die Straßen angenehm leer, der Verkehr übersichtlich, eine sehr überschaubare Zahl Menschen an den sonst stark besuchten Hot Spots der Stadt. Als Berliner eine willkommene Abwechslung, denn die eigene Stadt ungestört genießen zu können, kommt in der Tat selten vor.

Gleichzeitig wird einem schmerzlich bewusst, dass etwas fehlt. Besucherinnen und Besucher, durch die Berlin erst zu dem werden konnte, was es heute ist, sucht man vergebens. Allenfalls in homöopathischen Dosen sind sie derzeit zu finden. Ohne Zweifel gehört der Tourismus zu den am schwersten von der Pandemie heimgesuchten Branchen. Durch die nahezu vollständige Einstellung des internationalen Flugverkehrs bzw. grenzüberschreitender Reisen sowie den Einschränkungen und Regularien beim innerdeutschen Reiseverkehr wurde Berlin im deutschen Vergleich am härtesten getroffen. Hotels, Messen, Kongresse und natürlich touristische Attraktionen litten und leiden unter den Begleiterscheinungen und Nachwirkungen der Krise, deren wirtschaftliches Ausmaß sich erst in den kommenden Monaten und Jahren zeigen wird.

Eine Pandemie lässt sich weder verbieten noch abschaffen. Bill Gates wies bei einem TED-Talk bereits 2015 darauf hin, dass die Menschheit kein Konzept habe, wie sie mit einem gefährlichen Virus umgehen könne („Wir sind auf eine Epidemie nicht vorbereitet.“). Im Laufe der Geschichte gab es schon oft Epidemien und Pandemien, im 20. Jahrhundert beispielsweise die so genannte Spanische Grippe (1918-20, bis zu 50 Mio. Tote), die Siebte Cholera-Pandemie (1961-90, mehrere Mio. Tote) oder die Hongkong-Grippe (1968-70) mit geschätzten 52.000 Toten allein in Deutschland und der damaligen DDR. Die Bewältigung einer Krise ist es aber, die zeigt, ob die Regierenden entsprechende Fähigkeiten haben oder in kürzester Zeit entwickeln.

Ein fortschrittlicher Staat zeichnet sich dadurch aus, dass er eine unerwartete und bedrohliche Lage schnell einschätzt, laufend neu bewertet und daraus Regeln ableitet, um die Bevölkerung, aber auch die Wirtschaft als ökonomischen und sozialen Motor möglichst optimal zu schützen und zu unterstützen. Dazu braucht es transparente Kommunikation und effiziente Maßnahmen, die sich im Nachhinein rechtfertigen lassen. Die Zuverlässigkeit der Politik ist hierbei der wohl wichtigste Maßstab.

Bereits jetzt lässt sich sagen, dass der Staat hier keine Meisterleistung vollbracht hat. Durch Zwangsverordnungen wurde dem Tourismus von einem auf den anderen Tag die Geschäftsgrundlage entzogen. Gleichzeitig erwiesen sich die staatlichen Hilfen für diese extreme Situation als so verworren, unlogisch, widersprüchlich und verspätet, dass sie für viele Unternehmen nicht anwendbar waren oder diese zur Verschuldung oder sogar Aufgabe zwangen, weil Gelder nicht ausgezahlt wurden. Neue Ideen und Aktivitäten wurden im Bereich Tourismus für die Jahre 2019 bis 2022 folglich auf Eis gelegt oder im Keim erstickt, die Kommunikation mit den beteiligten Unternehmen zu Maßnahmen und Hilfen war mehr als unzureichend. Worauf sollte man sich also verlassen?

Unternehmerinnen und Unternehmer haben im Gegensatz zum Staat eine herausragende Eigenschaft: Sie übernehmen Verantwortung und stehen dafür persönlich und mit ihren eigenen Ressourcen ein. Liquidität ist in einer Krise oberstes Ziel, Einsparungen und mögliche Hilfen müssen evaluiert und beantragt werden. Um Kündigungen zu vermeiden, setzt man sich mit Kurzarbeitsanträgen auseinander. Der Geschäftsbetrieb muss so heruntergefahren werden, dass das Unternehmen weiterexistieren und in kurzer Zeit wieder betriebsbereit sein kann. Gelingt das nicht, verschwinden Unternehmen schnell von der Bildfläche – mit allen negativen Konsequenzen für Inhaber und Mitarbeiter.

Der Staat hingegen ist im Grunde der schlechteste Unternehmer. Er lebt von Steuergeldern und gibt anderer Leute Geld aus. Ausgaberessorts werden nach Wählerstimmen erstritten und verteilt. Was für das Land langfristig gut ist, erscheint sekundär, wenn man allein die Bereiche Bildung für Kinder und Jugendliche und den Klimaschutz betrachtet. Damit ist seine Verantwortung nur ideeller Natur, denn wer sollte für getroffene oder – noch schlimmer – nicht getroffene Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden? Im Zweifelsfall waren viele Personen beteiligt, bei denen sich Entscheidungen in einem diffusen Nebel an Kompetenzen und Versagen auflösen. Das Ergebnis einer Untersuchung im Nachhinein lautet meist: Es ist bedauerlich, aber die Schuld ist nicht eindeutig zuzuweisen. Seit Jahrzehnten werden zudem drittklassige Unternehmer in die erste Klasse der Politik befördert.

Obwohl der Staat für die Bewältigung der Krise Finanzmittel im Billionen-Bereich aufwendet, kann er als Gewinner gesehen werden. Das Geld holt er sich in den kommenden Jahren zurück – über Steuern und Rückforderungen, wenn Hilfen zurückgezahlt werden müssen, die nach dem Ausschütten des Füllhorns nun als unberechtigt eingestuft werden. Auch Unternehmen der Pharmabranche, der Logistik, der IT, der Produktion und des Online-Handels zählen zu den Gewinnern.

Es ist nur furchtbar schwer, als Unternehmen der Tourismusbranche die eigenen Produkte zu digitalisieren. Ein virtueller Museumsbesuch ist nett, kommt aber nie an den Live-Besuch heran. Eine Schifffahrt auf der Spree mit VR-Brille und Ventilator simulieren? Undenkbar. Ein Theater- oder Konzertbesuch als Stream? Möglich, aber unbefriedigend und nie kostendeckend. Wer zahlt schon für einen Stream, wenn es vergleichbare Angebot zuhauf und gratis im Netz gibt.

Der Tourismus bietet dagegen individuelle Erlebnisse für alle Menschen, egal woher sie kommen und welchen Hintergrund sie haben. Reisen und Reisebegegnungen bilden, fördern die Kultur und lassen sich nicht durch Online-Aktivitäten abbilden oder ersetzen. Berlin und Tourismus gehören zusammen, es geht nicht ohne. Daher gilt es, als Staat mit Unternehmen zu kooperieren und den Weg aus der Krise gemeinsam zu gehen. Die Verantwortung liegt darin, Unternehmen so zu unterstützen, dass sie wirtschaftlich wieder erfolgreich werden können. Dann fließen auf mittlere und lange Sicht auch Steuereinnahmen und helfen dabei, die Kosten der Pandemie zu bewältigen.

Tourismus ist kein Privileg. Er ist eine Notwendigkeit, um das eigene Weltbild zu erweitern, Neues kennenzulernen, Kulturen zu verstehen, Toleranz zu üben, Erfahrungen wiederum nach Hause zu bringen und dabei gleichzeitig zu entspannen. Es bleibt zu wünschen, dass touristische Attraktionen, Hotels und Gastronomie wieder zu Gewinnern werden. Die Voraussetzungen in einem wirtschaftlich starken Land wie Deutschland sind dafür gut. Der Staat muss es nur zulassen.


Über den Autor:

 

 

 

 

Michael Rassinger ist Geschäftsführer der Wortmacher GmbH und Fördermitglied im INTOURA e.V.