Pricing Strategies

März-Kolumne 2022

Meinung
Q. Graf Adelmann

Der strategische Preis in der Berliner Exit-Show
Dummes Geld, Palastbau und gefährliches Pricing

Mit Beginn der Osterzeit in gut 6 Wochen müssen sich Intoura-Mitglieder gut überlegt haben, wieviel Aufwand sie betreiben wollen, um eine 70%ige Auslastung ihrer Einrichtung hinzubekommen, damit ihnen von jedem 12. umgesetzten Euro einer bleibt, mit dem sie ihre Existenz und Zukunft sichern und der ihnen Investitionen in den Geschäftsausbau finanzierbar halten soll. Es geht um die Wiederherstellung von operativer Profitabilität nach der Corona-Zeit ohne Überbrückungshilfen. Das sind also die Prämissen, unter denen die Attraktionen künftig ihre Eintrittspreise festlegen werden. Wie weit kann man vorausdenken? Welches Risiko sind Unternehmer*Innen bereit einzugehen, wenn sie ein neues Theater, eine Ausstellung, ein Museum oder nur einen Spaßraum zu eröffnen vorhaben? Welche Angst-Warnungen werden wieder von der Politik zum Herbst hin beschrieen? Wieviele Touristen werden nach Berlin kommen und woher? Welche Einnahmen wird man erzielen müssen, um kostendeckend mit den derzeit inflationären Personalkosten, den explodierenden Energiekosten und den Bedürfnissen der Zentralisierung von Ticketvermarktern tragen zu können? Ab welchem rechnerischen Preis diskriminieren die Attraktionen weniger betuchte Menschen und Familien mit Kindern? Wie gestaltet sich der Plan für die Attraktion autonom? Programmiert auf Profitabilität oder auf Exit? Schauen wir uns die Rahmenbedingungen an.

Die Art 87ff des EG-Vertrages verbieten staatliche Subventionen für die Wirtschaft. Der Staat kann sein Geld in den Ausbau der Infrastruktur investieren, um die wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern, darf aber nicht die Unternehmen finanziell unterstützen. Es geschieht aber trotzdem: eine staatliche Bank vergibt Kredite nach privatbanküblichen Bedingungen. Aktuell baut eine Stiftung an Nordstream2. In der Privatwirtschaft war es z.B. Mercedes gestattet, seine Bussparte solange zu subventionieren, bis Käßbohrer in die Knie ging. Verluste des einen oder Verluste einer Unternehmenssparte sind nicht unbedingt verlorenes Geld. Mercedes dominiert heute den Markt für Busse. Das Geld hat dann jemand anderes, aber es ist volkswirtschaftlich nicht „verloren“, betriebswirtschaftlich schon. Besonders grausam erleben spekulative Anleger im Aktienmarkt solche „Übergänge“. Bei Facebook verpufften Anfang Februar innerhalb von Stunden 200 Milliarden Euro an Börsenwert. 200 Milliarden, die aber in den fiktiven Händen derer sind, die vor dem großen Puff ihre Papiere verkauft hatten.

Es gibt Unternehmen, die so viel Geld in einen Markt blasen, dass kein gesundes Gras mehr neben ihm wächst (Beispiel Mercedes/Käßbohrer). Das konnte man unter fast labor-mäßigen Bedingungen vor gut 10 Jahren in Sachen Zalando sehen; diese Show läuft derzeit in Sachen Gorillas, Getir, Wolt, Brings, Flink und Co. ab. Hunderte Millionen Euro Cash von Anlegern, die sie jeweils auf ihren Konten haben ohne jede Aussicht, in diesem Jahrzehnt profitabel zu werden. So sind derzeit Anlegergelder wie bei einer Art Pferderennen eingesetzt: welches dieser „Unternehmen“ wird den Wettlauf um den 1000m-Pferdesprint gewinnen? Es kann nur einen Sieger geben; die anderen werden untergehen müssen, schon weil sie zugleich die Gunst der Massenkleingeldsammler verlieren. Nun ist diese Einstellung bedauerlicherweise auch im Tourismus angekommen. Es beginnt bei der Markt- und Sichtbarkeitsbeherrschung im Tickethandel. Unternehmen wie booking.com, ticketmaster, Eventbrite, GetYourGuide oder Eventim kämpfen hier um die Dominanz dieses Teilmarktes. GetYourGuide beispielsweise war trotz hunderter Millionen Euro hineingepumpter Fremdanleger-Gelder seit seiner Gründung vor 13 Jahren noch nie profitabel. Gut 2,5 Milliarden Euro soll der Umsatz für Tickets in 2022 allein in Deutschland betragen und verspricht für die kommenden Jahre ein um 8% jährliches Wachstum. Die druckfrischen Fiat-Gelder gehen dann spiralisiert direkt zu den Monopolisten google, meta und amazon, die wiederum keine relevanten Ertragssteuern in Deutschland leisten. Unter diesen Rahmenbedingungen locken die Ticketanbieter Attraktionen zuerst mit attraktiven 10% Provision, um ihnen dann nach erfolgter Bindung 30% Provision abzuknöpfen. Im Wettbewerb zu staatlichen Museen, die nunmehr Öffnungstage ohne Eintrittsgelder anbieten, muss ein Museum, das ohne Subventionen auskommt, von 10€ zunächst die Umsatzsteuer abführen, dann 25% des Erlöses an den Kundenvermittler abgeben sowie selbst sozial tätig werden, indem es Familien und Kinder und die Aktionen günstiger bepreist. Sollte trotzdem etwas übrigbleiben, gehen später davon noch einmal 30% des Überschusses als Körperschafts- und Gewerbsteuer weg. Welchen Ur-Preis muss man also ansetzen, um sich gegen Fremdanlegergeld-Unternehmen und staatliche Einrichtungen zu behaupten?

Auf dem Weg zum Wettgewinn oder Wettverlust kann sich jeder überlegen, wie es den etwa 1.000 touristisch beliebten Spätis in Berlin und den Betreiber-Familien ergehen muss. Warum sollte es ihnen anders ergehen als den früheren Tante-Emma-Läden? Der Berliner Verbraucher entscheidet, ohne dass ihm dies bewusst ist, über die Investitionen aus einer Mischung von Exit-Fantasien und Finanzwetten, potenziert durch Gelddruck der obersten Politik und abgekühlt in einem System des politischen Stillstandes, den die Politiker von ganz unten bevorzugen.

Nicht wenige Unternehmenslenker glauben, dass man diesen Rahmen-Problemen aus dem Weg geht, indem man kontinuierlich mehr Geld in die eigene Unternehmung pumpt. Diese gepumpten Mittel müssen allerdings wieder amortisiert werden. Dazu gehört die Produktentwicklung neben einer Barreserve (und Cashflow) auch die Qualifizierung des Teams. Wenn ein Produkt im Kern wenig taugt, dann hilft es nicht, mehr Menschen das Produkt loben zu lassen (Werbung) oder mehr Geld im Service einzusetzen. Das gilt auch für die Touristik-Branche, deren Inhaber als virtuelle Touristen sich über das Desaster Berlins lustig machen können, wie „unsere Politik“ an Schlechtem festhält. Es gibt immer mehr fremdanlegerfinanzierte Attraktionen wie das geplante Coral World im Bezirk Lichtenberg, das tropische Fische zeigen soll; ein Schaufenster auf die Malediven mit Hintergrund Ostkreuz. Da fragt sich jeder, was denn bitte ein Berlin-Besucher oder Berliner hier erfahren soll? Das Erfolgs(finanzierungs)risiko tragen unternehmensfremde Anleger. Gleichzeitig finanziert die Deutsche KfW-Entwicklungsbank das Mesoamerikanische Korallenriff in Mittelamerika zwischen Mexiko über Belize, Guatemala und Honduras aus Steuermitteln. Auch Attraktionen, die mehr Geld in Marketing, als in die Kreation, Objektwahl oder Geschichte der Sehenswürdigkeit selbst stecken, kann man derzeit in einer Wanderausstellung studieren. Das ist so, als würde man sein Haus durch ein Bauunternehmen bauen lassen, bei dem die Zahl der Mitarbeiter in der Rechtsabteilung größer ist als das der Ingenieure.

Neue Denkweise zu Unternehmertum

Obwohl Berlin weltweit dafür bekannt ist, dass es viele Start-Up-Neugründungen (500/Jahr) zu gewinnen fähig ist, wundert man sich darüber: Junge Menschen mit Ideen aus allen Ecken der Welt kommen ausgerechnet zum Umsteige-Endflughafen von Berlin, um sich im Stadtzentrum niederzulassen. Damit förderten sie kollateral ein Ansteigen der Büromieten, die sich in den letzten 6 Jahren glücklich für die Investoren mehr als verdoppelt haben. Auch die Investoren in Mietwohnungen reiben sich die Hände. Inzwischen sind in den letzten 10 Jahren gut 3.500 Unternehmen gegründet worden. In dieser Szene arbeiten heute mehr als 85.000 Menschen. Viele Milliarden Euro Kapital sind zusätzlich angelockt worden. Die Jahresgehälter der in den Start-Ups Beschäftigten steigen oft auf sechsstellige Höhe und dennoch liegt die Fluktuationsrate der Mitarbeiter*Innen dort nicht selten bei Nahe 50% (Jahrespersonalwechsel) und schnellt damit weit höher als in der eher schlecht bezahlten Hotellerie. Das verändert allerdings auch das Image von Berlin aus nationaler und internationaler Sicht. Leider sind nur relativ wenige dieser 3.500 Unternehmen profitabel. Profitabilität wäre aber die Voraussetzung dafür, dass nachhaltig Steuern gezahlt werden. Es ist gut, wenn strategisches Geld in Visionen exzellenter, digitaler High-Techs fließt. Gründer und Investoren kalkulieren aber oft nur, dass eine weitere App den Inhabern nach langer burn-rate und trotz stets kurzer runway einen hohen Exit-Erlös bringt. Man kann es auch so sehen, dass Berlins Unternehmen gar nicht die Wirtschaft der Stadt fortentwickeln, sondern eine Art CAMPUS-Wirtschaft darstellen. Das erfolgreich verkaufte Unternehmen geht dann nach anderswo? Der Sprung in den Exit als einziges Lebensziel sozusagen.

Wenn man sich Berlin unter diesen Gesamtrahmenbedingungen als Stadt ansieht, stellt sich die Frage, ob die Stadt eher eine Art Legionslager ist, das die Entwicklung zu einer richtigen Stadt noch nicht gemacht hat. Attraktionen befinden sich mehrheitlich im früheren und reanimierten Stadtzentrum. Alles will dort hin. Auch ein Unternehmen, das den Tages- wie den Wirtschaftstouristen bedienstleistet, benötigt ein Büro im Zentrum. Seine Mitarbeiter wollen auch keine stundenlangen Anfahrtswege. Außerdem wird der Büroraum der Zukunft nur noch partiell genutzt, soll nah am Wohnort sein und überwiegend als erweiterte Privatwelt fungieren. Wohnraum zu organisieren, kostet heute das Dreifache von gestern. Dieser März wird vielleicht der letzte Monat des Stillhaltens sein. Noch haben Berlin und Bundesrepublik in den letzten zwei Jahren 350 Milliarden Euro in die Pandemiefolgebeseitigung als Ersatz für die sich selbst auferlegten Beschränkungen aufgewendet und können Probleme durch Gelddruck lösen. Vom ausgegebenen Geld ist nichts in Infrastruktur geflossen. In der Realität wird das Geld von allen Schichten der Bevölkerung wieder aufgebracht werden müssen. Was bleibt dann noch für Kunst, Kultur und Freizeit? Wie stark werden die Eintrittspreise ab 2022/2023 steigen müssen, um die Kostenerhöhungen abfangen zu können? Welches wird der richtige Preis sein, die Balance zwischen Ertrag, Menschen zu interessieren und barrierefreien Zugang für alle zu finden? Wie tages- und uhrzeitdynamisch müssen die Attraktionen ihre Preise und Kosten künftig gestalten? Und was fällt den neu gewählten Farbtupfern ein? Sie errichten einen steuermittelverschwendenden Verwaltungspalast der Ideenlosigkeit. Ein neuer touristischer Hotspot im Zentrum Berlins aus Geldern, die auch unsere Attraktionen erwirtschaftet haben. Immer detailliertere Betriebserlaubnis- und Erhaltungsvorschriften denkt sich die Verwaltung in dieser Hochburg aus, damit irgendwann kein kleines Unternehmen mehr die Chance hat, die Gutachter-Horden zu bezahlen und dennoch überlebenswichtige Profitabilität zu sicherzustellen.

Die Hufeisenhochburg des neuen Bundeskanzleramtes als Attraktion

Das Bundesamt für Bauwesen lässt auf seiner Website erklären, dass die 52.700 qm Bruttogrundfläche für das Bundeskanzleramt benötigt werden. Ein Erweiterungsbau dieses Ausmaßes soll nur 600 Millionen Euro kosten. (Anmerkung: noch nie wurden staatliche Bauten mit weniger als dem Doppelten der geschätzten Kosten erstellt) Aufgaben der Zukunft in den Bereichen Energiewende, Digitalisierung, Flüchtlingspolitik oder Cyberkriminalität sollen dort gemacht werden („Hausaufgaben“). Da fragt sich allerdings der politische Laie sofort, ob diese Aufgaben der Vergangenheit bisher nicht hatten gelöst werden können. Warum verbindet man nicht Verantwortung mit Fachkenntnis? Weniger als 7% der Bundestagsabgeordneten sind Unternehmer*Innen. Oder soll hier die Beendigung des föderalen Systems hin zu einem zentralisierten Staat erfolgen? Schauen wir uns jedoch beispielsweise die letzten Verteidigungsministerinnen an: keine hat je eine Qualifikation für diese Aufgabe erworben, geschweige denn mitgebracht oder besessen. Auch Vorwärtsgehen ist ein Rückschritt, wenn man auf dem falschen Weg ist. In der heutigen Zeit des digitalen Arbeitens, flexibler Arbeitszeiten, Cloud-Datenspeicherung und Abschaffung von Mobiliar: wozu braucht es einen solchen Bürokratiepalast?
Vielleicht ist es für die gut 8,5 Millionen innerdeutschen Besucher Berlins (2019; entspricht etwa 60% aller Besucher) wunderbar, neben den eigenen pompösen Landesvertretungsbauten in den früheren „Ministergärten“ am Berliner Tiergarten zu sehen, dass dieser Apparat mit den höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten, den meisten Abgeordneten, Staatssekretären und Spitzenbeamten aller Zeiten sowie der geringsten Quote umgesetzter Aufgaben auf internationaler Ebene das Lachen von Kriegstreibern erzeugt. Die Bundeshauptstadt Berlin bietet eine politische Fun-Reality-Show und damit eine echte Sehenswürdigkeit eigener Art. Dazu kommt nun ein Gebäude mit einer größeren Grundfläche als der von Nicolae Ceausescu, dem Friedensfürsten aus Transsylvanien, errichteten Palast. Das zu schaffende deutsche Palatul Parlamentului wird zehnmal größer als das Weiße Haus. Die berühmte Downing Street 10? Lächerlich dagegen.
Da darf der Wirtschaftsminister erwarten, dass sich der deutsche Touristikunternehmer hier einklinkt. Wir hoffen, dass die privaten Initiativen Berlin mit attraktiven Ideen kollateral gestalten.

Es ist Zeit, die eigentlichen Gestalter der Stadt in Entscheidungen einzubinden. Der Wettlauf um den höchsten massenfinanzierten Exit-Preis mit exekutiven Bürokratiepalästen zu kombinieren jedenfalls führt direkt in die unternehmerische Ebbe der mittelständisch nachhaltigen Unternehmungen.

 


Einmal im Monat haben INTOURA-Mitglieder die Möglichkeit, Ihre Sicht auf die aktuelle Lage oder Entwicklung der Branche in Form einer Kolumne zu veröffentlichen. Die Inhalte spiegeln nicht zwingend die Interessen der Mitglieder oder die politische Arbeit des Vorstandes wider.


 

Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Mitglied im INTOURA e.V.