Neujahrsansprache des Vorsitzenden Robert Rückel am 17. Februar 2020 auf dem INTOURA-Neujahrsempfang im Wintergarten Varieté
Liebe Mitglieder, sehr geehrte Abgeordnete des Abgeordnetenhauses von Berlin, liebe Freunde und Partner,
zum ersten Mal seit fünf Jahren steht an dieser Stelle nicht Hendrik Frobel. Hendrik hat vor zwei Wochen sein Amt als Vorsitzender an mich übergeben. Vielen Dank dir Hendrik für deinen unermüdlichen Einsatz in den letzten Jahren. Es ist großartig, was seit Deinem Amtsantritt aus INTOURA geworden ist und wo dieser Verband heute steht. Ich trete in große Fußstapfen.
Glücklicherweise bin ich dabei nicht allein, sondern mit mir wurde der gesamte Vorstand neu gewählt und verstärkt.
Wiedergewählt wurden:
Stellvertretender Vorsitzender: Freiherr Gordon von Godin (DDR Museum)
Kassenwart: Daniel Wiegand (Hauptstadtreisen.com)
Ingo Gersbeck (Reederverband d. Berliner Personenschiffahrt)
Julia Kuntz-Stietzel (Marktflagge GmbH)
Neu im Vorstand sind neben mir:
Tobias Junghans (Top Tour Sightseeing)
Karsten Maruhn (Domäne Dahlem)
und unser Gastgeber Georg Strecker.
Nicht nur INTOURA hatte ein gutes Jahr, sondern unsere Branche kann zufrieden auf 2019 zurückblicken: Die Besucherzahlen der Berliner Attraktionen, Theater und Museen sind auch im letzten Jahr weiter gestiegen, mehr Touristen waren in Berlin unterwegs – immerhin sind wir jetzt Platz 2 der Städte mit den meisten Übernachtungen der Europäischen Union – wenn auch erst seit dem 1. Februar.
Das 30-jährige Jubiläum des Mauerfalls hat wieder einmal die weltweiten Blicke auf Berlin gelenkt und unseren Ruf als Stadt der Zeitgeschichte untermauert.
Und tatsächlich glauben immer mehr Menschen, dass Herr Lütke-Daldrup die Absicht hat, einen Flughafen zu eröffnen.
Wie Hendrik bereits in der Einladung aufgeworfen hat, bringt das neue Jahrzehnt aber auch Veränderungen und Herausforderungen mit sich. Der Klimawandel wird den Tourismus in den nächsten Jahren besonders betreffen, die vergleichsweise niedrigen Löhne unserer Branche werden sich in Zeiten des Fachkräftemangels rächen und die Digitalisierung wird uns wie alle anderen vor ungeahnte Herausforderungen stellen.
Unsere Branche und auch unsere Mitglieder haben sich schon verändert. Mit dem Verkauf von Berliner Bären Stadtrundfahrt und Berolina konsolidieren sich die alteingesessenen Omnibusanbieter, mit der Reederei Riedel ist die konkrete Zukunft eines Traditionsunternehmens noch ungewiss. Auf der anderen Seite drängen moderne Anbieter in den Markt: Das Illuseum bringt Instagramability auf den Punkt, TimeRide zeigt Geschichte in virtueller Realität.
Doch während die Gästezahlen weltweit steigen und Marco d’Eramo das Zeitalter des Tourismus ausruft, verliert dieser rasant an Image. Tourismusbashing ist international in, kaum ein Artikel über Reisen erscheint mehr, der nicht die vermeintlichen oder tatsächlichen negativen Seiten hervorhebt.
Begonnen hat es vor einigen Jahren mit dem Phänomen Overtourism, heute hat unsere Branche zusätzlich ein Nachhaltigkeitsproblem: Reisen verursacht zweifellos mehr CO2 als Zuhause zu bleiben.
Im Gleichklang mit diesen weltweiten Trends, wird auch in Berlin Tourismus oft schnell als Problem dargestellt und schlecht geredet. Touristen verstopften die Stadt, seien laut und machten Müll.
Die Sprecherin für Tourismus der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hat letztes Jahr deshalb gefordert, visitBerlin die Mittel zu streichen, weil die Touristen doch sowieso von alleine kämen. Sie und andere verkennen völlig die Bedeutung unserer Branche für die Wertschöpfung der Stadt. Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor und das mit kaum Förderung – verglichen mit anderen Branchen wie der Industrie. Im Gegenteil: Keine andere Branche wird zusätzlich geschröpft, in dem die Besucher völlig ohne Gegenleistung eine Übernachtungssteuer bezahlen müssen. Saniert wird damit der Haushalt, nur ein winziger Teil landet in der Steuerung und Förderung des Tourismus.
Tourismus ist eine Cash Cow für die Stadt, aber auch die Kuh muss am Leben erhalten werden. Burkhard Kieker warnte in seiner Neujahrsansprache: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Marke Berlin zernörgelt wird“.
Wie recht er hat und wie leicht das geht, sieht man gerade in Venedig. Natürlich gibt es in Venedig enorm viele Touristen auf kleiner Fläche, aber das ist nun mal auch der einzige Wirtschaftszweig dort. Die Venezianer stören sich an den Touristenmassen, sie führen dieses Jahr als Regulierungsmaßnahme eine Eintrittsgebühr ein: Nicht nur mehr der Übernachtungsgast, sondern auch der Tagesbesucher soll bezahlen. Doch nun nach dem verheerenden Hochwasser im letzten Jahr droht der berühmte Karneval ein Flop zu werden, die Besucher bleiben aus, weil die Medien fälschlicherweise vermeldet haben, die Stadt sei verwüstet. Der venezianische Bürgermeister wirbt plötzlich verzweifelt um Touristen, denn man lebt ja gar nicht schlecht von ihrem Geld. So schmal ist der Grat zwischen vermeintlichem Overtourism und zu wenig Touristen: Bleiben die Touristen aus, stirbt die Stadt.
In Berlin sind wir weit von venezianischen Zuständen entfernt, das Verhältnis zwischen Touristen und Berlinern ist mehr als gesund: 14 Mio Besucher bei bald 4 Mio Einwohnern, das ist nicht vergleichbar mit den Problemen von Dubrovnik oder Amsterdam. Bei internationalen Gästen ist Berlin sogar nur auf Platz 10 in Europa, weit von der Spitze entfernt hinter Prag, Mailand oder Wien.
Um zu große Konzentration von inländischen Touristen zu vermeiden, gibt es in Deutschland das sinnvolle Mittel des weiten Ferienkorridors bei den Sommerferien. Der streckt die Sommersaison, damit nicht alle inländischen Touristen auf einmal in die Stadt kommen. Dieses probate Mittel will unsere Bildungssenatorin gerade abschaffen. Sie hat eine Initiative bei der Kultusministerkonferenz angestoßen, mit dem Ziel, den Ferienkorridor deutlich zu verkleinern.
Blickt man zu unseren Nachbarn, nach Frankreich sind in den landesweit einheitlichen Sommerferien die Preise viermal so hoch wie außerhalb und die Autobahnen genauso überfüllt wie die Strände. Als eine meiner ersten Amtshandlungen habe ich bei der Senatorin Protest eingelegt und die Auswirkungen dieser Entscheidung dargelegt.
Wie visitBerlin durch Befragungen herausgefunden hat, trügt unsere Wahrnehmung der Tourismusdichte aber sowieso. Über 70% der Menschen an den Hotspots sind Berliner und keine Touristen. Selbst im Mauerpark und in Kreuzberg 36 sind es also nicht die Touristen, die für Lärm und Müll sorgen, sondern zum großen Teil wir Berliner selbst. In den Bahn-Toiletten wurde früher dazu aufgefordert, den Raum so zu hinterlassen, wie man ihn vorgefunden hat. Das wäre im Mauerpark keine gute Aufforderung an die Touristen.
Rund um die Messe wäre die Empfehlung wohl auch kaum angebracht. Wo die Touristiker zur weltgrößten Tourismusmesse ankommen, zeigt sich Berlin seit vielen Jahren von seiner schlechtesten Seite. Auf Grund der Sanierung der alten Hallen können die Gäste des Berlin-Standes dieses Jahr aber immerhin den Eingang Süd nehmen. So müssen sie sich nicht zwischen stinkender Unterführung und vermodernden Rolltreppen am ICC entscheiden. Dafür präsentiert sich visitBerlin in Halle 27 nur noch halb so groß wie zuvor – dabei war der Auftritt Berlins auch bisher schon keineswegs der Monumentalste unter den Bundesländern.
visitBerlin bekommt wie andere DMOs auch neue Aufgaben. Von der Destination Marketing Organisation zur Destination Management Organisation. visitBerlin soll nun die Außenbezirke dabei beraten, attraktiver für Touristen zu werden, damit diese aus dem Zentrum heraus kommen und Neues entdecken. Das ist für Zweit- und Drittbesucher auch eine Idee, aber nicht für Erstbesucher und es darf nicht bedeuten, dass die zentralen Attraktionen nicht mehr international beworben werden, denn diese machen nun mal Berlin weltweit berühmt. Ganz nebenbei wird das Konzept aber sowieso dadurch konterkariert, dass am Schlossplatz das Humboldt-Forum eröffnet wird, das Alliierten-Museum in den S-Bahn-Ring umziehen soll und am Checkpoint Charlie ein staatliches neues Museum beschlossen ist.
Die Entwicklungen des letzten Jahres zeigen, dass der Tourismus nicht nur in Berlin an seinem Image arbeiten muss: Wir müssen deutlich machen, dass Tourismus Gutes schafft. Ich zitiere dazu die Leitlinien der neuen nationalen Tourismusstrategie der Bundesregierung:
„Tourismus ist ein Instrument des kulturellen Austauschs, der Völkerverständigung und damit letztlich auch der Friedenssicherung. Reisen bildet, überwindet Grenzen und führt Menschen zusammen. Es weitet den Horizont, lehrt Respekt, Toleranz und Vielfalt und beugt Abschottung und Ausgrenzung vor. Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung eines verantwortungsbewussten Tourismus ist daher viel höher zu bemessen, als es ökonomische Indikatoren und Kennzahlen beschreiben.“
Das klingt hochmoralisch, aber ist völlig richtig. Niemand, der als Jugendlicher mit Interrail quer durch Europa gefahren ist, zweifelt am Sinn der europäischen Einigung, niemand, der staunend Meisterwerke anderer Kulturen bewundert, kann guten Gewissens rassistische Parteien wählen. Und wer fremde Metropolen besucht, lernt auch, dass manche Dinge in Berlin im Vergleich gar nicht so schlecht funktionieren …
Und zusätzlich gibt es die ökonomischen Indikatoren, die viel zu leicht vergessen werden: Tourismus finanziert unseren Lebensstil, unsere Infrastruktur und den Senat, fast 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet der Tourismus. Hunderttausende Berliner leben von ihm, er erhält, was wir Bürger dieser Stadt an ihr so schätzen: Theater, Opernhäuser, Museen, Familien-Attraktionen, aber genauso Sterne-Restaurants, Spätis, Kneipen und Techno-Clubs.
Techno-Clubs bzw. das Club-Sterben waren das heiße Thema im Januar, ausgelöst durch das Mietende bei der Griessmühle. Die Mieten im Zentrum sind teuer, neue Nachbarn stört der Lärm. Die Clubs wollen auch erstaunlicherweise nicht im Sinne des Tourismuskonzepts nur noch in Außenbezirken Party machen. Die erwähnte linke Abgeordnete möchte deshalb die 14 Millionen, die sie visitBerlin wegnehmen will, zur Förderung der Clubs ausgeben. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Clubs sind ein wichtiger Player im Tourismus und die Trennung zwischen Ernst- und Unterhaltungskultur ist längst überholt. Aber der Ruf nach dem Staat ist in Berlin im Trend und der Staat greift momentan an zahlreichen Stellen in den Wettbewerb unserer Branche ein:
Landesmuseen und die Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verschenken ab April einmal im Monat ihre Leistung, das Futurium ist bereits kostenlos, das Humboldt-Forum, das Jüdische Museum und das Deutsche Historische Museum sollen es werden. Dabei zeigen Studien, dass der Wegfall des Eintritts keineswegs bildungsferne Schichten ins Museum bringt, sondern die gleichen Besucher kommen wie zuvor. Das sind im Zentrum, wo sich praktisch alle genannten Häuser befinden, ganz überwiegend Touristen. Der Staat subventioniert also die Touristen, die er vorher mit der City Tax belastet hat. Das ist zwar konsequent, aber geschieht auf Kosten der privaten Anbieter, denn die Zeit der Touristen ist beschränkt, sie sind nun mal nur gute zwei Tage hier. Wir alle werden diesen Eingriff im Wettbewerb um die freie Zeit der Gäste merken, wenn er kommt.
Der Kultursenator selbst hat angekündigt, das bisher für alle öffentlichen und privaten Kultureinrichtungen gedachte Kulturmonitoring einzustellen, und dafür zukünftig verpflichtend an staatlichen Häusern Besucher zu befragen. Privat finanzierte Kulturstätten spielen für ihn da keine Rolle, nur geförderte Einrichtungen sind kulturell wertvoll.
Die Top-Attraktionen auf visitberlin.de werden mittlerweile nicht mehr nach Besucherzahlen ausgewählt, sondern nach anderen redaktionellen Kriterien. Und zufälligerweise sind in der Liste jetzt alle staatlich gefördert, einziges redaktionelles Qualitätskriterium ist also die Herkunft der finanziellen Mittel. Privat finanzierte Top-Attraktionen sollen Anzeigen kaufen, um auf den Listen zu erscheinen.
Noch nicht mal diese Variante soll es auf dem neuen Wegeleitsystem geben. Seit Jahrzehnten fordern wir Unternehmer ein zukunftsfähiges touristisches Wegeleitsystem. Nun sind Pilotstelen installiert worden, über deren Zukunftsfähigkeit ich lieber gar nicht reden will … Aber die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz will dort nur staatliche Attraktionen darstellen und private Anbieter außen vorlassen, das haben wir unglücklicherweise schriftlich. Wir unterstützen natürlich ein touristisches Wegeleitsystem, aber wir können und werden eine gezielte Benachteiligung von privaten Anbietern und eine Doppelsubvention für unsere staatlich finanzierten Kollegen nicht akzeptieren. Nachdem die Gesprächsversuche des letzten Vorstands genauso wie vorgerichtliche Schritte gescheitert sind, haben uns die Mitglieder von INTOURA aufgefordert, Klage wegen dieses Wettbewerbsverstoßes gegen das Land Berlin einzureichen. Die Klage haben wir als erste Amtshandlung erhoben und das Gericht aufgefordert, die Pilotstelen in dieser Form wieder abbauen zu lassen.
Klagen dürfen nur die ultima ratio sein: Viel lieber möchte ich die Herausforderungen im Dialog lösen – und es gibt sie ja auch, die positiven Entwicklungen:
Ich bin sehr glücklich, dass die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe die Branchenzahlen zukünftig in einem Tourismus-Satelliten-Konto sehr viel detaillierter ermitteln will. Damit wird sehr viel augenfälliger werden, wie wichtig der Beitrag unserer Branche für die Wertschöpfung des Landes Berlin ist.
Und bei der Umsetzung der im Tourismuskonzept 2018+ dargelegten Maßnahmen setzen die Wirtschaftsverwaltung und visitBerlin auf die Expertise und den Dialog mit anderen Akteuren genauso wie mit uns.
Als ich das Tourismuskonzept zum ersten Mal gelesen habe, hatte ich große Sorge, dass der dort geforderte Qualitätstourismus gleichbedeutend ist mit Messe- und Kongresstourismus, weil dieser durch höhere Raten viel Geld in die Hotelkassen spült.
Wir als Attraktionen, Kultur- und Sightseeing-Anbieter wollen aber Qualität nicht am Geldbeutel der Gäste festmachen, sondern für uns sind auch Familien, Schulklassen oder Rentner Qualitätstouristen. Deshalb freue ich mich sehr, dass visitBerlin just letzte Woche eingeladen hat, um die Definition von Qualitätstouristen zu diskutieren und zu versuchen, gemeinsame Kriterien festzulegen.
Wir stehen zur Verfügung, im Dialog mit allen relevanten Stellen den Tourismus in dieser Stadt im Sinne aller Akteure zu gestalten. Wir wissen, dass es für eine nachhaltige Entwicklung der Branche unser oberstes Ziel sein muss, die Akzeptanz der Bevölkerung für den Tourismus aufrechtzuerhalten und auszubauen.
Wir sind offen für Maßnahmen und für jede Diskussion und wir wissen auch, dass auch wir als Branche uns verändern werden müssen. Wir müssen Lösungen finden, wie der ökologische Fußabdruck des Tourismus kleiner wird. Und um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir attraktivere Arbeitsverhältnisse mit besseren Löhnen schaffen. INTOURA wird daran arbeiten.
Wir werden aber auch einfordern, dass wir mitreden dürfen und die Meinung der Attraktionen mit ihren 45 Millionen Besuchern pro Jahr gehört wird. Wir wollen, dass Gremien zum Tourismus mit allen Betroffenen besetzt werden. Das sind nicht nur staatliche Kulturanbieter, nicht nur Hotels, auch nicht nur Anwohner, sondern eben auch wir, die touristischen Attraktionen und Sightseeing-Anbieter dieser Stadt.
In diesem Sinne freue ich mich auf den gemeinsamen Austausch – heute Abend und in Zukunft! Vielen Dank!