September-Kolumne

2. September 2020

Die Lichter gehen aus

Von überzogenen Maßnahmen, Steuerverschwendung und Gelddruck in Berlin

In einem Wust ungelöster Probleme forciert die Bundesagrarministerin ein Hundezeit-Bußgeld. Das politische Establishment glaubt ernsthaft, dass Unternehmen mit 59 Prozent Umsatzrückgang überlebensfähig bleiben. Wenn außerdem partielle Zahlen zu allgemeingültigen Statistiken erhoben werden, stellt sich die Frage, wohin es mit Berlin gehen soll.

Berlin ist derzeit wohl Deutschlands unattraktivster Standort. Für die Standortbevölkerung werden nicht genug Wohnungen gebaut, der Tourist soll durch das Tourismuskonzept 2018+ (!) in Außenbezirke und Sekundärsehenswürdigkeiten umgelenkt werden (und bleibt der Stadt fern) und Clubs und Kulturstandorte sollen nicht mehr öffnen, solange keine Impfung gegen Covid-19 verfügbar ist.

Beschäftigungsmaßnahmen zur Steuermittelverschwendung

Dazu wird die ehemals prachtvolle Friedrichstraße ohne Konzept zur Fußgängerzone erklärt, während Schwangere, Familien mit mehreren Kindern, Ältere, körperlich Behinderte, Berufspendler, Nachtarbeiter, Logistiker und Haustierbesitzer bei Wind und Wetter auf Fahrräder umsteigen sollen. Würde der öffentliche Nahverkehr rund um die Uhr überallhin fahren oder würden wenigstens die Fahrstühle funktionieren, könnte sich der Verzicht auf Motorfahrzeuge für einige durchaus lohnen.

Der nahe der Friedrichstraße liegende Berliner Gendarmenmarkt ist wohl einer der schönsten Plätze in Berlin, wenn nicht sogar Europas. Obwohl die Baustelle der U5 den Verkehr rund um die Prachtstraße Unter den Linden erschwert und das Schlendern an Linden vorbei unattraktiv gemacht hat, obwohl manche Bäume für den Bau geopfert wurden, blieb für Berlinbesucher der Gendarmenmarkt mit seinem Deutschen und Französischen Dom als Nummer 3 der schönsten Orte Berlins ein beliebter Trost. Die Friedrichstraße aber verlor an Attraktivität, weil es reizlos ist, über eine Baustelle zu schlendern.

Und was macht die Politik? Sie erklärt nach dem Motto „Schlechter kann es eh nicht werden“ die Friedrichstraße zu einem Pilotprojekt der autofreien Zone. Wohin man hier jedoch steuern will, bleibt eine offene Projektfrage. Klar ist nur, dass Verwaltungsbeamte und Öffentlicher Dienst viel Zeit einsetzen, die Steuergelder der Wähler experimentell auszugeben, ohne zuvor zu studieren, welche Ergebnisse dieses Pilotprojekt überhaupt bringen könnte. Zunächst fahren nun LKW und Fahrzeugkolonnen parallel zur neuen Hauptstraße, nämlich auf der halb so breiten Charlottenstraße, direkt am (ehemals) schönen Gendarmenmarkt vorbei. Zwischen Planet Wein an der Kronenstraße und der Suppenküche Cadadia bis hoch zur Französischen Straße und dem dortigen ehemaligen Lokal Aigner wird wohl ab sofort das Speisen und Trinken auf dem Bürgersteig mit Abgasen gewürzt und laut sein.

Stau in der Charlottenstraße Überfüllte Charlottenstraße

Einzelhandel Friedrichstraße: Gibt es ihn? Wenn ja, warum?

Nun hat Berlin-Mitte nicht einmal untersucht, welche Personengruppen bisher die Geschäfte in der Friedrichstraße besuchten und welche nicht. Wer soll nun während der sechsmonatigen Pilotphase in die neue Fußgängerzone kommen und mit welcher Motivation? Berliner waren es bislang nicht und Bürobedienstete der Umgebung hatten hierzu allenfalls zur Mittagszeit Gelegenheit. Besucher sind in der verspätet – zur ersten Ankündigung des Bezirks nun zum Sommerschluss – eingerichteten Zone zwischen den kalten Monaten September 2020 und Februar 2021 wohl kaum in Berlin; Anwohner gibt es zwischen der Leipziger Straße und Unter den Linden relativ wenige. Was hingegen sollen Berliner auf der neuen „Insel Friedrichstraße“ bitte besuchen? Leere Geschäfte? Ein Konzept zur Anziehung der Berliner gibt es nicht.

Man stelle sich vor, man wäre selbst Mieter einer Ladenfläche: ein Alptraum. Man hätte im Vorhinein ein ganz anderes Geschäftskonzept erarbeitet und vom Banker eine Finanzierung unter der Voraussetzung erhalten, in den kommenden fünf bis zehn Jahren planmäßig zu arbeiten. Was waren die Annahmen für ein solches Konzept gewesen und auf was hatte man vertraut, als man sein Geld ausgab? Mit welchen Kunden hatte man gerechnet? Und was soll dann wieder ab März 2021 gelten? Unter welchen Voraussetzungen darf man damit rechnen, dass die Friedrichstraße Fußgängerzone bleiben wird? Lässt ein Winterhalbjahr zur Corona-Zeit Rückschlüsse für ein Sommerhalbjahr zu? Konzeptgespräche mit den Anwohnern und Gewerbetreibenden jedenfalls blieben aus – eine ökonomische Marschrichtung gibt es auch nicht.

Ein möglicher Grund für die Fußgängerzone: Berlin will partiell autofrei sein

Die Vermutung liegt nahe, dass man langfristig überhaupt keine Fahrzeuge in der Innenstadt mehr will. SUVs schon gleich gar nicht (am besten verbieten) und dazu die Parkgebühren anheben. Wenn dem aber so ist, dann kann man es auch genau so sagen, wobei die Politik den Autoverzicht vorleben sollte. Parktickets für Arbeitnehmer gibt es schon lange nicht mehr. Anmelden braucht man bei der Berliner Verwaltung selbst als Handwerker keine Vignetten, da Termine und Bearbeitungszeiten den tolerantesten Geduldsfaden überlasten und schließlich reißen lassen.

Die Politik will davon nichts hören: 59 Prozent Umsatzrückgang (die derzeitige Größenordnung, um Überbrückungshilfe zu beantragen, wenn man mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt) bei weiterhin fälligen Mieten und Personalkosten bedeuten, dass ein Betrieb im Tourismus, der Gastronomie, der Hotellerie oder der Kunst- und Kulturlandschaft wirtschaftlich nicht überlebensfähig sein kann. Woher sollen die Damen und Herren es denn auch wissen? Senatoren und Bundesminister treten öffentlich für die Abteilungen ihrer Behörden im Grunde nur als Pressesprecher auf, deren Prozesse und Inhalte sie meist nicht gelernt oder selbst erfahren haben und deren Entscheidungsergebnisse sie nie persönlich verantworten müssen. Persönlich erfahren oder verantwortlich würde man jede Auflage bei Betrieben sorgfältig durchdenken.

Stattdessen befeuert man die Öffentlichkeit mit von Inhalten ablenkenden Änderungen der Sprache, neuen Straßenschildern und pervertierenden Bußgeldverordnungen in der pädagogischen Hoffnung, eine Politik der Utopie erzwingen zu können.

Millionen für Instagram-Krankenhäuser, aber nicht für das Gemeinwohl

Es muss geradezu enttäuschend sein, wenn trotz hunderttausender Covid-19 Tests die Infektionszahlen trotz Reisetätigkeiten nicht im Verhältnis zu den Testungen steigen. Dass nicht genutzte Instagram-Krankenhäuser (für das Eröffnungsfoto mit dem Bundespräsidenten wurden die Beatmungsgeräte an- und wieder abgefahren) in Messehallen aufgebaut werden, mag noch als Multimillionengrab durchgehen – dass aber weiterhin leere Betten in Plankrankenhäusern steuermittelfinanziert werden, ist reine Armutsförderung. Warum?

Wenn kein politischer Systemwechsel geplant ist, fragt sich jeder realistisch denkende Mensch, was eigentlich passieren muss, wenn hunderte Milliarden Euro gedruckt werden, ohne damit das Gemeinwohl zu verbessern: Schulen, öffentlicher Nahverkehr, Digitalisierung, Klimaschutz oder Integrationsmaßnahmen werden mit dem Druckpressengeld nicht finanziert, aber die Folgeschäden von selbst gesetzten und aufrechterhaltenen Verordnungsmaßnahmen werden damit bezahlt. Die Folge ist, dass die arme Bevölkerung noch ärmer wird. Wenn Gelddruck den legalen Haushalt mit Milliardendefiziten sprengt und zweifelhafte und ungerechte Maßnahmen gegen diejenigen geführt werden, die dieses Land wirtschaftlich am Leben halten, weil sie etwas tun und Menschen in Lohn und Brot halten, dann steigen anfänglich gemäß dem Cantillon-Effekt Werte wie Immobilien, Aktien und Gold. Tatsächlich werden alle ab spätestens 2022 die Rechnung durch Inflation und Steuererhöhungen bezahlen –auch unsere Kinder und Kindeskinder, die eigentlich Geld für Klimaschutz haben und keinen Verpackungsmüll verteilt sehen möchten, werden sich mit Altschulden herumschlagen müssen.

Abstand zwischen arm und reich wird immer größer

Das bedeutet im Klartext: Wenn wir weiterhin wegen weniger Erkrankter die Mehrheit der Menschen wegsperren und einschränken, die Unternehmen mit Auflagen überlasten und in staatliche Förderabhängigkeit schubsen, dann muss der Abstand zwischen arm und reich immer größer werden. Seit der Abschaffung des Goldstandards 1971, also seit nunmehr fast 50 Jahren, wächst dieser Abstand unaufhörlich, weil die Politik Geld drucken kann, aber keine Disziplin hat, mit dem auszukommen, was die demokratisch legitimierten Steuereinnahmen hergeben. Stattdessen wird undemokratisch Geld verteilt, gleichzeitig werden die Schulden aller erhöht.

Wie sähe es aus, wenn Berlin so ehrlich wäre und millionenteure Maßnahmen für grüne Punkte und Parklets (z.B. im Bergmannkiez) und für Fußgängerzonen mit Fahrradspuren in der Friedrichstraße mit Steuern direkt finanzieren würde anstatt indirekt über den Gelddruck? Was passiert, wenn man solche Maßnahmen denen gegenüberstellt, die stattdessen gestrichen werden? Mit den grünen Bergmann-Punkten und Parklets (die vorläufigen Kosten betrugen bereits im August 2019 mehr als 1,1 Mio. Euro) hätte man drei Krankenwagen bezahlen können, die speziell für die Behandlung von Schlaganfällen ausgerüstet sind. Solche hat Berlin aber bereits gestrichen.

Noch einmal zurück zur Friedrichstraße: Wer bitte schön soll denn gestalten, wenn Politik ihre Politik selbst für zentrale Orte nicht durchdenkt und es nicht für nötig erachtet, diejenigen zu beteiligen, die diese Stadt tatsächlich gestalten? Warum nutzt die Politik nicht die Kontakte zur IHK, in der alle Unternehmen zwangsweise Mitglied sind, um zunächst den Ist-Stand festzustellen?

Berlins Politik braucht ein neues Mindset: ordentliche Analysen, verlässliche Perspektiven und Realitätsbezug.

Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Geschäftsführender Gesellschafter der Muson GmbH
und Mitglied im INTOURA e.V.