Berliner Reichstag Dom

März-Kolumne

15. März 2020

Zusammenhalt und Entscheidungen in Zeiten des Corona-Virus

Klimawandel, Migration, Corona-Krise und andere tiefgreifende Veränderungen innerhalb von Gesellschaften sind hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen immer auch eine Frage der Balance und des Timings. In solchen Zeiten wird klar, wie stark sich Verantwortungsträger, aber auch die Menschen einer Gesellschaft mit den eigentlich wichtigen Inhalten auseinandersetzen und Lösungen anstreben müssen, die den Fortbestand eines friedlichen Zusammenlebens garantieren.

Entscheidungen müssen auf Basis echter Zahlen und Fakten erfolgen und sich unabhängig von politischen und religiösen Interessen absetzen. Menschlichkeit bedeutet zuallererst, Informationen transparent zu machen und das Verhältnis zwischen relativen und absoluten Zahlen darzulegen. Die WHO hätte es beispielsweise viel einfacher, wenn sie nicht aus rein politischen Gründen Regionen und Menschen (z.B. in Taiwan) von jeder Betrachtung ausnehmen würden. Berlin wird keine Ausnahme von dieser Grundeinstellung sein. Die Schließung vieler Betriebe trifft alle gleichermaßen und wird schwerwiegende Konsequenzen haben, wenn der Zustand sich länger als bis Ende April 2020 ausdehnt. Ein Rückgang der Einnahmen bis zum Nullpunkt, daraus folgend existenzbedrohende Liquiditätsengpässe und monatelange Anstrengungen nach der Wiedereröffnung werden die Konsequenz sein.

Die Krise trifft nicht nur den Tourismus, sondern alle

Es wäre falsch, sich mit diesen sehr realen Prognosen allein auf die rund 235.000 Beschäftigten im Tourismus zu beziehen. Nein, es trifft ebenso produzierende Unternehmen, Start-Ups und andere Einrichtungen, die aufgrund des Fernbleibens ihrer Mitarbeiter*innen (u.a. durch Schulschließungen und fehlende Kinderbetreuung) darunter leiden. Die Pandemie stellt uns alle auf die Probe. Deshalb muss die Abwägung zwischen der Gesundheit der Mitarbeiter*innen und deren Angehörigen und dem Weiterlaufen der Wirtschaft intelligent, faktenbasiert und sozial erfolgen. Panik ist hierbei der größte Feind.

Als erste Entlastung können Unternehmen ihre Beschäftigten in Kurzarbeit schicken. Diese Maßnahme hilft, den wahrscheinlich größten finanziellen Posten, nämlich die Personalkosten, zu reduzieren. Auf Dauer wird dies für die Beschäftigten aber zur Belastung, da 40% des Nettolohns einfach wegfallen. Deshalb wäre es gut, wenn auch die jeweiligen Mietbelastungen für Gewerbemieter und Privatleute entsprechende freiwillige temporäre Senkungen erfahren würden, damit alle Teile unserer Gesellschaft gleichermaßen solidarisch mit dieser extremen Situation umgehen. Verantwortung zu übernehmen ist auch für die notwendig, die keine Ideen fördern und keine Menschen beschäftigen.

Kredite oder besser Erleichterungen für Unternehmen?

Die aktuellen Vorschläge der Politik (hier am Beispiel des Bundes) zeigen, warum das kritische Hinterfragen von Hilfsangeboten eminent wichtig für unser System und die Demokratie ist: Die KfW soll während der Krisenzeit unbegrenzt Kredite für Unternehmen bereitstellen. Diese Maßnahme klingt zunächst fast barmherzig, ist aber höchst gefährlich. Abgesehen davon, dass die Bewilligung und Auszahlung der Gelder für gesunde und dennoch gefährdete Unternehmen sehr schnell erfolgen muss, bleiben es Kredite. Die Bereitstellung dieser Kredite bedeutet nichts anderes als die Abwälzung der Krisenkosten (selbst bei 0% Zins) auf die Unternehmen. Vergleichbar ist das mit einer Zwangshypothek auf die Zukunft. Wem das Prozedere eines Kreditantrags geläufig ist, der dürfte die enorme Herausforderung sehen, wenn die Prüfung schnell und dennoch nicht wahllos durchgeführt werden soll. Von echter Verantwortung ist dieser Vorschlag deshalb weit entfernt, zumal spätere Kredittilgungen keine Kosten im buchhalterischen Sinne sind und erst nach Steuern zurückgezahlt werden können. Außerdem sollten ohnehin ungesunde Unternehmungen nicht künstlich durch Kredite auf Kosten der Gemeinschaft ihren Fortbestand sichern können.

Sinnvoller und deutlich effizienter wäre es dagegen, sofort bereits geleistete Gewerbe- und Körperschaftssteuern aus und für die Jahre 2018 und 2019 unverzüglich zu erlassen und zu erstatten, wenn die Unternehmen im Gegenzug keine Mitarbeiter*innen entlassen. Dann erreicht man nämlich genau die Unternehmen, die gesund sind und in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie wirtschaften können bzw. ihren Teil dazu beigetragen haben, das Funktionieren unseres Landes zu finanzieren. Außerdem könnte man Abschreibungszeiten auf Investitionen auf zwei Jahre reduzieren und die Umsatzsteuer für 2020 auf 7% absenken. Natürlich nimmt man dem Staat damit Steuereinnahmen. Das ist aber die Gelegenheit für diesen, sich wieder auf seine Kernaufgaben zu konzentrieren und den flexiblen und motivierten Unternehmer*innen Luft zum Überleben zu lassen – denn diese sorgen auch in Zukunft für Staatseinnahmen.

Auch dürfen wir die vielen Einzelunternehmer in Deutschland nicht vergessen. Sie können sich aktuell nicht selbst in Kurzarbeit schicken. Junge Unternehmen und die so genannte Kreativwirtschaft benötigen ebenfalls gesonderte Hilfen, um zu überleben. Hier könnte ein konkreter Hilfsmittelfonds erforderlich werden.

Was tragen Staat und Staatsdiener zur Solidarität bei?

Die Auswirkungen versäumter oder aufgeschobener Entscheidungen sieht man beispielsweise am Scheitern des Staats bei der Digitalisierung. Es gilt aber nun, die Ressourcen unseres Staats, die bekanntlich nicht gering sind, auch zielführend und schnell zu nutzen. Zur Solidarität des Landes mit seinen Bürgern gehört im Rahmen der Verwaltung auch, in der Krisenzeit unbürokratische Entscheidungen zu treffen und direkt zu helfen. Eine bewusste Entscheidung für die Unterstützung der Gesellschaft durch diejenigen, die täglich für den Staat arbeiten und seine Interessen durchsetzen, würde ein deutliches Zeichen setzen und der Bevölkerung zeigen, woran den Staatsvertretern während einer realen und ernsten Krise gelegen ist.

Jede(r) kann jetzt zeigen, wie Verantwortung, Zusammenhalt und Solidarität in einer Gesellschaft aussehen – frei von politischem Lagerdenken und im kleinsten Umfeld anwendbar: vom persönlichen Kontaktkreis über Einkäufe für andere im Supermarkt bis hin zu Initiativen in Haus und Nachbarschaft. Jede persönliche Anstrengung wird zum Baustein der großen Krisenbewältigung, die uns alle treffen wird. Warten wir nicht ab, sondern packen es jetzt an. Jeder Mensch in unserer Gesellschaft zählt.


Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Geschäftsführender Gesellschafter der Muson GmbH
und Mitglied im INTOURA e.V.