Mai-Kolumne

1. Mai 2021

Berlin vertauscht die
Reihenfolge – und verliert

Leistung und Chancengleichheit in einer regulierten Welt

Das höchstrichterliche Kurz-Urteil zum Mietendeckel war keine wirkliche Überraschung. Verwunderlich ist, dass das Bundesverfassungsgericht nicht postwendend auf die Verfassungsbeschwerde entschieden hat. Allerdings brauchte es keine mündliche Verhandlung für die Erkenntnis, dass das Land Berlin sich schlichtweg in der Reihenfolge seiner Kompetenzen vergriffen hatte:

Zuerst hätte es die Unabhängigkeit von der Bundesrepublik Deutschland („Berexit“), danach die eigenen Bundesgesetze beschließen müssen.

Nun wäre es angemessen, die Gutachten über die angebliche Rechtmäßigkeit des Mietendeckels auseinander zu nehmen. Immerhin vertrauten hunderttausende Menschen auf die Gutachten der so genannten Experten. Gutachten darf aber jeder verfassen und der Auftraggeber kann behaupten, die Richtigkeit seines Handelns sei wissenschaftlich erwiesen. Der Kampf zwischen alternativloser Wissenschaft und alternativloser Realität setzt sich fort.

Gefangen in Fantasie, frei von Kompetenz

Anstatt auf den gut sieben Millionen Quadratmeter öffentlichen Baulands in Berlin schlichtweg geförderten Wohnraum zu bauen und die seit sechs Jahren erlebte Wohnungsnot zu reduzieren, überlegt man aktuell, Unternehmen zu enteignen. Man beginnt – natürlich auf Kosten der Gemeinschaft – mit intellektuell harmlosen Kleinteilstudien, die in Gutachten münden, bevor man Hirn und Hand mit der Umsetzung des Wohnungsbaus anstrengen muss. Diese Verfahrensweise ist das grundlegende Problem unserer Regierenden, die mit reinen Ideen und Meinungen aus der Wiege des Sozialstaates direkt zu den Traumberufen in die politische Welt des abgesicherten Staatsbediensteten geführt werden. Qualifizierung oder Kompetenz folgen in umgekehrter Reihenfolge durch gemeinsame Erfahrungen.

Haben Sie noch die „wissenschaftlichen Gutachten“ in Erinnerung, die zusammengesetzt wurden, um die Verantwortung für die Vermüllung der Berliner Parks unbekannten Touristen anzulasten und auf diese Weise die Regularien des Tourismuskonzepts 2018+ zu rechtfertigen? Nun werden diese Gutachten mit der Realität des Quasi-Verbots des Tourismus konfrontiert. Seit Monaten kommen keine Touristen, weder kurz einreisend noch übernachtend, in unser Bundesland. Wie kommt es dann, dass die Parks weiterhin vermüllt sind? Wenn es Phantomtouristen nicht sein können, dann könnte ein intellektueller Blindflug nebst wissenschaftlicher Selbsthilfegruppenarbeit das Bild des vermüllenden Touristen ad acta gebracht haben.

Unter diesen Vorgaben ist es auch schwer geworden, in Berlin unternehmerisch (im Sinne von „geschäftlich“) tätig zu sein. Zunächst einmal bedarf es einer (Geschäfts-)Idee. Will man beispielsweise ein Europa-Theater eröffnen, um einem gespannten Publikum Klischees oder Witze der jeweils anderen Staaten vorzutragen (nebst Fernsehaufzeichnung), muss man immer damit rechnen, Zensur und Boykott zu provozieren. Keine Witze über Minderheiten, keine Witze über andere Kulturen, nichts schwarz oder weiß anmalen und schon gar nichts über Religion sagen. Realwissenschaftlich beginnt das Verstehen anderer Menschen mit Kommunikation und Gedankenaustausch, nicht mit der grundsätzlichen Ächtung und Unterdrückung von Meinungen, die es auszutauschen gilt. Im Bereich von Kunst & Kultur öffnet man die eigenen Felder für andere Farben. Kürzlich hat man die Serie der Little-Britain-Macher „come fly with me“ aus dem Programm von Netflix genommen. Einer der beiden weißen Darsteller spielte die Rolle einer dunkelhäutigen Coffee-Shop-Angestellten. Ist das eine neue Regel der political correctness oder löscht man hier bereits eine vermeintlich unangenehme Vergangenheit aus?

Wer wird Visionen in Zukunft noch in Umsetzung bringen dürfen?

Junge Unternehmer meinen, dass sie bereits gefördert würden, indem man nicht zuerst Steuervorauszahlungen ermittelt, Zwangsbeitragsgesellschaften gründet und Bauabnahmen und Gutachten-Gutachten verlangt. Das Gefühl ließe sich steigern. Man könnte jeder neuen Idee sogar zwei bis drei Jahre freie Entfaltung ohne Steuern, Beiträge und Unterwürfigkeitsbehördengänge zusichern. Damit würde jederfrau und jedermann ermöglicht, ihre Idee umzusetzen, ohne dass man zuvor das Vermögen der Großmutter einsetzen oder verschuldet starten müsste. Der Staat erklärt also den auf weniger als 5% verbliebenen Unternehmenden dieser Gesellschaft, wie man zu unternehmen hat und vernichtet zunehmend die Möglichkeit derer, ohne Startkapital oder Netzwerk – nur mit einer Idee oder mit Elan ausgestattet – in ein unabhängiges Wirtschaftsleben zu starten. Allerdings werden derzeit junge Menschen in der Regel in ihrem Zuhause eingesperrt, nicht ausreichend geschult, der Breitensport verboten und die Möglichkeit, Nicht-Lebensmittel zu erwerben, nur gegen entgeltliche Testbescheinigung gestattet. Was bedeutet das für die sozial Schwächsten der Gesellschaft? Gibt es hier Gutachten? Fehlanzeige. Intelligent wäre doch gewesen, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch unserer Gesellschaft ab der Geburt unabhängig von Herkunft, Sexualität, Hautfarbe oder Religion die Möglichkeit bekommt, sein Talent in einem Beruf zu entwickeln. In der aktuellen politischen Landschaft kann man solche Vorstellungen zu Grabe tragen.

Der Staat als Unternehmer: chancenlos

Diese Perversion erreicht nun einen neuen Höhepunkt. In der vorletzten Phase dieser „Entwicklung“ gründet der Staat selbst GmbHs. Diese Staats-GmbHs haben gleichwohl Ressourcen ohne Ende und (noch) Geldmittel von Steuerzahlern verfügbar. So muss die Staats-GmbH den Untergang nicht fürchten, wenn das Produkt schlecht, Ideen inexistent, Einsatz unzureichend oder Innovation Fehlanzeige bleiben. Diese Staats-GmbHs treten nach außen als Unternehmen auf, sind innerlich aber rein politisch dirigiert. Was macht nun der Staat mit derart vielen Möglichkeiten, ohne selbsternährend tätig sein zu müssen: er kopiert private Ideen und presst diese in staatliche GmbH-Strukturen. Eigene Kultur-Ideen sind hier Fehlanzeige, zumal jeder solange den eigenen Senf (entspricht einer Meinung, gerne auch unfundiert) dazugeben darf, bis inhaltlich nichts übrigbleibt – siehe die Diskussionen um Inhalte im neuen Humboldt Forum. Die innere Struktur von Gesinnung, Postenhierarchien und Quoten in Staatsbetriebe gesetzt. EU-Recht, wonach größere Engagements einer Ausschreibung bedürfen? Schnee von gestern.

Wir kennen die Tourismus-Lenkungs-GmbH mit angeschlossenen Souvenir-Shops: visitBerlin. Diese will nun ein eigenes, exklusives Ticketing-System implementieren und unerwünschte Wettbewerber ausschließen. Hunderte Offline-Informationsstelen der Stadt sollen Berlinbesucher weg von kommerziellen Einrichtungen, aber ausschließlich hin zu staatlichen und nicht-kommerziellen Einrichtungen führen. Die so genannte oder so firmierende „Kulturraum Berlin GmbH“ verhandelte neulich einen Mietvertrag zu horrenden Konditionen aus und etabliert sich direkt neben einem mühsam restaurierten privaten Haus, um dort zu einem Bruchteil der eigenen Kostenmiete Räume an Musiker dieser Welt zum subventionierten Spottpreis anzubieten. Die privaten Häuser werden keine Mitarbeiter*innen beschäftigen und Steuern mehr erwirtschaften können. Mit all diesen Initiativen wird es aber so kommen, wie es bereits in der DDR war oder in totalitären Systemen ist: Neue Initiativen werden im Keim erstickt. Gerechtfertigt wird das mit hohlen Phrasen in der Art von banal-pädagogischem Geschwätz.

Echte Unternehmer steigen aus

Die Folge: Vermögende ziehen sich aus Risiko-Anstrengungen zurück und legen ihr Geld in langweiligen Finanzprostitutionsprodukten und Derivaten an, die gesellschaftlich keine positive Wirkung erzeugen. Nachfolgenden Generationen bleibt der Zugang zum Wettbewerb mit dem Staat verschlossen. Dort hingegen muss man sich Jahrzehnte ein- und unterordnen, damit man im Laufe des körperlich-geistigen Alterungsprozesses die entsprechenden Besoldungsstufen hinaufklettern kann. Das Ende: Berlin wird als Ganzes zu einem Museum. Wir wissen allein aus den letzten bald zwei Jahren Pandemie, dass die Exekutive wirklich gar nichts hinbekommen hat – obwohl es sicher sehr viele qualifizierte Verwaltungsmitarbeiter gibt. Warum konzentriert man diese nicht auf die Arbeit an der schwächelnden Infrastruktur unseres Landes und versucht stattdessen, Burger und Döner staatlich herstellen zu lassen?

Fazit: Man sollte einfach die Reihenfolge ändern. Zuerst das Land zu einem Museum erklären und dann unmittelbar und mittelbar alles als Museumsstücke verstaatlichen.


Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Geschäftsführender Gesellschafter der
Muson GmbH und Mitglied im INTOURA e.V.