Erfahrungsbericht zum Aqua Dome Unglück am 16.12.2022

Wie man in Deutschland das vogonische Monster besiegt.


Entschuldigender Erfahrungsbericht

Ende September 2022 hat der heftige Hurricane Ian mit bis zu 240 km/h in Florida die Städte Naples und Fort Myers dem Erdboden gleichgemacht. Drei Monate später – auf den Satelliten-Bildern nachzuvollziehen – stehen die erneuerten Stadtviertel bereits und die Strände haben geöffnet: hierzulande reiben sich Beobachter die Augen.

Innerhalb von 310 Arbeitstagen ist auch die gut einen Kilometer lange und auf 18 Pfeilern stehende Autobahnbrücke in Genua 2019 nach Einsturz wieder aufgebaut worden. In Italien also, einem als unorganisiert gescholtenem Land.

In Berlin dauert die just begonnene Erneuerung der Marzahner Brücke nach 8 (!) Jahren Planungszeit weitere 7 Jahre Bauzeit. Gelingt in diesem bürokratisch gefangenen Land heute noch etwas in kurzer Zeit?

Das international bekannte Aqua Dome im Hotel Radisson mit einer Million Liter Salzwasser und gut 1.500 Fischen ist am 16.12.2022 geplatzt. Das DDR Museum liegt im selben Gebäude wie diese ehemalige Attraktion des „Dom Aquarrées“ und musste am frühen Morgen des 16. Dezember gut eine Woche vor dem touristischen Weihnachtsandrang feststellen, dass das Museum eine Weile geschlossen bleiben würde: Wasser ist über Decken, an Wänden und unter die Fußböden gedrungen und hat Salzwasser sowie kontaminierte Biomasse (Fischreste, Algen usw.) im Museum verteilt. Sämtliche Strom- Wasser,- und Datenleitungen, Unterkonstruktionen, Bodenaufbauten usw. wurden vom Salzwasser angegriffen. Einzig von einem Totalschaden abgrenzend ist, dass als Ausstellungsstück lediglich eine Erika-Schreibmaschine in Mitleidenschaft gezogen wurde: sie hat die Salzkristalle des Wassers nicht überstanden. Wirklich problematisch zu diesem Zeitpunkt war, dass auch die haustechnische Infrastruktur außerhalb der Museumsflächen wie Brandmeldezentrale, Stromverteiler, Entrauchung, Sprinkleranlage usw. betroffen bzw. zerstört war. Ist es an dieser Stelle ein Vorteil, ein privat geführtes Museum zu führen? Was genau macht in dieser Situation den Unterschied zwischen privat und staatlich geführtem Museum aus?

Zugegeben: so kurz vor Weihnachten und zum Jahreswechsel ist die Sanierung eines Museums kein Zuckerschlecken. Es hätte für die auf Ferienzeit und Jahreswechsel programmierten Menschen keinen schlechteren Zeitpunkt geben können. Nachfolgend beschrieben das Arbeitsprogramm:

Im ersten Schritt muss der Schadenumfang aufgenommen und dokumentiert werden. Jeder einzelne hierfür gesandte Sachverständige besteht darauf, die wichtigste Person des Universums zu sein. Mehrere Gutachter (Eigentümer, Versicherungen und Museum) prüfen, ob und was die Anschwemmung der kontaminierten Überreste in Luft und Boden an Sporen hinterlassen hat und welche künftigen Auswirkungen diese auf Besucher*Innen und Gegenstände entfalten könnten. Es entsteht sofort Konflikt darüber, welcher Gutachter das Sagen und das größte sachverständliche Gewicht behaupten kann. Bei Dauerbewohnung oder Nutzung als Büro könnte dafür Verständnis aufgebracht werden. Dass es für Ausstellungen (noch) keinerlei gesetzliche Vorschriften oder Grenzwerte gibt: geschenkt. Es werden einfach welche angenommen und wochenlang wiederholte Prüfungen und Reinigungen vorgenommen, die bis zur absolut erreichten Reinheit wochenlang nach erfolgtem Abriss und Rückbau jede bauliche Maßnahme unterbindet. So sind die ersten sechs Wochen mit Dokumentation, Trocknung, und Rückbau vergangen. Jeder kann sich vorstellen was es bedeutet, schwimmenden Estrich zu entfernen oder Wände zu erneuern.

Die zweite große Herausforderung in Zeiten von Fachkräftemangel und Materialengpässen ist, die zum Wiederaufbau des Museums erforderlichen Gewerke zu binden und zu koordinieren: Trocknungsfirma, Kontaminationsreiniger, Bodenleger, Trockenbauer, Elektriker, IT-Unternehmen, Tischler, Maler, Heizung- und Sanitärunternehmer, Lüftungsbauer, Messebauer, Glasbauer, Reinigungsfirmen, Meldeanlagenbauer, Beleuchtungseinsteller, Werbebetechniker und Sound- und Schallschutzexperten. Das ist aber nicht alles:

Um einen Teilbereich eines formal außer Betrieb gesetzten Gebäudes nach einem derartigen Schaden materiell wieder in Betrieb nehmen zu dürfen, muss das Bauaufsichtsamt zustimmen. Das Bauaufsichtsamt wiederum verlangt die Vorlage der Fachabnahme durch einen zugelassenen Brandschutzprüfer. Der wiederum, will ein neues Brandschutzkonzept sehen und prüfen. Ein abnahmefähiges Brandschutzkonzept setzt voraus, dass nach Instandsetzung und Wiederherstellung der haustechnischen Anlagen die folgenden Fachabnahmen durch hierfür zugelassene und geprüfte Sachverständige erfolgt sind:

  • Fachabnahme, dass die Entlüftung wieder funktioniert
  • Fachabnahme, dass die Entrauchung funktioniert
  • Fachabnahme, dass die Sprinklerung funktioniert
  • Fachabnahme, dass die Notbeleuchtung funktioniert
  • Fachabnahme, dass die Brandmeldeanlage funktioniert

In dem Gebäude außerhalb des Museums befanden sich vier der fünf Steuerungszentralen, die nun ergänzt und umplatziert werden mussten. Außerdem muss die (unterbesetzte) Feuerwehr beteiligt werden. Weiterhin muss der organisatorische Brandschutz gewährleistet sein. Dazu gibt es zwischen Schulung der Mitarbeiter bis zum Feuerlöscher die Teile A, B und C. Ein externer Brandschutzbeauftragter schult und überprüft die Umsetzungssicherheit des Brandschutzkonzeptes aus organisatorischer Sicht. Fluchtpläne im Gebäude wurden aktualisiert sowie sämtliche Personen in der Brandmeldezentrale müssen neu geschult werden. Die sogenannten Feuerwehrlaufpläne bedürfen ebenfalls einer Neuabstimmung, weil das Hauptgebäude weiterhin außer Betrieb gesetzt ist. Das ist aber noch nicht alles: im Museum müssen sämtliche veränderlichen elektronischen Teile einer so genannten DGUV-V3 – Prüfung unterzogen sein. Darüber hinaus muss das Gesundheitsamt in Kenntnis darüber gesetzt werden, dass das Museum gedenkt, die Trinkwasserversorgung in den neuen Toilettenanlagen (und Leitungen) wieder aufzunehmen, wozu ein vorgeschaltetes biologisches Gutachten durchgeführt und ausgewertet werden muss, das das Wasser hinsichtlich bakterieller Belastung und insbesondere auf Legionellen hin überprüft. Hierzu bedarf es entsprechenden zeitlichen und organisatorischen Vorlauf sowie zahlreiche über Tage hinweg gesammelten Spül- und Druckprotokolle, die wiederum erst dann beginnen können, nachdem die Sanitäranlage tatsächlich neu errichtet ist.

Die vorstehenden Eckpfeiler sind keine schlichten Regularien, sondern der Tiefe nach in den letzten Jahren immer wieder verschärft worden. Anforderungen werden grundlos erhöht und Grenzwerte laufend verschärft. Offenbar ist nur so sichergestellt, dass Behörden, Sachverständige und die Industrielobby stets ausgelastet bleiben und die eigentlichen Leistungserbringer somit zu Verteilungsausgaben gezwungen werden können.

Jetzt fragt sich jeder Leser, ob es noch schlimmer kommen kann: ja

Denn das Ganze muss irgendjemand bezahlen. Zur Erinnerung: das Aquarium ist außerhalb des Museums geplatzt. Die Immobilieneigentümerin und die Gebäudeversicherung haben mehrheitlich dieselbe Gesellschafterin. Die Eigentümerin gewöhnte sich schnell an das Tempo des Museums-Teams, engagierte sich sehr intensiv und unterstützte mit allen Kräften die Wiedereröffnung. Im Gegenteil dazu die beiden Versicherungsgesellschaften.

Die erste Frage ist, wer für die Betriebsunterbrechung aufkommt. Immerhin wollen die Mitarbeitenden des Museums, Lizenzgebühren, Büroflächen usw. weiterbezahlt werden. Denn Social Media, Vertrieb, Besucherbetreuung, PR & Marketing müssen ja weiterlaufen, will ein Museum nicht vergessen werden. Außerdem verlassen insbesondere Kassenmitarbeitende ihre Arbeitgeber, wenn nur 60% des Lohns über Kurzarbeit bezahlt würden. Für den Betriebsunterbrechungsschaden steht bisher niemand ein – auch kein Steuerzahler; denn das Museum ist privat finanziert. Einen Verursacher oder eine Ursache für das Platzen des Aquariums ist bisher nicht ermittelt worden; die staatsanwaltschaftliche Akte umfasst hunderte Seiten. Damit scheidet bisher die Inanspruchnahme einer Haftpflichtversicherung aus, wobei eine solche wahrscheinlich den Multimillionenschaden am Gebäude oder den Betriebsausfall des betroffenen 5-Sterne-Hotels kaum wird tragen müssen. Die meisten Versicherungen begrenzen ihre Haftung der Höhe nach. Das Aquarium wurde von einer Betriebs-GmbH betrieben.

Für Gebäudeschäden wiederum haften unabhängig jeglicher Verschuldensfrage immer die Gebäudeversicherung und für den Inhaltsschaden die Inhaltsversicherung. Die zuständigen Versicherungen, die seit fast zwei Jahrzehnten ohne bisherige Schäden vom Museum gern direkt und indirekt über die Mietnebenkosten Beiträge einkassiert haben, haben sich auch nach abgelaufenen 4,5 Monaten nicht einigen können, wer genau wofür aufkommen muss. So streiten sich die Gebäudeversicherung und die Inhaltsversicherung über Zuständigkeitsabgrenzungen und Überhaupt-Zahlungen. Die Streitfragen sind, ob die Erneuerung haustechnischer Anlagen zu Gebäude oder Inhalt gehören oder ob etwa zuvor eingebrachte Bauteile nun in Museumsverantwortung sind. Wer trägt die Logistik-Kosten in welchem Verhältnis? Braucht es ein vorgeschaltetes Ausschreibungsverfahren? Das DDR Museum musste den Millionen-Schaden überwiegend selbst vorstrecken. Man darf gespannt sein, wie es hier weitergeht. Auf Versicherungen ist jedenfalls kein Verlass und sie sind schon gar kein Finanzierungsvehikel.

Nach gut 8 Wochen Bauzeit eröffnete das DDR Museum am 01.04.2023 stolz seine Ausstellung wieder  – übrigens mit neu konzeptionierten Teilbereich eins. Währenddessen teilte das DHM gerade mit, dass die inhaltliche Aufarbeitung in einem Jahrzehnt fertig geplant sein würde. Das Pergamon-Museum hat verkündet, über 14 (!) Jahre lang bis 2037 zu renovieren. Das Humboldt Forum benötigt viele Monate, um jeweilige Sonderausstellungen in fertigen Räumen aufzustellen. Steuergelder dürfen offenbar ohne jeglichen Druck zu Budget und Zeit ausgegeben werden. Wie will der Staat eine Gesellschaft modernisieren, wenn schon die Gestaltung staatlicher Museen Jahrzehnte-Projekte sind?

Wüssten junge Unternehmer, wie feindlich Deutschland inzwischen gegenüber Unternehmertum insgesamt geworden ist, wieviele Gutachter und öffentlich Bedienstete mitzuernähren sind und welch gnadenlose, staatliche Wettbewerbsinitiativen derzeit versuchen, noch mehr aus Menschen abzusaugen, dann besser Kultur sein lassen?

Einen Dank an das gesamte Team; Es ist trotz bürokratischer Hürden und gegen alle Widerstände geschafft! Das DDR Museum leistet wieder ganz nebenbei Steuerzahlungen und Sozialabgaben für einen nimmersatten Staat und Stadt: zum Beispiel für die Errichtung von 800 Stelen an den Hotspots Berlins, um die Besucher*Innen weg von privaten Einrichtungen hin zu staatlichen oder staatlich finanzierten Museen zu führen. Sozusagen als systemische Austrocknung privater Häuser und entsprechender Steuermittel.


 

Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Mitglied im INTOURA e.V.