Oktober-Kolumne 2022

Meinung
Q. Graf Adelmann

Wir sind nicht tot. Wir hören nur auf zu leben.

Zur Frage, ob sich der Tod auch künftig noch finanzieren lässt

Politik denkt, dass die Menschen dumm sind. Dumm genug zu glauben, dass der 300€ September-Energiekostenzuschuss für Bürger mehr als 170€ netto bedeutet. In Krisenzeiten zeigt sich, ob Politik und Verwaltung können oder eben nicht: Letzteres trifft zu. Leider. Zwei Jahre Gesundheitspolitikwahnsinn und ein Jahr neue Wirtschaftspolitik reichen aus, um 250 Jahre Industriegeschichte zu vernichten und unser Land zu de-industrialisieren.

So gesehen hat Berlin einen großen Vorteil gegenüber anderen Bundesländern: Berlin hat nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, aber auch nach dem Fall der Berliner Mauer keine relevante Industrie behalten oder ansiedeln können. Damit betrifft die Industrieenergiekrise eher andere Teile des Bundesgebietes. Um die Energiekrise insgesamt abzumildern, lässt Berlin dennoch alle Außenfassadenbeleuchtungen ab 22:00 Uhr abschalten. Das spart umgerechnet 0,045% an Stromkosten in dieser Stadt. Alles um des Showeffekts also. Würde man es ernst meinen, verböte die Stadt die Nutzung von Fahrstühlen und Rolltreppen. Damit würde man 0,4 TW/h einsparen. Das hätte nicht nur den Effekt, dass wir rund 3% des gesamten Stromverbrauchs dieser Stadt einsparen würden, sondern die Menschen auch in Bewegung kommen, was wiederum der Gesundheit aller zugutekommt.

Einen weiteren positiven Gesundheitseffekt erreichen wir, würden wir die gut 1,5 Millionen neuen Pedelecs in Deutschland pro Jahr durch einfache Fahrräder (0,9 Millionen pro Jahr) ersetzen (2021). Inzwischen radeln über 10 Millionen Pedelecs in Form von City-Bikes, Mountainbikes und Cargo-Bikes durch Deutschland. Den Stromverbrauch und die Entsorgung der durchschnittlich 13 Jahre haltbaren Akkus kann sicher jeder selbst errechnen. Die meisten Fahrräder werden übrigens in Kambodscha und Bangladesch hergestellt. Industriebetriebe für Fahrräder „Made in Germany“ haben es in Deutschland bekanntermaßen schwer. Die körperliche Fitnessverpflichtung findet sich jedoch nicht im politischen Schwerpunkt Deutscher Gesundheitspolitik. Dort konzentriert man sich darauf, Kinder und Jugendliche von Bildung fernzuhalten und außerdem, durch neue Zertifizierungs- und DIN-Vorschriften (schon einmal etwas von MDD, AIMDD, IVDD, MDR, IVDR oder ISO 15189 gehört?) Innovation, kleine Stückzahlen von Medizinprodukten und kleine Labore zu zerstören.

Nun sollen bis zu 200 Milliarden Euro frisches Druckgeld die Belastung von Bürgern und Unternehmen als Gaspreisbremse abmildern. Umgerechnet 10-16 Monate reicht dieses Geld, um allein die Energiekostenerhöhungen abzufangen. Was dann? Bei unseren Regierungen zerbröselt so der Euro-Wert ebenso wie der Glaube des Wahlvolks daran, dass Mathematik Bestandteil politischer Arbeit ist. Nach wie vor fällt kein einziges Wort über einen strategischen, nachhaltigen Plan für die Zukunft oder zu konkreten operativen Umsetzungsmaßnahmen für die kommenden Jahre. Erforderliche Infrastrukturprojekte wie die Erneuerung von Versorgungsleitungen (weg vom Gas) in einer Stadt im Rahmen von Raumordnungsverfahren sind noch nicht einmal begonnen. Allein die fünf größten Energieversorger Deutschlands haben 2021 gut 312 Milliarden Euro umgesetzt. Der Strompreis ist seit Ende 2021 um 100% gestiegen. Der Preis für Heizöl hat sich fast verdoppelt. Die Gaspreise haben sich verviereinhalbfacht. Es ist auch nicht sichergestellt, dass sich die Kosten nicht weiter erhöhen. Schätzungen behaupten eine künftige Verachtfachung. Vorbereitungslos entstehen so abermals verpuffte Druckgeld-Schulden, die die Kinder und Kindeskinder des Landes werden zurückzahlen müssen. Was folgt, ist die Hoffnung, dass die aktuellen Kriegsregionen keine Ausweitung, sondern ein Ende finden. Wie lautet der Alternativplan?

Nun ja. Wer in Berlin in diesem Winter als bürgender Gastronom oder Anbieter einer Sehenswürdigkeit einen Raum für die Dauer eines Mietvertrages oder im Eigentum offenhalten will, der muss sich etwas einfallen lassen. Während derzeit die teuersten Unternehmensberater der Welt gegen hohe Stundenhonorare auf Kosten der Steuerzahler nachprüfen, ob 10€-Belege der seinerzeit zwangsgeschlossenen Attraktionen und Gastronomien für die Corona-Schadenersatzzahlungen richtig vorliegen, rechnen die Unternehmer das künftige Überleben im Winter aus:

500 qm Ausstellungsfläche ganzjährig zu betreiben, bedeutet in diesem Winter wohl um etwa 10.000€ höhere Betriebskosten durch Heizung und Strom (monatlich). Nimmt man außerdem 15 Personen Personal an, die ihrerseits höhere Ausgaben haben und verständlicherweise deshalb einen um 15% höheren Bruttolohn einfordern, um davon wiederum wenigstens die aktuelle Inflationsrate von 8% auszugleichen, steigen die Kosten der Betreiber konkret um weitere 11.000€. Dies ergibt also einen um 21.000€ höheren monatlichen Aufwand bei Lohn und Betriebskosten. Dazu kommen gleichwohl auch weitere höhere Kosten wie Indexmieten ab 2023, Ausgaben für Toilettenpapier, Software usw. Einfach überschlagen muss also ein Unternehmen wie eine Attraktion mit obigem Beispiel mindestens 30.000€ monatlich mehr berappen. Dabei sind die Leistungen, die den Besuchern angeboten werden, unverändert. Geht man dann von der branchentypischen Umsatzrendite von 8% aus und nimmt an, dass die Anzahl der Besucher*innen zuletzt bzw. 2019 ausreichend vorhanden war, rutscht die Attraktion in ein Minus von gut 5% des Umsatzes. Sie „erwirtschaftet“ unsubventioniert folglich einen sechsstelligen Jahresverlust. Keine Attraktion ist ein Monopol, bei dem der Anbieter einfach durch Preiserhöhung reagieren kann. Niemand hat Interesse, Restaurants oder Ausstellungen zu Orten zu machen, zu denen sich nur noch Reiche Zutritt leisten können. Was also tun? Soll die private Einrichtung nun Geld in sechsstelliger Höhe zuschießen, wenn es möglich ist? Folgt die Insolvenz? Wofür macht man das alles und vor allem: wie lange wird dieser Zustand andauern?

In Berlin gibt es gut 147 Museen und 391 Ausstellungen (Stand 2019). Natürlich wird es die vielen staatlich-pädagogischen Einrichtungen kaum betreffen. Dort werden sicherlich die Kosten einfach aus Haushaltsgeldern, neuen Schulden und Raubzügen gegen die Privaten finanziert. Am Beispiel des Humboldt Forums sieht man, dass es völlig egal ist, ob die Besucher*innen in der Sommerzeit wochenlang wegen Wartungsarbeiten das Gebäude größtenteils nicht betreten durften. Es kam auch zuvor kaum ein Besucher in das Kunstkonstrukt. Niemand schaut sich im Detail an, woran es liegt. Man habe schließlich einen anderen Auftrag abseits wirtschaftlicher Kennzahlen. Zur Erinnerung: die Stiftung Preußischer Kulturbesitz benötigte 2021 etwa 370 Millionen Euro und rechnete mit weniger als 12 Millionen Euro an Eintrittsgeldern. Da machen einige Millionen Euro höhere Betriebskosten keinen Unterschied. Die Menschen in unserem Land bezahlen das bestimmt gern – werden dazu allerdings nie befragt.

Zurück zu den Privaten: gut 9.800 Gastronomien, 200 Clubs, 704 Beherbergungsbetriebe mit knapp 140.000 Betten bietet Berlin. Mit etwa 250.000 Mitarbeitenden sind diese Betriebe und Unternehmen der wichtigste wirtschaftliche Motor der Stadt. Nun stelle man sich vor, dass alle durchschnittlich 5% ihres Umsatzes Cash hinzuschießen müssen. Operativ waren die Jahre 2020 und 2021 ohnehin angespannt. Hinzu kommt das Damokles-Schwert der Gesundheitswillkür, abermals Einrichtungen bei Kapazitäten zu begrenzen, in Clubs nur mit Maske tanzen zu dürfen und – nicht zu vergessen – der Umstand, dass weniger verfügbares Geld den Bürger auch alles an Konsum streichen lässt, was man nicht zum Leben braucht. Es wird also so oder so ein harter Winter.

Wir dürfen außerdem gespannt darauf sein, wie die Politik reagiert, wenn sich keine neuen Unternehmen mehr gründen. Die Leitzinserhöhung führt dazu, dass neue Unternehmen mindestens 4% Zinsen für fremdes Geld werden zahlen müssen. Außerdem muss die Bonität der Unternehmer*innen verbessert und die Eigenkapitalquote höher sein, und das bei kürzeren Laufzeiten. Erschwerte Geldbeschaffung bzw. „teureres“ Geld ist ein notwendiges Übel der jahrelangen Gelddruckpolitik, um die ausufernde Inflation zu bekämpfen. Leider folgt hieraus eine sich über Jahre hinweg aufbauende Hürde für junge, vermögenslose Menschen mit Ideen, die an Geld kommen wollen. So werden Innovation und Chancengleichheit für Menschen dahinschmelzen. Unsere ideenlosen Politiker haben dagegen kein Rezept. Der Staat wird nur immer weiter aufgeblasen.

Erinnern wir uns daran, dass in Europa noch vor gut 15 Jahren mehr Gas produziert wurde, als in Russland. Heute hat Deutschland nach Bermuda den höchsten Strompreis der Welt. Da ist weder allgemein über das so genannte „reshoring“, noch konkret über die Ansiedlung energieintensiver Technologien wie die Entwicklung und Herstellung von Halbleitern nachzudenken. Alle großen Produktionsunternehmen denken über die Abwanderung nach Indien oder die USA nach. Dort findet man noch Fachkräfte, hat Zugang zu dauerhaft niedrigen Energiepreisen und immerhin eine gewisse politische Verlässlichkeit. Die Argumente des deutschen politischen Establishments sind also dümmlich, ideologisch verseucht und letztlich die psychopathische Logik von schizophrenen Träumen. Es geht der Regierung darum, dass das Volk merkt, dass da jemand regiert. Im Grunde könnte man die Regierung ignorieren und das Wahlrecht auf Insassen von Irrenanstalten beschränken. Das Wahlergebnis wäre das gleiche und die Einsparungen wären enorm. Der aktuelle Bundeswirtschaftsminister bräuchte dann auch nicht die Veröffentlichung des Kostenbedarfs der Netzbetreiber mit verknüpfter weiterer Strompreiserhöhung krampfhaft vom 01. auf den 17. Oktober verschieben, nur weil in Niedersachsen am 09.10. gewählt wird und diese schlechte Nachricht so nicht zu Direktreaktionen führen können.

Schauen wir uns einen anderen Aspekt in Berlin an: Hierzulande werden nach wie vor Genehmigungen zur Eröffnung einer Gastronomie oder einer Ausstellung oder für den Bau eines Hotels mit riesigen Hürden versehen. Für die Beantragung einer Bau- und Nutzungsgenehmigung gehen Jahre ins Land. Wehrt man sich gegen willkürliche Entscheidungen von Behörden oder schlichtweg gegen das Nichtstun, vergehen bis zum ersten Termin beim Verwaltungsgericht in Berlin 5 Jahre. In zivilrechtlichen Eilverfahren zum Kammergericht vergehen 2 Jahre. Man kann hier getrost behaupten, dass die Rechtspflege stillsteht – so wie in afrikanischen Bürgerkriegszonen. In unserem Land allerdings werden sinnbildliche Todesurteile nicht mehr ohne Verfahren gefällt. Das nennt man dann „zivilisierten Rechtsstaat“. Das Todesurteil fällt dennoch durch die simple Realität. Mit dem Worten des aktuellen Ministers: „wenn wir Glück haben und sparsam sind und das Wetter mitspielt haben wir eine Chance“. Für die Regierungen in Deutschland ist Erfolg und Verantwortung ein Glückspiel. Unser Land ist am Ende.

 


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Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Mitglied im INTOURA e.V.