November-Kolumne 2024

Meinung von Alexander Jöchl

Mehr Netto vom Brutto in Museen

Wie eine erfolgreiche Museumspolitik ohne Schließtage aussehen kann, ein Blick über den Tellerrand

Die Welt ist im Wandel, und die Museen stehen erneut vor der Herausforderung, sich zu transformieren, um relevant und attraktiv zu bleiben.
Der Meldung „Neue Öffnungszeiten bei den Staatlichen Museen zu Berlin ab 16. April 2024“ folgte die Ankündigung, dass viele Häuser aufgrund der „angespannten Haushaltslage“ einen zweiten Schließtag und kürzere Öffnungszeiten einführen müssen.
In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf zwei erfolgreiche Beispiele aus der
Museumspolitik die zeigen, dass zusätzliche Schließtage für Museen der falsche Weg sind.
Voraussetzung dafür ist aber auch eine mutige und zukunftsweisende Museumspolitik.

Als Inspiration für einen anderen Weg dienen Max Hollein, ehemaliger Direktor der Kunsthalle
Schirn in Frankfurt am Main, und Klaus Albrecht Schröder, Museumsdirektor der Albertina in Wien. Mit ihren progressiven Ansätzen und mutigen Entscheidungen haben die beiden gezeigt, wie eine zukunftsweisende Museumspolitik aussehen kann.
Unter ihrer Leitung blühten die Museen auf, wurden zu Orten mit überregionaler Strahlkraft und prägten das kulturelle Leben ihrer Städte maßgeblich mit.
Wie war das möglich?
Max Hollein hat die Kunsthalle Schirn in Frankfurt von 2001 – 2016 zu einem herausragenden Beispiel für erfolgreiche Museumsarbeit transformiert. Seit seinem Amtsantritt hat er nicht nur die Besucherzahlen kontinuierlich gesteigert, sondern auch das gesamte Konzept des Museums
modernisiert. Dies gelang ihm durch eine Kombination aus überregional erfolgreichen Ausstellungen, einem breiten Bildungsangebot mittels innovativer Online-Kommunikations- und
Vermittlungsprogrammen. Damit wurde der Bildungsauftrag weit über die physischen Grenzen der Häuser hinaus wahrgenommen.
Max Hollein hat es verstanden, verschiedene Zielgruppen anzusprechen, insbesondere jüngere Generationen, die oft auf der Suche nach interaktiven und immersiven Erlebnissen sind. Insgesamt konnten die Sammlungen des Städel Museums und der Skulpturensammlung im Liebieghaus – die beiden Häuser wurden Teil seiner Tätigkeiten in Frankfurt – um mehr als 2.800 Werke erweitert werden.
Alle drei Institutionen haben sich unter seiner Leitung international positioniert. Das Programm der Kunsthalle Schirn zeichnete sich durch einen neuen zeitgenössischen, analytischen Blick auf die Kunst der letzten Jahrhunderte aus. Frankfurt war wieder ein interessantes Reiseziel. Rund 50% der finanziellen Mittel wurden durch Sponsorengelder, Materialspenden und Einnahmen ermöglicht. Max Hollein, seit 2018 Direktor vom Metropol Museum of Art in New York zum Thema Geld: „Wenn es um ein knappes Gut geht – in diesem Fall Geld – ist Konkurrenz immer vorhanden – regional, national und natürlich international. Keine Ressource ist unerschöpflich. Doch jammern hilft nicht. Man muss die besseren Ideen, Konzepte und Marketingstrategien entwickeln“.
Die Stadt Berlin und ihre Bewohner haben es sich verdient, dass diese Einstellung auch hier Realität wird.

Parallel dazu zeigt die Albertina in Wien unter der Leitung von Klaus Albrecht Schröder eine weitere Erfolgsgeschichte. Schröder hat die Ausstellungsstrategie der „Graphischen Sammlung Albertina“ – neu ausgerichtet und dabei auf moderne Kunst sowie auf zeitgenössische Themen gesetzt. Dies hat nicht nur zu einem enormen Anstieg der Besucherzahlen, sondern auch zu einer signifikanten Steigerung der Einnahmen geführt. Von den ursprünglich 2.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche und den 10-15.000 Besuchern pro Jahr konnte man sich nach der umfassenden Renovierung der Albertina auf über 28.000 Quadratmetern vergrößern und die Besucherzahlen auf mittlerweile 1 Million (!) pro Jahr steigern. In der Sammlung befinden sich mittlerweile 1,2 Millionen Kunstwerkevom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 2022 verzeichnete man 1.720 Neuzugänge in der Sammlung.
Digitale Medien werden hier gezielt und erfolgreich als Marketinginstrument eingesetzt. Die Albertina hat sich in Wien als ein Ort etabliert, der nicht nur Kunstliebhaber, sondern auch ein breites Publikum anzieht. Die Kombination aus klassischen Meisterwerken und innovativen zeitgenössischen Ausstellungen schafft ein einzigartiges Erlebnis, das Besucher immer wieder in die Albertina zurückführt.
Die Strategien von Hollein und Schröder belegen, dass ein kreativer mutiger Ansatz und eine klare Vision entscheidend sind, um in der heutigen Zeit relevant zu bleiben. Dabei kann man auch erfolgreich sein!

Es lohnt sich Vergleiche anzustellen Albertina Wien / Kupferstichkabinett Berlin:

Der Albertina folgen auf Instagram 145.000 Menschen, bei Google gibt es mittlerweile über 29.000 Bewertungen mit 4,7 von 5 möglichen Punkten.
Das Kupferstichkabinett in Berlin zählt laut Eigendefinition „zu den bedeutendsten Museen der Grafischen Künste“, mit seinen 110.000 Zeichnungen und über 500.000 Grafiken. Hier hat man sich aber dazu entschlossen die Öffnungszeiten auf Mittwoch bis Sonntag einzuschränken. Auf der Plattform Google finden Sie aktuell 169 Bewertungen, es gibt kein Instagramprofil, auf Facebook folgen 5.369 Personen dem Museum.
Liebighaus in Frankfurt / Altes Museum Berlin:
Dem Liebighaus mit den rund 3.000 Skulpturen folgen 11.890 auf Instagram, 10.420 auf Facebook, es gibt 1.246 Bewertungen auf Google. Die Bildnisse von „Gaius Iulius Caesar und Kleopatra“ in Berlin können ebenfalls nur noch an 5 Tagen der Woche bewundert werden. Dem Alten Museum folgen 861 Personen auf Instagram, 15.527 auf Facebook und es gibt 5.149 Bewertungen auf Google.
Mut, Innovation und Autonomie sind die Schlüsselwörter.

Solche Entwicklungen wie bei der Albertina in Wien oder der Kunsthalle in Frankfurt sind in Berlin nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen für die Häuser soweit flexibel werden, dass die Personal-, Budgetplanung, das Ticketing und die Marketingmaßnahmen von der jeweiligen Leitung auf die Situation angepasst, weiterentwickelt und bestmöglich eingesetzt werden kann. Berlin ist eine der wichtigsten Kunstmetropolen in Europa, mit einer Strahlkraft von internationalem Rang. Die Hauptstadt von Deutschland steht vor der dringenden Herausforderung, sich auch in ihrer Museumspolitik bewusst zu werden, dass man sich in einer der größten Städte von Europa befindet.
Jeder Schließtag eines Museums bedeutet nicht nur einen finanziellen Verlust für die Institution selbst, sondern ist auch eine Enttäuschung für die interessierten Besucher, schlecht für das Image der Kulturstadt und ein Signal der Resignation. Es ist an der Zeit, den Staatlichen Museen in Berlin wesentlich mehr Autonomie zuzugestehen, um endlich ihre Potenziale voll ausschöpfen zu können. Durch die Stärkung einzelner Häuser und die Förderung von kreativen Ideen kann Berlin seine Position als Kulturhauptstadt weiter festigen.

Einige Privatmuseen in der Stadt zeigen, welche großen Potentiale hier noch vorhanden sind, die sofort umgesetzt werden können. Ein positiver Impulsgeber bei den Staatlichen Museen zu Berlin ist beispielsweise der „Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart“, mit seinem vielfältigen Programm und den innovativen Vermittlungsformaten werden Maßstäbe gesetzt.

Mit kulturellen Grüßen, Alexander Jöchl

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