Metaverse

November-Kolumne 2022

Meinung
Q. Graf Adelmann

Rückzug ins Private

Wie das virtual universe eine neue Wertschöpfung schafft

Menschen sind oft verunsichert oder sogar abgeneigt, wenn sie etwas Neues tun sollen. Wenn damit auch öffentliche Sichtbarkeit einhergeht, bedeutet das, der Kritik von jedermann ausgesetzt zu sein. Bekanntermaßen ziehen sich derzeit viele Menschen in ihre privaten vier Wände zurück. Warum sollte der Mensch sich in einem Land real mit Dingen beschäftigen, in dem der Staat glaubt, dass seine Bürger und Unternehmen die Dienstleister der unproduktiven und langsamen steuerfinanzierten Apparate sind? In einem Land, in dem Kunstgeschichtler Finanzsenator werden, Philosophen Bundeswirtschaftsminister oder Bausenator, Kindergärtner oder Theologen Bundesagrarminister, Ärztinnen, Politologinnen und Pazifistinnen Bundesverteidigungsministerin, eine Germanistin Bundesumweltministerin, Realschullehrer Bundesverkehrsminister, eine Politologin Wirtschaftssenatorin, Bankkauffrauen oder eine Germanistin und Werbetechnikerin Bundesforschungsministerin, eine Wirtschaftsmathematikerin Gesundheitssenatorin, eine Finanzbuchhalterin Bundesinnen- und Digitalministerin, eine Zootechnikerin Bundesministerin für Atomare Sicherheit?

Gibt es tatsächlich eine Welt, in der Kompetenz und Qualifikation keine Rolle mehr spielen? Oder sind umgekehrt der eigene Antrieb und Neigungen zu einer Tätigkeit selbst in einer anderen Welt wirklich ausschlaggebend für Tätigkeit und Aktivität? Gibt es Alternativen?

Was ist ein virtual universe?
Wer kennt sie nicht: Filme wie Matrix, Tron, Surrogate oder Ready Player One. Im letztgenannten Film schaffen sich Menschen Spielfiguren in anderen Welten, gewinnen Eigenschaften und Fähigkeiten hinzu und setzen diese ein, wenn sie ins Risiko gehen. In Japan sind solche Filme oder Animés lange bekannt und perfektioniert. So auch Sword Art Online (SAO), in dem reale Menschen in ein gemeinsames Universum (virtual universe) abtauchen können. Mit speziellen Geräten wird das Gehirn des Menschen ausgelesen und stimuliert. Man tötet Widersacher, gewinnt Erfahrung und kann in höhere Level aufsteigen. Eigene virtuelle Welten bleiben jedoch nicht ohne Gefahr. Man kann tatsächlich selbst darin sterben.

Wo finde ich ein virtual universe?
Meta versucht derzeit, ein Metaverse zu entwickeln. Bürger bzw. Nutzer sollen in jene virtuelle Welt eintauchen und Anbieter kommerzieller Produkte diese Welt gestalten. Instagram-Werbung ist out; das Metaverse soll die neue Welt werden, in der wir miteinander kommunizieren, Produkte und Dienstleistungen austauschen und völlig neue Wertschöpfungsketten schaffen. Was vielen bereits mit diesen Zeilen als Horrorvorstellung erscheint, dürfte einigen der 196 Weltstaaten die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Geld ist digital und Geografie – also der Ort des Log-ins sozusagen – wird irrelevant und frei von staatlicher Kontrolle?

Zurück zum Start: Eines der bekanntesten virtual universe ist das 2015 auf einer Plattform betriebene Decentraland. Man kann es sich so vorstellen, dass auf einer öffentlich zugänglichen digitalen Plattform gut 90.600 Landparzellen bestehen, die entweder von der plattformbetriebenen Foundation gehalten werden oder aber von privaten Landeigentümern, die das Land halten oder entwickeln. Bei einer Entwicklung werden beispielsweise Marktplätze errichtet oder Gebäude, die wiederum selbst gestaltet, betreten oder auch wieder vermietet oder verkauft werden können. Es handelt sich also vereinfacht ausgedrückt um eine Parallelwelt in 3D. Jeder kann sich einen eigenen Avatar gestalten und mit diesem dann zu jeder Tages- und Nachtzeit durch jene 3D-Welt in Gestalt ihm zugewiesener Pixel laufen. Die Welten haben öffentliche Zentralplätze und inzwischen auch verschiedene Distrikte. So gibt es ein Fashion-Viertel oder auch Viertel, in dem ein Sotheby`s seine Galerie nachgebaut hat. Es können auch Konzerte veranstaltet oder besucht werden, inzwischen befindet sich auch die Botschaft von Barbados dort. Einer der größten Landeigentümer im Decentraland – man glaubt es kaum – ist die Katholische Kirche. So findet sich an vielen Straßenkreuzungen ein Gebetshaus. Es finden sich auch längst die großen Elektronik-Hersteller und einige Bankhäuser im Decentraland wieder. Parzellen werden mit umgerechnet zwischen 1.500 und 500.000 Euro (!) gehandelt. Begrenzungen gibt es nicht. Allein der Markt gestaltet den Preis. In der auf Ethereum-Blockchain basierten Plattform schützen Miner das Decentraland vor Angriffen von außen.

What to do in virtual universe?
Erstaunlich ist, wenn beispielsweise pro-ukrainische Demonstrationen mit 3.000 Teilnehmern wie Anfang 2022 stattfinden. Dann sind Avatare in blau-gelb bekleidet und kommen aus der ganzen (realen) Welt. Aber auch Hochzeiten mit 6.000 Teilnehmern sind bereits in 3D organisiert worden. Nun, Emotionen durch Umarmung und Küsse muss man sich in Ermangelung der mechanischen Hirnstimulation noch vorstellen. Praktisch kann der Mensch so aber umweltschädliche Reiseaufwendungen einsparen und auch das Hinausbegleiten völlig betrunkener oder obszöner Gäste wird obsolet. Je nach geografischer Lage einer Parzelle verändern sich die Preise. Befindet sich eine Parzelle inmitten eines angesagten Distrikts, kann der Landeigentümer davon ausgehen, viele Avatare treffen bzw. erreichen zu können. So entstehen völlig neue Wertschöpfungsketten: Das DDR Museum beispielsweise kann seine Räume jungen mittellosen Ausstellern überlassen, die wiederum Ausstellungen in 3D Gästen aus aller Welt präsentieren können. Das Museum Baberini in Potsdam könnte 200 Jahre alte Kunstwerke von Monet präsentieren, ohne, dass einzelne Verrückte der so genannten letzten Generation diese mit Kartoffelbrei beschmieren. Es könnten Führungen organisiert und vermarktet werden oder sogar große Messen. Ganze Tourismusströme könnten so neu organisiert werden oder gar entstehen. Menschen, die weniger betucht sind, um sich Reisen zu leisten, bekommen einen nahezu barrierefreien Zugang. Globaler Austausch ohne Klassenunterschiede könnte möglich werden. Yale könnte wiederum Diskussionsrunden über variable Meinungen zum Thema Halloween zulassen, ohne von Fundamentalisten tatsächlich bespuckt zu werden. Doch wem gehört das alles?

Was sind digitale Assets?
Die wenigsten Menschen wissen bisher, was ein NFT (Non-Fungible Token) ist. Die oben beispielhaft genannten Künstler stellen ein digitales, unveränderbares Werk her, das dann in der Blockchain einen bestimmten, überprüfbaren, unteilbaren und unersetzbaren kryptografischen Token darstellt. Man kann also vereinfacht ausgedrückt ein Bild einmalig herstellen und in der Blockchain von Decentraland hinterlegen, das nur einem Eigentümer zugewiesen ist. So steigt natürlich der Wert eines NFT, sofern der Künstler bekannt und das Werk limitiert ist. Zu den oben genannten Demonstration waren 1.000 Anzüge der Avatare erhältlich, die wiederum zu einem bestimmten Wert gehandelt und verkauft wurden. Und wer weiß: vielleicht verbuchen solche NFTs mit der Zeit erhebliche Wertsteigerungen. Theoretisch könnte jeder Mensch selbst NFTs herstellen und vermarkten.

Geld im virtual universe und Tauschhandel
Wie immer braucht es beim Tauschhandel für Raum, Zeit, Parzelle, NFT usw. eine Währung. Im Decentraland heißt die Währung MANA. Die wahrscheinlich größte Hürde ist, sein FIAT-Geld (Euro, US-Dollar, Pfund, usw) in MANA zu tauschen und umgekehrt. Die MANA-Token sind ERC-20-Token auf Ethereum-Basis. Man muss diese wiederum verbrennen, um LAND-Tokens (ERC-721-Tokens) zu erwerben – die zweite Währung im Decentraland. Ursprünglich gab es 2,8 Milliarden MANA, von denen 600 Millionen inzwischen bei Land-Auktionen verbrannt worden sind. Ein solcher Coin hat durch die Zunahme des Interesses am virtual universe bzw. Verknappung der digitalen Assets von anfänglich 0,02€ (2015) auf zwischenzeitliche 2€ pro Coin im Jahr 2022 zugelegt. Deshalb gibt es auch bereits mit diesen Währungen einen regen Spekulationshandel. Natürlich sollte man bei den hierfür erforderlichen Brokern darauf achten, dass diese durch Regulierungsbehörden lizensiert sind – so wie beispielsweise BDSwiss, eToro oder Binance. Das klingt recht kompliziert – und ist es auch. Es dauert, sich zu registrieren und insbesondere zu verifizieren. Um Geldwäsche vorzubeugen, werden alle Menschen durch Vorlage ihrer IDs, aber auch realer Verbrauchsrechnungen von beispielsweise Strom oder Gas verifiziert. So kann man wie in jeder Blockchain immer jede Transaktion auch rückwirkend nachverfolgen. Das erhöht den Energieaufwand beträchtlich, macht das System im Laufe der Zeit aber relativ uninteressant für Kriminelle der Zukunft.

Kommt nun das Web 4.0?
Ist das virtual universe also das neue Internet? Das so genannte Web 4.0, in dem alle User dieses Planeten unabhängig von geografischen Standorten aus ihren vier Wänden heraus, aber emotional und physisch begrenzt hinter einer VR-Brille eine andere Welt betreten, hat Grenzen. Bisher läuft ein Nutzer (auch ohne VR-Brille) im Decentraland noch recht einsam umher. Außerdem ist vieles noch nicht entwickelt und schlecht animiert. User benötigen einen klassischen Rechner und sind damit nicht mobil, weil die Leistungskapazitäten begrenzt sind. Die virtuelle Welt sieht teilweise wie zu Beginn der 80er-Jahre aus. Der meta-Konzern hat (wie man hört) ebenfalls Schwierigkeiten, seine Entwickler*innen zu motivieren und zu halten, weil diese Zweifel ob des Erfolges des metaverse haben. Die Entwicklung des Web 4.0 braucht also noch Geduld und wird sehr viel Geld verbrennen. Natürlich wird sich der Mensch auch hier wieder fragen müssen, woher all die Energie kommt und wo die Informationen einer Blockchain (Web 3.0) gespeichert und vorgehalten werden soll. Die zentrale Speicherung birgt zahlreiche Risiken, das dezentrale Speichern kostet Energie und macht die Systeme langsam, wie man von Bitcoin weiß. Außerdem soll es in Deutschland bald weder Atomkraft und Gas noch Kohle zur Stromproduktion geben. Sechs Windräder müssten täglich gebaut oder erneuert werden – und zwar über die nächsten vier bis fünf Jahrzehnte, wenn der heutige Energiebedarf ermöglicht werden soll. Auch wird es spannend zu beobachten sein, wie der Staat Kontrolle oder Überwachung ausüben will. Digitalisierung als Verständnisbegriff ist staatlich heute noch sehr weit weg. Viele Behörden arbeiten weiterhin mit Fax (teils ein Vorteil, wenn die Digitalisierung noch nicht funktioniert – was heute oft der Normalfall ist) und die Polizeibehörden lernen gerade erst, was im Darknet so alles passiert.

Ausblick 2030 und Fazit
Es bleibt aber ein Spaß sich vorzustellen, die real verrückte Welt einfach auszuschließen und sich von allem zu lösen, was abhängig macht – darunter staatliches Geld, Medien und Glaubenseinrichtungen wie Kirche und Partei. Es lohnt, am Anfang dabei zu sein, die eigene Attraktion zu gestalten und Besucher aus aller Welt zu empfangen, Kunstwerke zu schaffen und eine andere Welt als Pionier aufzubauen. So kann der Mensch vielleicht auch als Kind Pirat werden, ohne als Erwachsener einäugig mit Holzbein herumlaufen zu müssen, wenn reale Politik empfiehlt, Hormonblocker zu nehmen.

Vielleicht wachen auf diese Weise die realen Menschen auf, wenn sie erkennen, wie einfach es eigentlich sein kann, sie in die Bedeutungslosigkeit zu schießen – mitsamt dem eigenen sozialen und familiären Leben. In einem virtual universe muss sich allerdings jedes Lebewesen fürchten, sobald Riechen, Schmecken und Fühlen nur noch Gehirnstimulationen sind und der Abgleich mit der Realität verloren ist. Kombiniert man hierzulande Flucht vor Realität und Energieschwund für die Fiktion, so kommen wir vielleicht sogar in eine dritte Welt: dem Amishland.

 


Einmal im Monat haben INTOURA-Mitglieder die Möglichkeit, Ihre Sicht auf die aktuelle Lage oder Entwicklung der Branche in Form einer Kolumne zu veröffentlichen. Die Inhalte spiegeln nicht zwingend die Interessen der Mitglieder oder die politische Arbeit des Vorstandes wieder.


 

Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Mitglied im INTOURA e.V.