Januar-Kolumne

4. Januar 2021

Wieder-Eröffnung, aber bitte richtig!

Berlin vor der Wieder-Eröffnung 2021

Nach einem schwierigen Jahr 2020 für alle Menschen dieser Stadt soll es 2021 wieder aufwärts gehen. Reisefieber wird die Menschen packen, sobald es wieder erlaubt ist, zu reisen. Berlin hat unter Deutschlands Städtedestinationen ganz sicher am meisten zu bieten, denn keine andere Metropole kann soviel Kultur und Vielfalt darstellen. Auf vier Millionen Berliner kamen 2019 rund 14 Millionen Gäste. Kongresse wird es zwar auch 2021 weniger geben, aber nach langer Bauzeit und dem Abschied von Tegel kommen Besucher nun im Südosten statt im Nordwesten an. Vom BER aus ist man in rund 30 Minuten in der Innenstadt. Anders als in Paris oder London verschwendet ein Besucher also immer noch sehr wenig Zeit seines Aufenthalts mit der An- und Abreise. Er kann Berlin auch während eines kurzen Aufenthalts genießen – wenn er will und wenn er darf.

Wer hält aber diese Stadtfreundlichkeit aufrecht? Wie wird man zwischen spanischsprechenden Menschen am Boxhagener Platz und den englischen Lauten in der Torstraße den Besucher vom Dauerbewohner unterscheiden können, um den Touristen vom Berliner kategorisierend als too much waste abzugrenzen? Wird man auch künftig jede Eventualgefahr bei Attraktionen detailliert besinnend regulieren wollen?

Provinzielle Konzepte

Wir erinnern uns an das Tourismuskonzept 2018+? Ein Problem des Tourismuskonzepts 2018+ ist, dass man nur schlafende Touristen auswertet und nicht die sich bewegenden. Ein Konzept dieser Stadt der Freiheit also, die nicht mehr frei wählen lässt, wer was wann und wo besuchen möchte. Die Reisewilligen sollen deshalb schon am Abreiseort kategorisiert werden, ob sie vielleicht junge Party-Touristen und deshalb legal ordnungspolizeilich zu erfassen sind. Berüchtigte Straßennamen wie die Simon-Dach-Straße oder Hinweise auf die Existenz des RAW-Geländes wurden auf offiziellen Karten ausradiert. Aber auch junge Menschen werden irgendwann erwachsen – und kommen vielleicht wieder, wenn sich diese Stadt zu allen gastfreundlich zeigt.

Schon 2021 wird man über jeden Besucher froh sein, der mit einem Budget von 210 Euro in Berlin unterwegs ist. Wenn es ein junger Mensch ist, der die noch geschlossenen 200 Clubs besuchen möchte, dann wird das Unwort „Overtourism“ vielleicht politisch obsolet. Die Auswirkungen der Coronakrise kommen erst noch, nämlich dann, wenn Bars und Restaurants deswegen nicht mehr öffnen, weil die versprochenen „Überbrückungshilfen“ bzw. „November-Hilfen“ als Schadenersatzgelder aus finanzieller Inkompetenz oder wegen Verstoßes gegen das Beihilferecht und in Ermangelung funktionierender Software nicht ausgezahlt werden. Wie in einer schlechten Fernsehserie wurden Abschlagszahlungen vor Weihnachten bereits mit Dollarzeichen auf den Bescheiden versehen. Wird der Euro jetzt abgelöst?

Einige Galerien hat Berlin bereits aus seinen „Mauern“ vertrieben. Irgendjemand muss aber Geld verdienen, wenn man es nicht einfach drucken kann. Alternativ könnte man das Fünftel Armutsbevölkerung und die Zahl der Wohnungslosen dieser Stadt (derzeit 37.000) zunehmen lassen. Den Winter analog zum Wort „Rassismus“ oder „Clan-Kriminalität“ auf dem Papier abzuschaffen, um auch „Kälteplätze“ nicht mehr schaffen zu müssen, wird sich in der Praxis nicht realisieren lassen. Hunderte Planstellen für städtische Angestellte sollen helfen, den orientierungslosen und digital ahnungslosen Besucher mithilfe städtischer Stelen zu lenken – die Lenkungsziele werden natürlich nur wettbewerbswidrig ausgesucht, denn staatliche Einrichtungen müssen besucht werden. Im Wettbewerb zu den privaten Einrichtungen jedenfalls, die Steuern zahlen und Arbeitsplätze schaffen, bekommen höhere staatliche Kulturlenker ein monatliches Salär von bis zu 45.000 Euro. Das hohe Gehalt zeugt davon, dass die Politik alles Maßlose versucht, um auf dem Papier den Anschein von Qualität zu erzeugen.

Zentrale Bauten

Das Humboldt Forum im Berliner Schloss wird in Kürze eröffnen. Man erinnere sich: der Bau, eine Mischung des Stils einiger provinzieller und nationaler Monarchen wurde 1950 weggesprengt. An seiner Stelle entstand das politische Symbol der DDR-Diktatur, das 2006 als Palast der (falschen) Republik asbestverdächtig niedergerissen wurde. Nun entstand wiederum an dessen Stelle das Humboldt Forum. Wie der BER und alle anderen Bauvorhaben, an denen die öffentliche Hand mitwirkt, wurde es mit zeitlicher Verzögerung vollendet und natürlich einige Millionen Euro teurer als geplant. 11 Jahre hat es gedauert und mehr als 4,7 Millionen Euro monatlich gekostet. Aber es steht und soll nun mindestens 3,5 Millionen Menschen jährlich anlocken. Örtlich ist es gegenüber der Berliner Museumsinsel angesiedelt, die bereits 2,5 Millionen Besucher anzieht. Eine Konkurrenz zum Louvre soll es werden, denn zwischen künstlerischer Freiheit und wertvollen Ausstellungen will man einen kulturellen Spagat hinlegen, der Weltformat hat. Als Ort der politischen Repräsentanz sieht sich das Humboldt Forum ebenfalls, was jedoch den freien Spagat unmöglich machen wird.

Der politische Gesinnungsstreit dazu hat etwas Belustigendes in sich und macht das riesige Gebäude einen Besuch wert. Man braucht eigentlich nur die Karl-Liebknecht-Straße zu überqueren. Es fehlen eine unmittelbare Bushaltestelle und auch ein Fußgängerübergang, weil das Verkehrskonzept solche nicht vorgesehen hat. Das Forum entstand unerwartet und überraschend aus der privaten Initiative und den unermüdlich gesammelten Mitteln des engagierten Wilhelm von Boddien. Dieser hatte seit 1992 das Konzept vorangetrieben. Das neu gefasste Tourismuskonzept 2018+ sah aber keine Touristen im Zentrum vor bzw. wollte dort möglichst wenige sehen. Die sichtbare Abwehr der peinlichen Realität hat in Berlin Tradition. Sie wird vom internationalen Besucher auch nicht durchschaut, weil er sich nicht vorstellen kann, dass er in Permanenz pädagogisiert werden soll.

Wie läuft eigentlich das Pilotprojekt Friedrichstraße, das man vor ein paar Monaten startete? Bis Februar 2021 kann man sich dort informieren. Aber keine Eile, das Projekt soll jetzt zuverlässig unzuverlässig verlängert werden. Als Besucher kann man jetzt die leere innerstädtische Fahrradautobahn zwischen Leipziger Straße und Unter den Linden genießen. Das allein ist eine Attraktion von Planlosigkeit und Unvernunft an sich. Berliner Politiker-Aussagen haben leider kein nachhaltiges Gewicht, weshalb Altmieter gehen und Neumieter sich nicht trauen, konzeptionell festgelegt anzumieten. Die Google-Frage „where to go in Berlin“ jedenfalls scheint bisher unzensiert und ungesteuert, so dass die Besucher der Stadt ins Zentrum wandeln dürfen, und zwar unabhängig davon, wohin die über hundert Stelen der Stadt offline lenken wollen. Auch die neuen Litfaßsäulen in vierstelliger Zahl haben nicht etwa access points für eine Stadt mit WLAN hervorgebracht. Das rächt sich nun, wenn die Besucher nicht auch online vollends steuerbar sind. Wo werden denn solche Entscheidungen getroffen, fragt man sich. Wie man ausschließlich in deutscher Sprache Besuchern aller Welt verständlich macht, dass sie überwacht werden jedenfalls hat diese Stadt bereits auf den Säulen vor dem Zentralgebäude vergangener Herrschaftsgebilde bekannt gemacht.

Zentrale Systeme

Man liest derzeit viel über staatliche Hilfen und über Pläne, wie die Innenstädte und Stadtteilzentren vor Verwaisung geschützt werden sollen. Hersteller von Waren müssen sich bereits Amazon unterwerfen, wenn sie ihre Produkte online verkaufen wollen. Gut ein Drittel darf der Initiator abgeben, während der Einzelhandel geschlossen ist. Gleiches gilt für touristische Attraktionen. Wer eine Idee hat und diese mit hohem persönlichem Einsatze zum Leben erweckt, ist derzeit geschlossen, wird aber künftig ebenfalls einigen Angriffen ausgesetzt sein. Neben Google mit seinen ersten Schritten hin zu digitalen Ausstellungen, die den tatsächlichen Besuch obsolet machen (sollen), greifen private Marktmonopolisten oder solche, die es werden wollen, parasitär auf Anteile der Tickets, die eigentlich die Kernideen, Mannschaften und Raum finanzieren sollen. Auch da wird nach anfänglich freundlichen Gesten die Hand entrissen, wenn man nur den Finger hergeben wollte. Eine Online-Abgabe wird dem nicht entgegenwirken. Vielmehr sollte die Zeit genutzt werden, auch agile private Initiativen zu unterstützen, anstatt zusätzliche staatliche Hürden bei Tourismus-Konzept, Stelen-Aufbau und staatlichen Ticket-Anbietern aufzubauen. Staatliche Drangsalierung und monopolistische Ausbeutung nehmen nun mehr als die Hälfte der Einnahmen weg.

2021 wird also ein spannender Überlebenskampf derjenigen, die 2020 gelernt haben, dass man den schlimmsten Fall gar nicht zu denken braucht, weil er in der Realität noch viel schlimmer sein wird. Im Jahr 2019 eröffnete Attraktionen gelten förderrechtlich als nicht-existent. Wer will da noch unternehmerisch aktiv sein, wenn Staat und private Monopolisten gleichermaßen den Untergang fördern, durch Subventionspolitik sozialisieren und Eröffnungen gar nicht erst motivieren? Lieber gar nichts tun und heldenhaft Kartoffelchips essend auf den Sofas der Republik verbleiben, als sich Blutsaugern gegenüber auszuliefern? Anfangen würde hier die Lösungssuche, wenn man diejenigen an den Tisch holt, die sich aufgrund ihrer Erfahrung und ihres persönlichen Einsatzes auskennen.

Stadt der Sünden

Das Tourismuskonzept 2018+ und deren Folgen beschäftigt sich kaum mit der Frage nach Sicherheit und Sauberkeit. Beim Thema Sicherheit reagiert die Politik mit Bürgerwehren, die sich bilden sollen, und hat die Anzahl der Callcenter-Ordnungsbeamten in den Behörden verstärkt. Diese sollen dann melden, wenn ein Tourist einen Becher Latte einfach auf der Straße entsorgt. Auch beim Thema Sauberkeit wird nicht hinterfragt, wer wirklich die Besucher der Parks sind: Einheimische oder Touristen. Es fällt schwer, den Touristen vom Einheimischen zu unterscheiden, wenn beide andere Sprachen sprechen. Man könnte glauben, dass eine hoheitliche Aufgabe auch wirkliche Sicherheit in dieser Stadt sei. Aber Berlin bleibt auch hier ganz besonders: das LADG (Landesantidiskriminierungsgesetz) ist sogleich geschaffen worden. Statt sich also ordentlich analysiert zu fragen, wer welche Straftaten begeht und sich auf die Erfahrung der Polizei zu stützen, muss diese nun beispielsweise im Görlitzer Park wie folgt Menschen prüfen: Bei 10 Personen prüft man von Kind bis Rentner w/m/d neun Personen und dann erst einen typischen Verdächtigen. Nur so ist sicherzustellen, nicht automatisch der Diskriminierung verdächtigt zu werden. Wenn wir uns schon so weit aus dem Fenster lehnen, wollen wir auch der Polizei empfohlen haben, Straftaten nur mehr als einfache Strichlisten zu zählen. Es ist unangenehm, wenn man – wie in Berlin vor einigen Jahren geschehen – die Straftaten ständig in andere Rubriken verschieben und mit Worten uminterpretieren muss. Einbrüche wurden zur allgemeinen Volksberuhigung vereinfacht als versuchte und vollendete Sachbeschädigung gezählt. Unangenehm, wenn man intime und krankhafte Morde oder Vergewaltigungen inhaltlich differenzieren müsste. Viel besser ist doch, jede Straftat als simplen Strich zu symbolisieren. Gut eine halbe Million Striche gäbe es, also ein Zehntel aller in Deutschland verübten Straftaten geschieht in Berlin. Sünde ist Sünde, und letztlich werden bei Gott sämtliche Sünden vergeben, wenn sie nicht in seinem Namen verübt worden sind. Niemand will hier genau wissen, was los ist.

In diesem politisch-provinziellen Umfeld gibt es Gott-sei-Dank die privaten Initiatoren. Berlin bleibt die schönste Stadt mit dem ewigen Potential auf Besserung! Ein guter Anfang wäre doch, nicht durch Sprache zu verändern, sondern durch Vernunft. Aufhören, den Cent zu regeln, sondern in Euro zu denken. Menschen sind nicht wegen ihrer Hautfarbe oder des Geschlechts zu quoteln, sondern man muss Chancengleichheit herstellen und Leistung wieder fördern.

Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Geschäftsführender Gesellschafter der Muson GmbH
und Mitglied im INTOURA e.V.