Februar-Kolumne

01. Februar 2021

Kulturmagneten zweiter Klasse? Schluss damit!

Diese Pandemie – eine sehr gute Chance wäre sie gewesen.

Nein, mehr noch: Sie war – und ist – eigentlich ein Muss…

Ja – die Pandemie und ihre enormen Kollateralschäden wären in der Tat ein imperatives Muss, um diese tradierte, unzeitgemäße, unaufrichtige Ignoranz von Politik und insbesondere Verwaltung gegenüber den rein privat finanzierten kulturellen Attraktionen dieser Stadt, die so viel zum Ruhm und Glanz Berlins beitragen, endlich aufzubrechen und diesen Institutionen die längst verdiente Wertschätzung entgegen zu bringen.

Und zwar nicht nur mit wohlfeilen Lippenbekenntnissen – sondern endlich auch mit einer spätestens jetzt dringlicher denn je gebotenen tatsächlichen, gleichberechtigten Beachtung und Einbeziehung dieser Assets bei den kulturpolitischen Weichenstellungen der Hauptstadt.

Nicht alles Tradierte muss man unbedingt in Frage stellen. Unzeitgemäßes schon eher. Was aber gar nicht geht, ist diese von Zynismus und, ja, auch von „kommunalem Egoismus“ getragene Unaufrichtigkeit.

Seit Jahren, nein, seit Jahrzehnten sonnt sich diese Stadt im Glanz dieser weltweit beachteten und bewunderten, unglaublich vielfältigen Angebotspalette an kulturellen Highlights – die ihr von wagemutigen privaten Entrepeneuren mit viel Herzblut zum Nulltarif spendiert werden. Diese nehmen dafür im unfairen Wettbewerb mit den rundum sorglos gepamperten Landesbetrieben enorme Risiken auf sich, nicht selten auch drastische Verluste – müssen sich zum Dank, neben gelegentlichem, wohlfeilem verbalen Schulterklopfen von manchen Verantwortlichen dieser Stadt jedoch oftmals eher als schnöde Profiteure brandmarken lassen. Was sie aber mitnichten sind.

Zahlreiche interessante und spannende private Museen, Theater, Ausstellungen und ähnliche Attraktionen werden dabei nicht nur von den Berlinern und den Menschen im Umland geliebt. Sondern in ganz Deutschland und nicht zuletzt eben auch in Europa und Übersee als besonders sympathische Player im Konzert dieses einzigartigen kulturellen Orchesters wahrgenommen und geschätzt.

Sie alle sind Magneten, die einen nicht zu unterschätzenden Teil des Charmes und der Anziehungskraft dieser wunderbaren Stadt ausmachen.

Wir wollen jetzt aber mal gar nicht weiter über Geld reden. Wenn auch Geld das ist, was den Kulturanbietern zur Zeit wohl am meisten fehlt. Sie sind nun dringend angewiesen auf Unterstützung durch die diversen Hilfsprogramme. Diese bescheren den einen mehr, den anderen weniger. Und lassen sie doch allesamt befürchten, dass das alles am Ende vielleicht nicht reichen wird – schlimmer noch: dass sie durch die Pandemie am Ende wohl noch viel weiter hinter die staatlich subventionierten Institutionen zurückfallen werden, als dies bisher leider schon der Fall war.

Doch gibt es noch etwas Anderes, was für sie alle von ähnlich elementarer Wichtigkeit ist: aufrichtige Wertschätzung.

Echte Wertschätzung – das wäre die tatsächliche Wahrnehmung und die dankbare Anerkennung auch ihrer Arbeit, auch ihres Engagements durch die Landespolitik und deren Verwaltung als einen gewichtigen, ja einen unverzichtbaren Beitrag zu diesem zu Recht so viel gepriesenen Magnetismus der Berliner Kulturlandschaft.

Erst die Sexiness dieses Magnetismus ist es doch, neben all der omnipräsenten Historie, die Berlin so anziehend macht (nun ja – pandemisch korrekt müsste es derzeit heißen: machte…) für alle möglichen Gäste und Neu-Berliner aus aller Welt. Seien es nun Touristen, die einfach unbedingt ein paar Tage hier in dieser überbordenden Vielfalt verbringen wollen. Seien es Künstler, die sich von diesem sich immer wieder aufs Neue häutenden Schmelztiegel inspirieren lassen. Seien es Leute, denen es in Wanne-Eickel zu fad wurde. Oder seien es Firmen, die ihren Mitarbeitern neben einem interessanten Job auch noch ein aufregendes Umfeld bieten möchten.

Der Autor dieser Zeilen geht übrigens in seinem unerschütterlichen Optimismus fest davon aus, dass dies in absehbarer Zeit auch wieder so sein wird – oder so ähnlich (einfach nur ganz genauso wäre ja geradezu langweilig – weil wider den wahren Spirit von Berlin…).

Dieser vielzitierte Standortvorteil Berlin: Der hat nämlich auch viel mit diesem so spannenden, so bunt schillernden, so unglaublich divers daherkommenden Angebot gerade auch der privaten kulturellen Attraktionen dieser Stadt zu tun. Die man weltweit nur zu gerne als willkommenen Beweis für Berlins Sexiness vorzeigt. Kostet ja nix…

Aber echte, aufrichtige, nicht bloß verbal geheuchelte Wertschätzung, gar verbunden mit Dankbarkeit, scheint eben gerade keine sehr weit verbreitete Kategorie zu sein in der öffentlichen Wahrnehmung privaten Engagements in dieser Stadt.

Da werden natürlich gleich wieder diejenigen vehement widersprechen, die die diversen Hilfsprogramme konzipiert und die entsprechenden Summen bereitgestellt haben. Es wurde bereits erwähnt: Das ist zwar durchaus ehrenwert, und es lindert den unverschuldet erlittenen Schmerz ein wenig – jedoch wird es die tradierte Benachteiligung gegenüber den Landesbetrieben mitnichten beenden.

Außer den direkten finanziellen und teils auch materiellen Hilfen geht es bei all dem von Anbeginn an aber ganz essenziell auch um die Kommunikation mit den privaten Attraktionen – zur Zeit mehr denn je zum Thema Perspektive und Bedingungen für den Neustart. Und da liegt doch einiges sehr im Argen.

Dies drückt sich leider besonders darin aus, dass insbesondere die Kulturverwaltung seit Beginn der Pandemie zahlreiche informations- und Abstimmungstermine zu Zeithorizonten, Hygienekonzepten, Technologiefragen u.ä. mit Theatern, Museen und anderen Kultureinrichtungen abgehalten hat. Im Unterschied zum Berliner Parlament, genauer zum Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses, der kürzlich verschiedene Vertreter des privaten Kultursektors zu sich einlud, fanden diese Treffen jedoch stets ausschließlich mit den Verantwortlichen der komplett oder überwiegend staatlich geförderten Institutionen statt.

Das liest sich dann in den Medien schon mal so, dass „die“ Intendanten der Bühnen zusammen mit dem Kultursenator z.B. beschlossen haben, dass in den Berliner Theatern nun mindestens bis Ostern nichts mehr gehen wird. Wohl wissend, dass sie dann eh schon fast wieder ihre sowieso jedes Jahr, auch ganz ohne Corona, stattfindende mehrmonatige Sommerpause erreicht haben – während derer sie sich also ohnehin bis zum nächsten Saisonbeginn im September zumindest nicht mehr um ausbleibende Umsätze scheren müssen.

Dies mag aus deren Sicht nicht nur sehr praktisch, sondern ebenso logisch, und womöglich auch legitim erscheinen. Das soll an dieser Stelle nicht bewertet werden.

Unschön ist hierbei allerdings, dass die in diesen exklusiven Runden unter Ausschluss der rein privat betriebenen Häuser gefassten „Beschlüsse“ dann wie selbstverständlich (was es aber eben keineswegs ist) immer auch für diese mitgelten sollen – ohne dass diese jedoch die Gelegenheit hatten, mitzuentscheiden, ja nicht einmal mitzureden.

Schon dies zeigt, wie wenig ernst man in diesen Zirkeln genommen wird. Für wie wenig nötig man es hält, auch den anderen da draußen fairen Zugang zu relevanten Informationen und Erkenntnissen zu gewähren.

Ihren unerträglichen Gipfel findet diese Haltung in der schier unglaublichen Tatsache, dass man erst in der vergangenen Woche staunend den Medien entnehmen durfte (und nicht etwa einer Verlautbarung des Senats), dass die Kulturverwaltung bereits seit November (!) vergangenen Jahres eine von ihr selbst beauftragte Studie ausgewiesener Fachleute in Sachen Lüftungstechnik und Aerosolverbreitung auf dem Tisch hat. Diese Fachleute bescheinigen, denselben Medienberichten zufolge, offenbar einer ganzen Reihe von ihnen untersuchter Berliner Theater (einmal darf der geneigte Leser raten, welche Theater das wohl gewesen sind…), dass die Aerosolbelastung in diesen Theatern bei Vorhandensein einer leistungsstarken maschinellen Lüftungsanlage mit 100% Außenluftzufuhr wohl nur eher gering ist, selbst bei geringeren Abständen als 1,50 m.

Da mindestens ein Leiter eines bei dieser Studie mit untersuchten Hauses (sicherlich zur großen Freude des Kultursenators) öffentlich erkennen ließ, dass ihm die Ergebnisse dieser Studie bekannt sind, darf wohl davon ausgegangen werden, dass auch alle anderen Leitungen der im Rahmen der Studie untersuchten staatlich subventionierten Häuser davon längst Kenntnis haben.

Mal abgesehen davon, dass die rein privat betriebenen Bühnen gar nicht erst gefragt wurden, ob sie ebenfalls dahingehend untersucht werden möchten (selbst wenn sie sich vielleicht an der Finanzierung hätten beteiligen sollen) – warum wurden sie nicht wenigstens im Nachhinein seitens der Kulturverwaltung in solidarischer Weise über die Existenz einer solchen Studie und deren Ergebnisse informiert? Ungeachtet der inzwischen aufgekommenen Frage, ob die Ergebnisse dieser und ähnlicher Studien durch die neu aufgetauchten Virus-Varianten möglicherweise in Frage gestellt werden könnten – oder aber vielleicht auch nicht.

Denn: COVID-19 hin, die aktuellen Virus-Mutationen her – es wird höchste Zeit, dass diese doch eigentlich nur als zynisch zu begreifende Ignoranz (denn einfach nur gedankenlos wird das bei so viel geballter intellektueller Potenz doch wohl nicht sein…?) und die unverdiente Geringschätzung, die den unter großen Opfern in einem extrem wettbewerbsverzerrenden Umfeld rein privat finanzierten Kulturbetrieben zumindest von Teilen der Kulturverwaltung ein ums andere Mal entgegengebracht wird, endlich und für alle Zeiten aufhört.

Und durch eine gleichberechtigte Teilhabe an solch grundlegenden und (über)lebenswichtigen Informationen, Treffen, Weichenstellungen und Entscheidungen ersetzt wird.

Wirklich höchste Zeit, dass es ein Ende hat mit der Behandlung der rein privat betriebenen Attraktionen als Kulturmagneten 2. Klasse – deren Magnetismus, deren die Stadt kostenfrei zierenden Glanz, deren steuerliche Wertschöpfung und wirtschaftliche Umweg-Rendite man sehr gerne mitnimmt, für deren Erhalt, Fortkommen und Zukunftssicherung man sich jedoch achselzuckend nicht zuständig fühlt. Nicht mal kommunikativ…

Sonst dürfte es schwierig werden mit der postpandemischen Renaissance Berlins als internationalem Hotspot für Touristik, Kongresswesen, Startups und sonstige Firmenansiedlungen.

Über den Autor:

Georg Strecker ist Geschäftsführer des Wintergarten Varieté und Vorstandsmitglied im INTOURA e.V.