Dezember-Kolumne 2020

1. Dezember 2020

Versprechen muss man halten!

Enttäuscht und steil bergab

Ursprünglich sollten die Zwangsschließungen des November-Lockdowns mit 75% des Umsatzes erstattet werden – ohne Wenn und Aber, hieß es am 28. Oktober. Der Kanzlerkandidatenanwärter aus NRW wird ab 1. Dezember erklären müssen, weshalb entgegen seines lauthals verkündeten Versprechens jenes Oktober-Tages die neue Bundesverordnung nicht aufgehoben wurde oder warum ins Blaue hinein Versprechungen gemacht wurden. Der Berliner Bürgermeister sprach am 28. Oktober von einem harten und bitteren Tag der Entscheidung. Er wisse, welche Zumutungen und Einschränkungen für einen Monat auf die Menschen zukomme.

Dieser eine Monat ist nun aber überschritten, weshalb Berlin sogleich für 500.000€ noch vor dem formalen Landesbeschluss am 25. November Erklärungsbriefe an die Berliner Bevölkerung versenden ließ. Gleichwohl ist in diesen Briefen wieder nur vom November die Rede, während aber bereits parallel zum Lockdown die Kulturschließung über den Januar hinaus verkündet wurde.

In diesem Dschungel verschiedener und verwirrender Informationen teilte das Bundesfinanzministerium bereits am 12. November mit, dass man ein paar Milliarden neben der eigenen Kostenschätzung der Vorwoche läge, während der Bundeswirtschaftsminister beichtet, dass er die bedingungslos zugesagten November-Entschädigungen nicht wie versprochen leisten kann (sofern die Prüfanstalten überhaupt schnell genug wären). Trotz theoretisch monatelanger Vorbereitungszeit ist niemandem aufgefallen, dass nicht die geschlossene Einrichtung allein oder der Betrieb als solcher bewertet werden soll, sondern der jeweilige Verbund. Die EU hat vorsichtshalber die Beihilfen auf 800.000 Euro pro Unternehmensgruppe „gedeckelt“, also ein Plafond gesetzt, ähnlich wie bei Flugzeugabstürzen.

Das setzt man in der Praxis exzessiv um: Wer zufällig Gesellschafter eines Einzelhändlers und außerdem bei einer touristischen Attraktion engagiert ist, bekommt kein Geld, wenn nicht 80% seines gesamten Umsatzes betroffen sind. Unternehmer mit zwei Beinen sind eben keine normalen Menschen, und dass Umsatz nicht Überschuss bedeutet, bleibt unberücksichtigt. Wiederum andere einbeinige Unternehmer erhalten oft viel mehr Geld als sie normalerweise verdienen würden. Anderseits ist tröstlich, dass in den Raum gestellte Zahlen ohnehin nach zehn Tagen bestandslos sind. Was soll man morgen wieder glauben?

Private Theater-, Museums- oder Konzerthausbetreiber müssen schließen und haben überhaupt keine Einnahmen. 10.000€ Abschlag für die leere Kultureinrichtung und 5.000€ für den Künstler sollen gezahlt werden – irgendwann. Gleichzeitig brauchen die seit Monaten kurzarbeitenden Menschen ihre Reserven auf, weil 40% des Lohns entfallen! Natürlich: Jeder fünfte Berliner gilt inzwischen wieder als ohnehin arm – reine Gewöhnungssache, alles schon mal da gewesen, nämlich zuletzt 1990. Worauf konkret beziehen sich die Fernseh-Warnungen der Regierung? Eine Warnung vor ihrer planlosen Politik? Covid-19 kann es ja nicht sein; das wütet zuverlässig vorhersehbar. Verbundene Unternehmen werden derzeit jedenfalls ausgeblutet.

Weitere Branchen wie die Bauwirtschaft spüren aktuell die ersten Auswirkungen sehr heftig, weil das Homeoffice der Mitarbeiter den Weg zu Genehmigungsbehörden der Stadtbezirke sinnlos macht. Zur selben Zeit sollen – noch unbemerkt – für 2021 die Energiekosten um bis zu 30% CO2-bedingt angehoben werden. Die Gründer der regulierenden Monopolisten von Amazon, Google, Microsoft, Facebook und Apple haben derweil allein während der Pandemie 200 Milliarden Euro Privatvermögen hinzugewonnen, während in Berlin die individuelle und freie Offline-Werbung weitgehend verboten ist oder verboten werden soll. Da will man eigentlich eine Kultureinrichtung gar nicht mehr öffnen müssen.

Zensur und Fehlen der Gleichberechtigung

Unsere Sprache wird derweil manipuliert; Google wird bundesministeriell vertraglich gebunden, um Inhalte kantenfrei zu nivellieren. Niemand soll sich verletzt fühlen. Unbewältigt ist in diesem perwollweichen Homeoffice noch die rein mathematische Verknüpfung von Zahlen. Dass wir derzeit gegen ein noch unzureichend erforschtes und mutierendes Virus kämpfen und die Gesundheit der Älteren und Angeschlagenen schützen müssen, ist völlig klar. Eine Gesellschaft wieder länger als einen Monat komplett herunterzufahren, ist dem geschuldet, dass die Politik bisher nur auf Hoffnung gesetzt und es fast ein Jahr lang versäumt hat, Maßnahmen zu treffen, die diesen Lockdown „light“ (oder schöner: „Wellenbrecher“) möglicherweise verhindert hätten.

Es kommt aber jetzt darauf an, Entscheidungen zu treffen, um sich künftigen Lockdowns entschieden entgegenzustellen. Immerhin hängen allein in Berlin 235.000 Arbeitsplätze an der derzeit stillgelegten Tourismus- und Gastronomiebranche. Während der Einzelhandel ohne Ausfallentschädigung dasteht, weil die Geschäfte noch flächenreguliert betreten werden dürfen und trotzdem Mieten-, Personal- und Betriebskosten voll weiterbezahlt werden müssen, sind Sehenswürdigkeiten von oben verordnet geschlossen. Der Berliner Airport darf als staatliche Einrichtung aber vorbildhaft entgeltliche Sightseeing-Touren anbieten. Klar, die staatliche Flughafengesellschaft benötigt abermals eine halbe Milliarde Euro; Viren gibt es wohl nach Auffassung der Verantwortlichen offenbar nicht im selben Maße am Berlin-Brandenburger Großflughafen wie bei einer privaten Sightseeing-Einrichtung mit Hygienekonzept.

20 Milliarden als Puffer

Der aktuelle Lockdown, wie man die partielle Ausgangssperre euphemistisch bezeichnet, belastet den Staatshaushalt mit mindestens 20 Milliarden Euro. Einen Monat partieller Ausgangssperre für 20 Milliarden Euro Steuermittel. Man wagt sich zu fragen, was mit soviel Geld hätte alternativ geschaffen werden können. Rein mathematisch zum Beispiel

50 voll ausgestattete Krankenhäuser mit 13.300 Zimmern und gut 25.000 Betten oder der Bau von 1.000 Schulen.

Beides wäre möglich gewesen. Wir diskutieren derzeit lieber nicht über die Problematik der radikalen Islamisten trotz der jüngsten Terroranschläge in Frankreich, Österreich und sogar Dresden. Für unsere Integrationsmaßnahmen aber geben wir jährlich nur etwa ein Zehntel dessen aus, was uns der Lockdown in diesem einen Monat November 2020 kosten wird. Sicher, der Unterhalt jener 50 Krankenhäuser kostet wiederum viel Geld und sicher ist auch, dass man in unserem Land erst baut, nachdem viele Jahre für den Genehmigungsprozess bis zur Errichtung vergangen sind. Es würde aber vorausschauend Substanz für die Zukunft geschaffen werden.

Apropos: Wie lange wird der Lockdown dieses Mal und wann kommt der nächste Lockdown? Im Februar 2021 schon? Sollte man hier nicht schon jetzt beispielsweise Hotels identifizieren, die notfalls Patienten aufnehmen, welche in Krankenhäusern aufgrund potentieller Überlastung weggeschickt werden? Oder sollte man dort Zentren der Diagnostik einrichten, weil sich ein Otto-Normal-Patient nicht mehr in ein Krankenhaus traut? Immerhin sind 1,6 Millionen OPs verschoben worden und allein bei Krebserkrankten steigt das Sterberisiko bei einer Verschiebung der Diagnostik von acht Wochen um 13%.

Wie viele Ärzte hätten wir heute mehr, wenn die ständigen Forderungen um mehr medizinische Studienplätze und deren Finanzierung beim Deutschen Ärztetag gehört worden wären? Seit fast vier Jahren werden 6.000 weitere Studienplätze und deren Finanzierung gefordert. Für 108 Millionen Euro jährlich hätten wir dieses Ärztepotential heute. Wie soll es in der Zukunft aussehen?

Hoffnung als einzige Strategie

So bedauerlich es ist: es gibt keine sinnvoll begründete Perspektive für die Menschen unseres Landes. Das Konzept der Regierung(en) ist eine diffuse Hoffnung. Spekulation auf einen Impfstoff, der im Dezember kommen, verteilt werden und schützen soll. Hoffnung auf eine Immunisierung in der Gesellschaft irgendwann im Laufe des Jahres 2021 – vielleicht. Kein Lockdown in 27 untersuchten Ländern hat bisher nach aktuellen Studien die Sterblichkeitsrate senken können (Journal of Medical Research, 12.11.2020). Dennoch wird einfach immer wieder neu verlängert – gleichwohl nicht einmal zuverlässig: während Berlin am 22. Dezember lockern will, der Bund Anfang Januar 2021, spricht das Kanzleramt bereits von März 2021. Wem soll man da glauben und woraufhin soll man seine Mannschaft und sich selbst einstellen?

Entsprechendes gilt für die Unternehmen. Etwa 13.500 staatliche Fördermittelkredite wurden vergeben, bei gleichzeitiger Aufhebung der gesetzlichen Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung der Unternehmen. Das bedeutet, dass viele Unternehmen nicht durch ihre eigene Aktivität überleben können und sich faktisch Kredite auch über unbezahlte Lieferanten und Dienstleister nehmen. Einige dieser Zombie-Unternehmen müssen dann irgendwann doch ausfallen und haben dann immense Kollateralschäden bei Dritten verursacht, natürlich auch beim Staat, dessen Kredite naturgemäß ausfallen. Man lässt zu, dass Spekulation und Hoffnung als staatlich anerkanntes Unternehmensprinzip gesellschaftliche Akzeptanz finden.

Dieses Vorgehen ist ethisch ungesund und wird manche Menschen hart auf den Boden der Realität aufschlagen lassen; dann nämlich, wenn die Steuern erhöht werden (müssen), um Hunderte Milliarden Euro nicht im Wege der Inflation abschreiben zu müssen. Schon jetzt ist mit knapp 180 Milliarden Euro die zweithöchste Neuverschuldung der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen worden.

Strategisch besser wäre doch, wenn die Gesundheitssenatorin und der Bundesgesundheitsminister erklären, was sie tun werden, um das Schutzziel mit möglichst milden Maßnahmen zu erreichen: Alle Menschen über 60 Jahre sollen nun Risikopatienten sein, also 23 Millionen Menschen. Bei 20.000 Infizierten werden 400 intensivmedizinisch behandelt. Nach 15 Tagen sind also 6.000 Betten belegt. Das sind also 2% der aktuell infizierten Altersgruppen und 20% aller verfügbaren Intensivbetten. Dieser einfache Dreisatz scheint bereits zu kompliziert, um die vergangenen und derzeitigen Monate zu nutzen, die Zahl der Intensivbetten nebst Personal (z.B. durch verrentete ehemalige Ärzte und Schwestern, in Kurzarbeit befindliches Pflegepersonal) entsprechend zu erhöhen.

Lediglich 3.000 zusätzliche Intensivbetten wären nötig gewesen, um einen Bruchteil der November-Sonderkosten aufzufangen und angesichts der nachhaltigen Verfügbarkeit der Betten für spätere Lockdown-Ersatzmaßnahmen zur Verfügung zu haben. Selbst wenn die Regierungen zuverlässig gewusst hätten, dass ein Wirkstoff gefunden werden würde, der das Virus im Winter 2020/21 bekämpfen kann, hätte man die Bevölkerung nicht offen ins Messer laufen lassen dürfen. Die Maßnahmen sind ungefähr so unverhältnismäßig, wie wenn man in die Wohnung des Nachbarn einbrechen dürfte, wenn dort ein für sich selbst abgeliefertes Paket länger als drei Stunden liegt.

Operative Inkompetenz?

Schwindelig wird dem Statistikleser, wenn das Finanzministerium mitteilt, dass 2020 und 2021 als Jahre der Pandemie 1,5 Billionen Euro kosten werden. „1,5 Billionen“ entsprechen drei ganzen Bundeshaushalten. Prognosen sind leider selten zuverlässig, man muss nur an die prognostizierten Bauzeiten und Baukosten öffentlicher Bauvorhaben wie die des Berliner Flughafens denken, der dreimal länger als ursprünglich geplant (14 Jahre) gedauert und fast das Neunfache (Stand 2006) bzw. das Vierfache (Stand 2007) mehr als amtlich geplant (7,1 Milliarden Euro) gekostet hat. Diese beispielhafte und zugleich beispiellose operative Inkompetenz bezahlen wir mit unserer statistischen Lebenszeit von 81 Jahren, konkret mit unserer Arbeitszeit. Wir gehen täglich arbeiten, um Steuern und Abgaben zu zahlen – übrigens ab 2021 wieder bei erhöhter Mehrwertsteuer – und um zu dulden, dass jeder zweite Bundes- und Landesbau die ursprünglich geplanten Bauzeiten, aber auch die Baukosten erheblich sprengt.

Man denke da in Berlin aktuell an die Sanierung der Neuen Nationalgalerie, die Staatsbibliothek zu Berlin oder das Museum der Moderne, das bereits vor Baubeginn einfach 200 Millionen Euro teurer als beworben erstellt werden soll. Wenn Berlin Schulplätze saniert, liegen die Kosten fünf Mal höher als im Bundesdurchschnitt. Wie wird das enden? Jedes zweite Bauvorhaben mit einer Größenordnung von zehn Millionen Euro aufwärts wird nicht wie geplant erstellt. Die Erstellungskosten pro Quadratmeter sind nirgends höher, wenn öffentliche Organisationsverantwortliche ins Spiel kommen. In keinem Jahr dieser Legislaturperiode hat Berlin die ursprünglich geplanten Wohnungen erstellt, um den Bedarf an Wohnraum zu decken.

Gemeinwohl zu verkaufen

Gedrucktes Geld kann doch sinnvoller für die Gemeinwohlfinanzierung eingesetzt werden. Wissen Sie, was Sie als Privatperson in zehn Jahren machen werden? Was ist in den letzten zehn Jahren für unsere Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Integration oder Digitalisierung ausgegeben worden, um unser Land gerechter, intelligenter, sauberer, gemeinschaftlicher und wettbewerbsfähiger für unsere Kinder und Kindeskinder zu machen? Für Bildung werden insgesamt pro Jahr nur 147 Milliarden Euro (der Bund gibt weniger als 20 Milliarden aus) ausgegeben. Mit den Corona-Verpuffungsausgaben zweier Jahre könnte man also zehn Jahre lang bequem die Bildung finanzieren. Für die Digitalisierung werden noch nicht einmal vier Milliarden Euro jährlich investiert (also ein Fünftel der Kosten für die November-Ausgangssperre). Damit hätte man preiswerter die Meldung, Nachverfolgung und den Schutz anderer haben können und wahrscheinlich ebenso viele Leben gerettet. Klimaschutz durfte 2019 nur 540 Millionen Euro kosten, also einen halben Arbeitstag der November-Ausgangssperre. Das Bundesfinanzministerium verspricht zwar bis 2023 insgesamt knapp 40 Milliarden Euro für Klimaschutz bereitzustellen, aber wer weiß, was nach der Zerstörung ganzer Wirtschaftszweige überhaupt noch vom Haushalt übrigbleibt.

Wir alle sind der Staat

Wenn wir alle Teil(chen) dieses ausgezeichnet veranlagten demokratischen Systems sind, dann müssen wir doch von denjenigen, die an den Informationsquellen sitzen, erwarten,

  • dass vorausschauend und nachhaltig in unser Gemeinwohl investiert wird und
  • dass Problemen, die täglich neu beschlossen werden, nicht reaktionär hinterhergerannt wird.

Wir können von unseren Repräsentanten Leistung verlangen, aber das Prinzip hat sich umgekehrt: wir sollten unsere Erwartungen an die Politiker so weit herunterschrauben, dass sich unsere Enttäuschung über ihr Versagen in Grenzen hält.

Über den Autor: 

Quirin Graf Adelmann v.A. ist Geschäftsführender Gesellschafter der Muson GmbH
und Mitglied im INTOURA e.V.